Leitsatz (amtlich)
Für die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit eines Erblassers mit tschechischer und französischer Staatsbürgerschaft mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die für die Bindung zu dem einen oder dem anderen Staat von Bedeutung sind.
Verfahrensgang
LG Kempten (Beschluss vom 30.07.2004; Aktenzeichen 41 T 2650/03) |
AG Kaufbeuren (Beschluss vom 23.10.2003; Aktenzeichen VI 314/02) |
Tenor
I. Der Beschluss des LG Kempten (Allgäu) v. 30.7.2004 und der Beschluss des AG Kaufbeuren - Zweigstelle Füssen - v. 23.10.2003 werden aufgehoben.
II. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbschein v. 23.10.2003 einzuziehen.
III. Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das AG Kaufbeuren - Zweigstelle Füssen - zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Erblasser, der zuletzt im Allgäu lebte, ist am 29.8.2002 in Augsburg verstorben. Der Erblasser war dreimal verheiratet. Die erste und die zweite Ehe ging der Erblasser jeweils mit einer tschechoslowakischen Staatsangehörigen ein. In dritter Ehe war er mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet. Die erste Ehe wurde durch Beschluss des Bezirksgerichts Prag 10 im Jahr 1974, die zweite durch Beschluss des Bezirksgerichts Jindrichuv Hradec im Jahr 1980 geschieden. Die Scheidung der dritten Ehe erfolgte durch Urteil des LG Colmar v. 8.11.1983.
Aus der ersten Ehe ging die Beteiligte zu 2), aus der zweiten Ehe die Beteiligte zu 3) hervor. Die dritte Ehe blieb kinderlos. Die Beteiligte zu 2) lebt in Deutschland, die Beteiligte zu 3) lebt in der Tschechischen Republik. Dort lebt auch die Beteiligte zu 4), die Stiefmutter des Erblassers.
Der in Böhmisch Budweis geborene Erblasser besaß sowohl die französische als auch die tschechische Staatsbürgerschaft.
Der Erblasser hinterließ ein handschriftlich geschriebenes und unterschriebenes Testament mit Datum 27.1.2002. Es hat folgenden Inhalt:
Testament
Ich setze hiermit Frau D. (Beteiligte zu 1)), Litauen, zu meinem Erben ein.
Die in diesem Testament begünstigte Person war die Lebensgefährtin des Erblassers.
Bei den Akten befindet sich ferner die Fotokopie eines Testaments v. 12.12.2001, welches die Beteiligten zu 2) und 4) begünstigt.
Der Erblasser besitzt Grundvermögen in der Tschechischen Republik. Er besitzt auch Vermögen im Inland.
Am 8.1.2003 beantragte die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin. Das Nachlassgericht kündigte nach Erholung zweier Gutachten zum anwendbaren Erbstatut mit Schreiben v. 12.8.2003 einen Erbschein mit dem Inhalt an, dass die Beteiligte zu 1) den Erblasser aufgrund des Testaments v. 27.1.2002 allein beerbt habe und sich der Erbschein nicht auf das in Tschechien belegene unbewegliche Vermögen erstrecke. Gegen diesen Vorbescheid legten die Beteiligten zu 2) und 3) Beschwerde ein, über die nicht entschieden wurde. Die Beschwerdeführer machten insb. geltend, dass dem Erblasser die Testierfähigkeit bei Abfassung des Testaments v. 27.1.2002 gefehlt habe. Nach ergänzenden Ermittlungen zur Testierfähigkeit erteilte das Nachlassgericht der Beteiligten zu 1) mit Beschluss v. 23.10.2003 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist. Eine gegenständliche Beschränkung erfolgte nicht mehr.
Die Beteiligte zu 2) legte hiergegen Beschwerde ein, der nicht abgeholfen wurde. Die Beteiligte zu 3) schloss sich der Beschwerde im Laufe des Beschwerdeverfahrens an. Nach Ermittlungen zur Testierfähigkeit des Erblassers hat das LG die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) mit Beschluss v. 30.7.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3).
II. Die zulässigen Rechtsmittel haben in der Sache Erfolg.
1. Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur mehr der Erbschein v. 23.10.2003 ist. Nach Erteilung dieses Erbscheins ist der Vorbescheid v. 12.8.2003 überholt. Das auf seine Aufhebung gerichtete Beschwerdeverfahren ist gegenstandslos geworden (BayObLG v. 2.6.1982 - BReg. 1 Z 45/81, BayObLGZ 1982, 236 [239]; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 9. Aufl., § 84 FGG Rz. 17).
2. Die weiteren Beschwerden sind begründet.
a) Der Erbschein v. 23.10.2003 ist einzuziehen, weil er unrichtig ist (§ 2361 Abs. 1 S. 1 BGB). Er wurde offenbar unter Zugrundelegung des französischen Rechts als Erbstatut erteilt. Danach hätte aber, da der Nachlass in der Tschechischen Republik belegenes Grundvermögen umfasst, die nach französischem Recht eingreifende Nachlassspaltung in dem Erbschein Niederschlag finden müssen (Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2361 Rz. 3). Zwar hat der Entwurf des Erbscheins v. 12.8.2003 noch die Einschränkung enthalten, dass sich der Erbschein nicht auf das in der Tschechischen Republik belegene unbewegliche Vermögen erstreckt. Der am 23.10.2003 tatsächlich erteilte Erbschein enthielt diese Einschränkung jedoch nicht mehr.
b) Das Beschwerdegericht hat die Frage des Erbstatuts zu Unrecht nicht behandelt, sondern sich ausschließlich mit der Frage der Testierfähig...