Leitsatz (amtlich)
Ein aus drei Personen bestehender Aufsichtsrat kann einen Antrag auf Abberufung eines Mitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG nicht wirksam beschließen, weil das betroffene Mitglied nicht stimmberechtigt ist. In einem solchen Fall kann der Aufsichtsrat durch gerichtliche Entscheidung ergänzt und so die Beschlussfähigkeit hergestellt werden.
Normenkette
AktG § 103 Abs. 3, § 108 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 17 HK T 14163/02) |
Tenor
I. Der Beschluss des LG München I vom 26.9.2002 und der Beschluss des AG München vom 18.7.2002 werden aufgehoben.
II. Der Antrag auf Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds A. wird abgelehnt.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Betroffene ist eine seit September 2000 am Neuen Markt notierte AG, die sich im Wesentlichen mit der Entwicklung und Herstellung von Kartensystemen befasst. Der Antragsgegner A. ist ein von der Gründungsversammlung gewähltes Mitglied des Aufsichtsrates der Betroffenen. Die Satzung der Betroffenen trifft in Kapitel IV Regelungen zum Aufsichtsrat. gem. § 10 besteht der Aufsichtsrat der Betroffenen aus drei Mitgliedern, die von der Hauptversammlung gewählt werden.
§ 13 regelt die Beschlussfassung. Nach § 13 Nr. 2 ist der Aufsichtsrat beschlussfähig, wenn alle Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen. Nach § 13 Nr. 4 werden Beschlüsse des Aufsichtsrates mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Stimmenthaltungen werden als Nein-Stimmen gewertet. Nach § 13 Nr. 5 kann die Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses nur innerhalb eines Monats nach Kenntnis des Beschlusses durch Klage geltend gemacht werden.
Am 15.9.2001 lud der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Betroffenen zu einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung ein, die am 4.10.2001 stattfand (Anlage ASt 16). Als TOP 4.1 war unter „Sonstiges” vorgesehen: Beschlussfassung über einen Antrag auf Abberufung des AR-Mitglieds A. In der Sitzung vom 4.10.2001, an der alle drei Aufsichtsratsmitglieder der Betroffenen teilnahmen, fasste der Aufsichtsrat nach Erörterung folgenden Beschluss:
„Der Aufsichtsrat wird einen Antrag auf gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds A. aus wichtigem Grund stellen.”
Für diesen Antrag stimmten der Aufsichtsratsvorsitzende B. sowie das Aufsichtsratsmitglied C. Der Antragsgegner stimmte dagegen. Der Aufsichtsratsvorsitzende stellte daraufhin fest, dass der Antrag mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden sei.
Am 16.10.2001 reichte der Aufsichtsrat der Betroffenen, vertreten durch den Vorsitzenden, den Antrag auf Abberufung des Antragsgegners beim zuständigen AG ein. Mit Beschluss vom 18.7.2002 gab das AG dem Antrag statt. Mit Schriftsatz vom 2.8.2002 legte der Antragsgegner hiergegen sofortige Beschwerde ein. Noch während des Beschwerdeverfahrens bestellte das AG mit Beschluss vom 12.9.2002 D. zum Aufsichtsrat der Betroffenen. Der Aufsichtsrat sei auf Antrag zu ergänzen, da er nach Abberufung des Antragsgegners nicht mehr beschlussfähig sei. Das Bestellungsverfahren ist derzeit noch in zweiter Instanz vor dem LG anhängig.
In vorliegender Sache hat das LG die sofortige Beschwerde des Antragsgegners mit Beschluss vom 26.9.2002 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners.
II. Das zulässige Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde (§§ 29 Abs. 2, 145, 146 Abs. 2 S. 1 FGG; § 103 Abs. 3 S. 4 AktG) ist begründet.
1. Der Antragsgegner ist als erfolgloser Erstbeschwerdeführer unabhängig von der Zulässigkeit seiner Erstbeschwerde beschwerdebefugt (vgl. Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 9. Aufl., § 27 FGG Rz. 7).
2. Zu Recht hat das LG festgestellt, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners nicht bereits in der Beschwerdeinstanz entfallen ist. Das AG hat zwar ein neues drittes Mitglied des Aufsichtsrates bestellt, das an die Stelle des Antragsgegners getreten ist. Ein Fall der Erledigung der Hauptsache mit entsprechender Rechtsfolge (vgl. Bassenge Einleitung FGG Rz. 129) liegt gleichwohl nicht vor, weil das Amt des neuen Mitglieds nach § 104 Abs. 5 AktG endet, sobald der Mangel, der zu der Bestellung geführt hat, behoben ist. Bei einem wegen unvollständiger Besetzung ergänzten Aufsichtsrat ist der Mangel behoben, wenn die durch Gesetz oder Satzung festgelegte Zahl von Mitgliedern des Aufsichtsrates von den dazu Berechtigten bestellt worden ist (vgl. Geßler/Hefermehl, AktG, § 104 Rz. 45). Entsprechendes muss gelten, wenn ein abberufenes Aufsichtsratsmitglied seine Rechte durch eine stattgebende Rechtsmittelentscheidung wiedererlangt hat (vgl. dazu Hüffer, AktG, 5. Aufl., § 103 Rz. 13). Das Rechtsmittelverfahren hat deshalb nicht schon durch eine gerichtliche Komplettierung des Aufsichtsrates seinen Sinn verloren (vgl. dazu Bassenge, Einleitung FGG, Rz. 118 ff. m.w.N.). Anderes dürfte gelten, wenn das Amt des Abberufenen durch das zuständige Wahlorgan der Gesellschaf...