Leitsatz (amtlich)

1. Eine Gerichtsstandswahl nach § 35 ZPO ist insgesamt nicht bindend, wenn sie fehlerbehaftet ist. Wählt der Kläger ein von vornherein sachlich unzuständiges Gericht, tritt auch bezüglich der Wahl der örtlichen Zuständigkeit keine Bindungswirkung ein. Wählt der Kläger dagegen ein zunächst sachlich und örtlich zuständiges Gericht und ändert sich nachträglich durch eine Klageerweiterung die sachliche Zuständigkeit, wird die Bindungswirkung der Wahl bezüglich der örtlichen Zuständigkeit hierdurch nicht berührt.

2. Das Wahlrecht nach § 35 ZPO kann grundsätzlich nicht mehr ausgeübt werden, wenn der Rechtsstreit bei einem zuständigen Gericht rechtshängig geworden ist.

 

Verfahrensgang

LG München I (Aktenzeichen 32 O 2529/23)

LG Frankenthal (Pfalz) (Aktenzeichen 6 O 89/23)

 

Tenor

(Örtlich) zuständig ist das Landgericht München I.

 

Gründe

I. 1. Am 6. Oktober 2021 beantragte die Klägerin, die S. GmbH, beim Amtsgericht Mayen den Erlass eines Mahnbescheids gegen die Beklagte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Ismaning. Der Mahnbescheid wurde am 7. Oktober 2021 erlassen und am 12. Oktober 2021 zugestellt. Die Hauptforderung aus "Werkvertrag/Werklieferungsvertrag gem. Rechnung 0001-ARF5-2020-120 vom 1.12.20" war mit 1.005,50 EUR beziffert, die Nebenforderungen (bestehend aus Mahn-, Auskunfts- und Inkassokosten) mit insgesamt 195,50 EUR. Als Prozessgericht, an das im Fall des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden sollte, war das Amtsgericht München benannt.

Am 19. Oktober 2021 ging ein Widerspruch durch die Beklagte ein. Mit Verfügung vom 4. August 2022 gab das Amtsgericht Mayen das Verfahren an das Amtsgericht München ab, welches die Klägerin am 12. August 2022 zur Anspruchsbegründung aufforderte. Mit der Anspruchsbegründung vom 25. Januar 2023 begehrte die Klägerin weiterhin Zahlung von 1.005,50 EUR nebst Zinsen (Klageantrag 1) sowie Mahnkosten in Höhe von 20,00 EUR, Auskunftskosten in Höhe von 26,00 EUR und Inkassokosten in Höhe von 149,50 EUR (insgesamt 195,50 EUR; Klageantrag 2). Zudem begehrte sie von der Beklagten nunmehr in Erweiterung der Klage zusätzlich Zahlung von 15.423,50 EUR (Klageantrag 3), 5.412,54 EUR (Klageantrag 4), 15.086,20 EUR (Klageantrag 5) und 1.021,84 EUR (Klageantrag 6) jeweils nebst Zinsen. Die Klägerin sei ein Stromversorgungsunternehmen in Bad Dürkheim, Rheinland-Pfalz. Die Beklagte sei deren Kundin gewesen. Am 21. Mai 2020 habe die Beklagte die Klägerin mit der Herstellung der Hausanschlüsse an einer Verbrauchsstelle in Bad Dürkheim an das Versorgungsnetz Wasser sowie Gas beauftragt. Außerdem sei die Klägerin am 23. April 2020 beauftragt worden, den Anschluss an die Stromversorgung vorzunehmen. In der Zeit von Mai bis Dezember 2020 seien die beauftragten Hausanschlüsse durch die Klägerin hergestellt worden. Mit Datum vom 31. Dezember 2020 habe die Klägerin der Beklagten den Gashausanschluss sowie die Zuschläge für die Mehrlänge in Höhe von 1.005,50 EUR in Rechnung gestellt (Klageantrag 1), außerdem den Stromanschluss und die hiermit verbundenen Arbeiten in Höhe von 15.423,50 EUR und den Wasseranschluss sowie die Zuschläge für die Mehrlänge in Höhe von 5.412,54 EUR (Klageanträge 3 und 4). Am 18. Dezember 2020 sei ein Grundversorgungsvertrag über die Belieferung mit Energie- und Wasser geschlossen worden und die Klägerin habe im Folgenden die Beklagte an der Verbrauchsstelle in Bad Dürkheim mit Strom, Wasser und Gas beliefert. Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten die erbrachten Leistungen für Gas, Wasser und Strom für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2021 abgerechnet und zwar für den Gasverbrauch 14.834,59 EUR, für den Wasserverbrauch 251,61 EUR (insgesamt also 15.086,20 EUR) und für den Stromverbrauch 1.021,84 EUR (Klageanträge 5 und 6). Für Mahnungen seien der Klägerin Kosten in Höhe von 20,00 EUR entstanden, aufgrund Abgabe der Ansprüche aus dem Klageantrag 1 an eine Inkassostelle zusätzlich 149,50 EUR und für eine Bonitätsauskunft 26,00 EUR (Klageantrag 2).

Mit Verfügung vom 26. Januar 2023 ordnete das Amtsgericht München u.a. die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens an, wies darauf hin, dass das Amtsgericht München "sachlich unzuständig" sei und fragte an, ob Verweisungsantrag gestellt werde. Die Verfügung nebst Anspruchsbegründung wurde der Beklagten am 21. Februar 2023 zugestellt. Ebenfalls am 21. Februar 2023 nahm die Klägerin "Bezug auf die Verfügung des Gerichts vom 26.01.2023" und beantragte "die Verweisung an das zuständige Gericht". Mit Beschluss vom 22. Februar 2023 erklärte sich das Amtsgericht München für "sachlich unzuständig" und verwies den Rechtsstreit "auf Antrag der Klägerin an das Landgericht München I". Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei sachlich unzuständig. Auf Antrag der Klägerin habe sich das angegangene Gericht für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Gericht zu verweisen.

2. Mit Verfügung vom 31. März 2023 übernahm das Landgericht Münc...

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