Entscheidungsstichwort (Thema)
Testierfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die Alkoholsucht ist für sich noch keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, die zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führt. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung der Testamente mit Alkohol und/oder Medikamenten intoxikiert gewesen ist.
Normenkette
BGB § 2229 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Beschluss vom 18.01.2002; Aktenzeichen 22 T 210/01) |
AG Bad Kissingen (Aktenzeichen VI 123/00) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3 wird der Beschluß des Landgerichts Schweinfurt vom 18. Januar 2002 in Ziff. I und II aufgehoben und die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Schweinfurt zurückverwiesen.
II. Den Beteiligten zu 1 bis 3 einerseits und dem Beteiligten zu 5 andererseits wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozeßkostenhilfe bewilligt. Den Beteiligten zu 1 bis 3 wird Rechtsanwalt … dem Beteiligten zu 5 Rechtsanwalt … beigeordnet.
III. Die Beteiligten zu 1 bis 3 und der Beteiligte zu 5 haben den jeweils auf sie entfallenden Anteil an den Verfahrenskosten aus ihrem Vermögen zu erstatten, soweit ihnen aufgrund dieses Verfahrens Geldmittel zufließen und diese das Schonvermögen gemäß § 88 BSHG übersteigen.
Tatbestand
I.
Der im Alter von 48 Jahren zwischen dem 23. und 26.2.2000 verstorbene Erblasser war mit der Beteiligten zu 1 verheiratet; aus der Ehe entstammen zwei Kinder, die Beteiligten zu 2 und 3. Der Beteiligte zu 4 ist ein außereheliches Kind, der Beteiligte zu 5 ist der ältere Bruder des Erblassers.
Der Erblasser litt unter einer langjährigen schweren Alkoholkrankheit mit Arzneimittelabusus (Clomethiazol). Er verweilte zu wiederholten Entgiftungen und Therapien in verschiedenen Kliniken. Allein in dem Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie (KPP) A wurde er dreizehnmal über längere Zeit stationär behandelt. Aus dieser Klinik wurde er nach seinem zwölften Aufenthalt am 30.9.1999 entlassen. Er begab sich in sein Wohnanwesen; seine Frau und seine Kinder lebten bereits zu diesem Zeitpunkt von ihm getrennt.
Unter dem Datum 1.10.1999 verfaßte der Erblasser folgende privatschriftliche Testamente:
(Testament 1)
Hiermit übergebe ich meiner Frau … und Ihre meine Kinder (Beteiligte zu 1 bis 3), mein Vermögen.
Unterschrift
Zeuge. (Unterschrift) … S. … S.
(Testament 2)
Ich hiermit vermachte ich meinen Bruder mein ganzes Vermögen, meinen Bruder (Beteiligter zu 5) Unterschrift
Zeuge (Unterschrift) … W. … (Beteiligter zu 5)
Das Vormundschaftsgericht ordnete mit Beschluß vom 22.11.1999 die vorläufige Unterbringung des Erblassers im KPP A an. Mit Beschluß vom 25.11.1999 bestellte es den Beteiligten zu 5 zu seinem Betreuer. Der Erblasser hielt sich vom 17.11.1999 bis 17.2.2000 im KPP A zum dreizehnten Mal auf und verstarb wenige Tage nach seiner Entlassung.
Die Beteiligte zu 1 beantragte, gestützt auf das Testament 1, einen Erbschein, der sie und die Beteiligten zu 2 und 3 als Erben zu je 1/3 ausweisen sollte. Diesen Antrag wies das Amtsgericht mit Beschluß vom 22.3.2000 zurück mit der Begründung, der Erblasser sei am 1.10.1999 aufgrund seiner langjährigen Alkoholerkrankung nicht mehr testierfähig gewesen; es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Im Hinblick darauf stellte die Beteiligte zu 1 den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins entsprechend der gesetzlichen Erbfolge, der bezeugen sollte, daß sie zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 bis 4 zu je 1/6 Erben geworden seien. Der Beteiligte zu 5 beantragte einen Erbschein, der ihn aufgrund des Testaments 2 als Alleinerben ausweisen sollte. Mit Beschluß vom 7.6.2000 wies das Nachlaßgericht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 5 zurück und ordnete die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 1 (1/2) und der Beteiligten zu 2 bis 4 (je 1/6) aufgrund gesetzlicher Erbfolge an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 5 wies das Landgericht mit Beschluß vom 12.9.2000 zurück. Das Nachlaßgericht erteilte am 17.10.2000 den seinem Beschluß vom 7.6.2000 entsprechenden Erbschein.
Am 27.10.2000 beantragte der Beteiligte zu 5, gemäß § 18 FGG die nachlaßgerichtliche Entscheidung vom 7.6.2000 im Hinblick darauf zu überprüfen, daß bislang zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers am 1.10.1999 kein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei. Das Nachlaßgericht holte daraufhin ein Sachverständigengutachten des Leiters des KPP A, eines Arztes für Nervenheilkunde und Psychotherapie, ein, der – ohne abschließend zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers am 1.10.1999 Stellung zu nehmen – den Erblasser unter der Voraussetzung für testierfähig gehalten hat, daß dieser zum fraglichen Zeitpunkt nicht mit Alkohol oder Clomethiazol intoxikiert war. Mit Beschluß vom 26.7.2001 wies das Nachlaßgericht den auf Aufhebung des Beschlusses vom 7.6.2000 und auf Erteilung eines Erbscheins gerichteten Antrag des Beteiligten zu 5 zurück. Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 5 Beschwer...