Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Beschwerdegericht im Erbscheinsverfahren Akten eines dritten Verfahrens beigezogen und will es deren Inhalt für die Entscheidung verwerten, so verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör, daß den Beteiligten die Tatsache der Aktenbeiziehung mitgeteilt und ihnen zumindest Gelegenheit gegeben wird, die Akten einzusehen sowie zu den darin enthaltenen Einzelheiten und ihrer Bedeutung für das Erbscheinsverfahren Stellung zu nehmen. Das gilt auch dann, wenn die beigezogenen Akten ein Verfahren betreffen, an dem auch alle Beteiligten des Erbscheinsverfahrens beteiligt waren.

2. Die Anfechtung einer vertraglich bindenden Erbeinsetzung in einem Erbvertrag kann auch darauf gestützt werden, daß die unbewußte Erwartung des Erblassers entäuscht worden ist, zwischen ihm und dem so Bedachten werde es bis zum Lebensende des Erblassers nicht zu einer Zerstörung des persönlichen Vertrauensverhältnisses kommen, die zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führt. Die Feststellung einer solchen Erwartung und ihrer Ursächlichkeit für die Erbeinsetzung setzt jedoch voraus, daß im Einzelfall besondere Umstände gegeben sind, die in diese Richtung deuten.

 

Normenkette

BGB §§ 2079, 2281, 2283, 2359; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 10.12.1997; Aktenzeichen 16 T 7813/97)

AG München (Aktenzeichen 64 VI 7525/96)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Beschluß des Landgerichts München I vom 10. Dezember 1997 aufgehoben. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die am 18.5.1996 im Alter von 97 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet. Der Beteiligte zu 1 ist ihr einziges, nichtehelich geborenes Kind. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus Bankguthaben im Wert von ca. 50.000 DM, beweglicher Habe im Wert von ca. 20.000 DM und nicht geklärten Forderungen über zusammen 270.000 DM.

Die Erblasserin hatte 1956 in einem Erbvertrag mit ihrem 1962 vorverstorbenen Ehemann und dessen Geschäftspartner, ihrem späteren Lebensgefährten, den Ehemann zu ihrem Alleinerben eingesetzt. In mehreren späteren Verfügungen hatte sie ihrem Lebensgefährten Vermächtnisse ausgesetzt und Testamentsvollstreckung angeordnet. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten am 4.4.1980 wurde sie von dem Beteiligten zu 2, ihrem Hausarzt, betreut. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob und inwieweit dies auf ihren Wunsch geschah. Unter anderem vermittelte der Beteiligte zu 2 den Verkauf des wertvollen Hausgrundstücks der Erblasserin und den Ankauf einer später von der Erblasserin bewohnten Eigentumswohnung in einem Haus in München, in dem er selbst wohnte. Am 5.9.1980 schloß die damals bereits fast 82 Jahre alte Erblasserin mit dem Beteiligten zu 2 einen Erbvertrag, in dem sie den Beteiligten zu 2, ersatzweise dessen Ehefrau vertragsmäßig bindend zu ihrem alleinigen Erben einsetzte. Außerdem ordnete sie verschiedene Vermächtnisse an; unter anderem sollte der Beteiligte zu 1 einen Geldbetrag in Höhe seines gesetzlichen Pflichtteilsanspruchs einschließlich etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche erhalten.

In der Folgezeit kam es zwischen der Erblasserin und dem Beteiligten zu 2 zu Streitigkeiten, deren Anlaß und Umfang von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt wird. Aus den Feststellungen des Landgerichts, die insoweit auch von dem Beteiligten zu 2 in seiner weiteren Beschwerde nicht in Zweifel gezogen werden, ergibt sich, daß der Beteiligte zu 2 seine Eigentumswohnung in dem erwähnten Haus zunächst an seine Ehefrau übertragen und dann Ende 1988/Anfang 1989 seine Arztpraxis in diese Wohnung verlegt hat, sowie daß die Erblasserin dem Praxisbetrieb widersprochen und zusammen mit anderen Wohnungseigentümern im Februar 1989 beim Amtsgericht gegen die Ehefrau des Beteiligten zu 2 ein Verfahren auf Unterlassung der Nutzung als Praxis eingeleitet hat, das in der Beschwerdeinstanz durch einen Vergleich beendet wurde.

Zu notarieller Urkunde vom 24.7.1989 erklärte die Erblasserin, sie habe dem Beteiligten zu 2 im Jahr 1980 in einem privatschriftlichen Testament einen Geldbetrag von 100.000 DM zugewandt gegen das Versprechen, daß dieser sie bis an ihr Lebensende unentgeltlich behandeln werde. Später sei es aus ihr nicht mehr erinnerlichen Umständen zum Abschluß des Erbvertrags am 5.9.1980 gekommen. Sie halte die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 und die Ersatzerbeinsetzung von dessen Ehefrau in diesem Vertrag für einen Verstoß gegen die guten Sitten und für nichtig. Vorsorglich trete sie gemäß § 2295 BGB vom Vertrag zurück. Nochmals vorsorglich fechte sie die Erbeinsetzung in diesem Vertrag „gemäß § 2281 i.V.m. § 2078 BGB in vollem Umfang an”, da sie „zu der Verfügung durch die irrige Annahme und Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Umstände (Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen … [= Beteiligter zu 2] und mir) bestimmt worden” sei. Eine Ausfertigung dieser Urkunde wurde dem Beteiligten zu 2 am 27.7.1989 z...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge