Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhebung einer Widerklage bei dem für die Hauptklage örtlich unzuständigen Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erhebung einer Widerklage bei dem für die Hauptklage örtlich unzuständigen Gericht steht einer Gerichtsstandsbestimmung (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) für die Klage nicht entgegen.
2. Mit Bestimmung des zuständigen Gerichts für die Klage wird dieses unter den Voraussetzungen des § 33 ZPO auch für die bereits erhobene Widerklage zuständig.
Normenkette
EGZPO § 9; EuGVVO Art. 8; StVG § 20; ZPO §§ 32-33, 36 Abs. 1 Nr. 3, §§ 59-60, 145 Abs. 2, §§ 281, 504, 506
Tenor
Als (örtlich) zuständiges Gericht für den Rechtsstreit wird das Amtsgericht Neuruppin bestimmt.
Gründe
I. Der im Bezirk des Amtsgerichts Ahlen wohnhafte Kläger nimmt die beiden Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am 4. Juli 2018 in Polen ereignet hat.
Die zum Amtsgericht Coburg erhobene Klage vom 3. Dezember 2019 richtet sich nur gegen die Beklagte zu 1), die im Bezirk dieses Gerichts ihren Sitz hat. Nach dem Klagevorbringen ist der im Amtsgerichtsbezirk Neuruppin wohnhafte Beklagte zu 2) der Fahrer des unfallverursachenden Motorrads gewesen, das bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist. Nachdem die Beklagte zu 1) den Fahrer des bei ihr versicherten Motorrads als Zeugen benannt hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. Februar 2020 die Klage auf ihn erweitert.
Mit Verfügung vom 26. Februar 2020 hat das Amtsgericht Coburg gemäß § 504 ZPO darauf hingewiesen, dass es für den Beklagten zu 2) derzeit unzuständig sei.
Mit Schriftsatz vom 5. März 2020 hat der Prozessbevollmächtigte, der sich bereits für die Beklagte zu 1) bestellt hatte, angezeigt, auch den Beklagten zu 2) zu vertreten. Mit Schriftsatz vom 12. März 2020 hat der Beklagte zu 2) durch einen anderen, seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten Widerklage erhoben, mit der er vom Kläger - wegen desselben Unfalls - die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von 1.700,00 EUR verlangt, und zugleich beantragt, die gegen ihn erhobene Schadensersatzklage sowie die Widerklage an das Landgericht Neuruppin zu verweisen. Mit Schriftsatz vom 17. März 2020 hat der Prozessbevollmächtigte, der auch die Beklagte zu 1) vertritt, angekündigt, der Beklagte zu 2) werde sich rügelos einlassen. Mit Schriftsatz vom 2. April 2020 hat dieser Prozessbevollmächtigte für den Beklagten zu 2) das Mandat niedergelegt.
Der Kläger hat darauf im Schriftsatz vom 20. April 2020 die Ansicht vertreten, "im Hinblick auf die Zuständigkeit sei unabhängig von der Bindungswirkung der Erklärungen des bisherigen Prozessbevollmächtigten auch die Zuständigkeit gem. § 33 ZPO bzgl. der Widerklage" des Amtsgerichts Coburg gegeben. Hilfsweise - für den Fall, dass das angerufene Gericht eine abweichende Auffassung vertrete - hat der Kläger einen Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestellt. Die Norm dürfte jedoch - so der Kläger - nach Anhängigkeit der Klage nicht anwendbar sein.
Zu dem von der Beklagten zu 1) beim Landgericht Coburg gestellten Antrag, das zuständige Gericht zu bestimmen, hat das Gericht darauf hingewiesen, dass das Bayerische Oberste Landesgericht für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig sei. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 erklärt, mit der Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das Bayerische Oberste Landesgericht einverstanden zu sein und im Hinblick auf die Klageerweiterung vorsorglich einen Verweisungsantrag an das Landgericht Neuruppin gestellt. Das Landgericht Coburg hat das Bestimmungsverfahren auf entsprechenden Antrag der Beklagten zu 1) mit Beschluss vom 28. Mai 2020 an das Bayerische Oberste Landesgericht verwiesen.
Auf richterlichen Hinweis hat die Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 12. Juni 2020 ihren Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zurückgenommen.
Auf die Bitte um Klarstellung, ob die Schriftsätze vom 20. April 2020 und vom 11. Mai 2020 dahingehend zu verstehen sind, dass die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts beantragt wird, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Juni 2020 die Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts durch das Bayerische Oberste Landesgericht beantragt.
II. Der Senat bestimmt auf Antrag des Klägers das Amtsgericht Neuruppin als das für den Rechtsstreit einheitlich örtlich zuständige Gericht.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist jedenfalls gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig, weil sich der Instanzenzug hier nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten richtet, so dass das gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris Rn. 6 ff.), und ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
a) Der Kläger hat...