Leitsatz (amtlich)
1. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts in Handelssachen nach dem FGG knüpft an den Sitz einer Handelsgesellschaft an.
2. Auch nach der Gründungstheorie kann das Personalstatut der Gründervereinigung einer Aktiengesellschaft dem Recht des fremden Staates, in dem die Rechtsfähigkeit erworben und der Sitz begründet werden sollten, dann nicht folgen, wenn sich die Gründervereinigung vor Eintragung der errichteten Gesellschaft in das Handelsregister wiederaufgelöst hat, nachdem sie ihren Verwaltungssitz an einem im Inland gelegenen Ort begründet hatte.
3. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts zur Bestellung eines gerichtlichen Abwicklers bestimmt sich für die vor Eintragung ins Handelsregister in Abwicklung getretene Gründervereinigung nicht nach dem satzungsmäßigen Sitz der geplanten – nicht entstandenen – Aktiengesellschaft, sondern nach dem Ort, wo die Hauptverwaltung der Gründervereinigung geführt wurde.
4. Für die zwar errichtete, aber noch nicht eingetragene Aktiengesellschaft, die im Gründungsstadium in Liquidation getreten ist, kann ein gerichtlicher Abwickler nicht bestellt werden; § 206 Abs. 2 Satz 1 AktG ist nicht anwendbar.
5. Hat die Gründervereinigung einer Aktiengesellschaft vor deren Eintragung das Grundhandelsgewerbe der künftigen juristischen Person in vollkaufmännischem Umfang aufgenommen, betreibt sie aber die Eintragung gleichwohl ernsthaft weiter, so ist sie keine offene Handelsgesellschaft. Ob und in welchem Umfang in diesem Fall gleichwohl einzelne Vorschriften des Rechts der offenen Handelsgesellschaft anzuwenden sind, ist nach den Bedürfnissen des einzelnen Falles zu entscheiden. Maßgebend hierfür ist in erster Linie das Interesse der Gläubiger.
6. Für die Bestellung eines gerichtlichen Abwicklers in sinngemäßer Anwendung des § 146 Abs. 2 HGB besteht in einem solchen Fall grundsätzlich kein Bedürfnis.
Normenkette
FGG § 145; AktG §§ 5, 22, 206; HGB § 146
Tatbestand
I.
1. Zu Urkunde des Notars Dr. L. in Linz vom 29.6.1963 errichteten die in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Gunter L., Friedrich G. und Karl R. zusammen mit den in Österreich wohnhaften Viktor K. und Kurt H. die G.-Aktiengesellschaft. Gegenstand des Unternehmens sollte nach § 3 der Satzung „die Herstellung, die Montage und der Vertrieb von Maschinen und Maschinenteilen, Aggregaten, Geräten, Zubehör und Ausrüstungen zur Nutzung fester, flüssiger und gasförmiger Medien sowie elektrischer Kraft für Zwecke der Heizung, Kühlung und Lüftung” sein.
Die Gründer stellten die Satzung der künftigen Aktiengesellschaft fest, übernahmen die Aktien und bestellten einen Aufsichtsrat. Dieser berief den Rechtsanwalt Peter H. in R. und den Ingenieur Hans K. aus G. am Chiemsee zu Mitgliedern des ersten Vorstands und beschloß, daß die Gesellschaft schon vor der Eintragung ins Handelsregister ihre Geschäftstätigkeit aufnehmen solle. In § 2 der Satzung bestimmten die Gründer Salzburg als Sitz der künftigen Aktiengesellschaft; sie wurde aber dort ins Handelsregister nicht eingetragen.
2. Am 21.4.1964 beantragte der Gründer R. beim Amtsgericht Rosenheim, das Konkursverfahren über das Inlandsvermögen der Firma G. zu eröffnen. Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab, da die werdende Aktiengesellschaft nicht konkursfähig sei. Die Beschwerde hiergegen hat das Landgericht T. zurückgewiesen. Es bejahte zwar die Konkursfähigkeit der Gründervereinigung, verneinte aber das Antragsrecht des Gründers. In sinngemäßer Anwendung des § 208 Abs. 1 KO stehe dieses Recht außer den Konkursgläubigern nur den Vorstandsmitgliedern und den Liquidatoren zu. Dieser Beschluß ist nicht angefochten worden.
3. Nunmehr beantragte der Gründer R. beim Amtsgericht Traunstein, für die Firma G.-Aktiengesellschaft in Gründung gemäß § 206 Abs. 2 AktG einen gerichtlichen Abwickler zu bestellen. Zur Begründung trug er vor:
Die Verwaltung der G.-Aktiengesellschaft in Gründung sei niemals in Salzburg, sondern in Rosenheim geführt worden. Dort sei auch die Geschäftstätigkeit aufgenommen worden, die bis Ende Januar 1964 zu einer Schuldenlast von rund 67.000 DM geführt habe. In einer Gesellschafterversammlung vom 23.12.1963 hätten die Gründer K. und H. den Rücktritt von der Gründungsvereinbarung erklärt, da das Vorstandsmitglied K. sie über die Beschaffung des Aktienkapitals arglistig getäuscht habe. Rechtsanwalt H. habe am 7.1.1964 sein Amt als Vorstand niedergelegt. Da sich K. nunmehr in Untersuchungshaft befinde, sei die Gesellschaft handlungsunfähig. In einer Gesellschafterversammlung vom 11.4.1964 hätten sich die Gründer über die Bestellung eines Abwicklers nicht einigen können. Das Gericht müsse daher in sinngemäßer Anwendung des § 206 Abs. 2 AktG einen Abwickler bestellen. Zuständig hierfür sei das Amtsgericht Traunstein, da die abzuwickelnde Gesellschaft in dessen Bezirk ihren Verwaltungs- und Betriebssitz gehabt habe.
4. Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluß vom 8.10.1964 zurückgewiesen. Nicht Traunstein, sondern Salzburg, als Gericht des satzungsmäßigen ...