Leitsatz (amtlich)
Soll eine Betreuung ohne Einwilligung des Betreuten auf zusätzliche Aufgabenkreise erweitert werden, ist konkret für den zusätzlichen Aufgabenkreis festzustellen, daß der Betroffene krankheitsbedingt auch für den neu hinzukommenden Aufgabenkreis nicht dazu in der Lage ist, seine Angelegenheit selbst zu besorgen und seinen Willen frei zu bestimmen.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 1 S. 1, § 1908d Abs. 3
Verfahrensgang
LG Memmingen (Beschluss vom 30.10.2001; Aktenzeichen 4 T 1980/01) |
AG Neu-Ulm (Aktenzeichen XVII 346/00) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts Memmingen vom 30. Oktober 2001 wird aufgehoben, soweit er die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge betrifft.
II. Die Sache wird insoweit zu erneuter Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Memmingen zurückverwiesen.
III. Der Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde mit Wirkung ab 5. Dezember 2001 Prozeßkostenhilfe bewilligt.
Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwältin R. beigeordnet.
Tatbestand
I.
Für die Betroffene wurde am 14.2.2001 eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bestellt. Durch Beschluß vom 12.9.2001 erweiterte das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, entließ die bisherige Betreuerin und bestellte einen anderen Berufsbetreuer.
Das Landgericht hat am 30.10.2001 die Beschwerde der Betroffenen gegen diese Beschlüsse zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie nur noch die Aufhebung der Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge erreichen will.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig, § 27 Abs. 1 FGG. Es führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, soweit der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge betroffen ist.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene sei nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB zu Recht erfolgt. Die Betroffene sei aufgrund ihrer seit dem neunten Lebensjahr bestehenden Schwerhörigkeit und wegen fehlender Förderung in der Fähigkeit zur Ausbildung von Erfahrung und zum Erwerb kognitiver Fähigkeiten eingeschränkt. Sie leide deshalb an Verständnismängeln und eingeschränkter bzw. verzerrter Wahrnehmung und sei infolgedessen nicht dazu in der Lage, komplexere Angelegenheiten selbständig und in freier Selbstbestimmung zu tätigen; sie könne nur einfachere Abläufe organisieren und sachgerecht umsetzen. Die Erweiterung der Betreuung auch auf den Bereich Gesundheitsfürsorge sei erforderlich. Die Betroffene neige zu Depressionen und äußere Suizidabsichten, zusätzlich entwickele sich bei ihr eine Lichtallergie. Dennoch sei die Betroffene zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nicht bereit, sondern entziehe sich dieser. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme der früheren Betreuerin, der Stellungnahme einer Fachberaterin für Hörgeschädigte, der vom Amtsgericht durchgeführten persönlichen Anhörung der Betroffenen und einer amtsgerichtlichen Rücksprache mit dem Hausarzt der Betroffenen.
2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG; §§ 550, 561 ZPO a.F.) nicht stand. Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt.
a) Der Aufgabenkreis eines Betreuers ist zu erweitern, wenn dies erforderlich wird; hierfür gelten die Vorschriften über die Bestellung eines Betreuers entsprechend (§ 1908d Abs. 3 BGB). Die Erweiterung des dem Betreuer zugewiesenen Aufgabenkreises setzt demnach voraus, daß der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten auch im Bereich des weiter hinzukommenden Aufgabenkreises nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1 Satz 1, § 1908d Abs. 3 BGB; BayObLG FamRZ 1998, 453/454). Ohne das Einverständnis des Betroffenen ist die Anordnung einer Betreuung nur zulässig, wenn der Betroffene krankheits- oder behinderungsbedingt nicht imstande ist, seinen Willen frei zu bestimmen (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2000, 189; OLG Hamm FamRZ 2000, 494/496; OLG Köln FamRZ 2000, 908), d. h. seinen Willen unbeeinflußt von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919). Die erforderlichen Feststellungen sind aufgrund eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG) zu treffen; bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen, zumindest aber ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt (BayObLG FamRZ 1993, 351/352).
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend beachtet. Das Landgericht hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen,...