Entscheidungsstichwort (Thema)
Testamentsauslegung
Leitsatz (redaktionell)
Der Begriff des „gleichzeitgen” Todes erfaßt nach seinem Wortsinn nur den seltenen Ausnahmefall, dass der Tod mehrerer Personen im selben Bruchteil einer Sekunde eintritt. In einem gemeinschaftlichen Testament werden mit den Worten „gleichzeitiger Tod” oder „gleichzeitiges Versterben” in der Regel Fallgestaltungen umschrieben, in denen beide Ehegatten in einem kurzen zeitlichen Abstand nacheinander versterben, sei es aufgrund ein und desselben äußeren Ereignisses, etwa eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen.
Normenkette
BGB §§ 133, 2269
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 12.12.1995; Aktenzeichen 13 T 5147/95) |
AG Nürnberg (Aktenzeichen VI 1324/94) |
Tenor
I. Die weiteren Beschwerden des Beteiligten zu 14 und der Beteiligten zu 17 gegen den Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12. Dezember 1995 werden zurückgewiesen.
II. Der Beteiligte zu 14 und die Beteiligte zu 17 haben den Beteiligten zu 1 und 2 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Wert der weiteren Beschwerden wird auf jeweils 13 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Erblasserin war kinderlos. Ihr (zweiter) Ehemann ist im Jahr 1991 vorverstorben. Dessen Nichte und Großnichte sind die Beteiligte zu 1 und deren Tochter, die Beteiligte zu 2; beide leben in Argentinien. Als gesetzliche Erben kommen die Beteiligten zu 3 bis 30 in Betracht. Die Beteiligten zu 3 bis 25 sind Abkömmlinge der Eltern des Vaters der Erblasserin, die Beteiligten zu 26 bis 30 Abkömmlinge ihrer Großeltern mütterlicherseits.
Die Erblasserin hat durch privatschriftliches Testament vom 20.10.1962 ihren Ehemann zum Alleinerben eingesetzt sowie bestimmt, ihr Bruder (der ohne Abkömmlinge vor der Erblasserin verstorben ist) und dessen Ehefrau seien enterbt. Außerdem hat die Erblasserin ein von ihrem Ehemann eigenhändig geschriebenes und unterzeichnetes Schriftstück vom 9.9.1976 mit unterschrieben. Es trägt die Überschrift:
Zusatz zu unserem Schreiben vom 20. Oktober 1962
„Mein letzter Wille”
und lautet:
Sollte mir und meiner Ehefrau …, gemeinsam was passieren und wir Beide mit dem Tod abgehen, so bestimmen wir, daß unsere nachstehende Nichte und Großnichte die Alleinerben sind,
… (Beteiligte zu 1)
… (Beteiligte zu 2)
Beide Personen sind durch beiliegende Dokumente ausgewiesen.
Beim Nachlaßgericht haben die Beteiligten zu 1 und 2 einen Erbschein des Inhalts beantragt, daß die Erblasserin von
ihnen je zur Hälfte beerbt worden sei. Sie haben sich auf das Testament vom 9.9.1976 und auf einen vom Ehemann der Erblasserin eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten Brief berufen, der der Beteiligten zu 1 anläßlich eines Besuchs übergeben worden sei. Das Schreiben lautet:
Liebe ….,
ich möchte Euch mitteilen, wenn Tante … (Erblasserin) und ich nicht mehr leben, wie Ihr in die Wohnung kommt. Den Schlüssel hat … ein weiterer Schlüssel liegt bei …
Ein Bank-Safe, ist bei der Stadt-Sparkasse … vorhanden. Der Schlüssel für Fach No. 6 … befindet sich in der Küche … Weitere Unterlagen im Bank-Order oben im Schrank. Die Sparbücher sind im Safe. Den Bank-Ordner in Ruhe durchsehen. Bei jeder Bank ist ein Depot mit Wertpapiere vorhanden. …
Für Anwesen Sa. sind oben im Schrank 2 Ordner mit Unterlagen. …
Für Se. müßt Ihr alles dort erledigen und befinden sich die Unterlagen in der braunen Aktentasche. Bei der
R.-Kasse in Se. ist ebenfalls ein Wertpapier Depot sowie ein Sparbuch vorhanden. Wendet Euch an W., der auch der Verwalter für die Wohnung in Se. ist. …
Wir hoffen, daß Euch diese Zeilen einmal eine Hilfe sein werden.
Euer
Onkel J. und Tante E.
N. 5. Okt. 1986
Die Erblasserin hat der Unterschrift ihres Ehemanns eigenhändig die Worte „und Tante E.” angefügt.
Die Mehrzahl der als gesetzliche Erben in Betracht kommenden Beteiligten ist dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 und 2 entgegengetreten. Das Nachlaßgericht hat diesen Erbscheinsantrag mit Beschluß vom 28.10.1994 zurückgewiesen und festgestellt, es trete gesetzliche Erbfolge ein. Die Erbeinsetzung vom 9.9.1976 habe lediglich für den Fall des gemeinsamen gleichzeitigen Versterbens der Eheleute gelten sollen; das Schreiben vom 5.10.1986 sei nicht als Testament anzusehen. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben Beschwerde eingelegt. Durch Beschluß vom 12.12.1995 hat das Landgericht die Entscheidung des Nachlaßgerichts aufgehoben und dieses angewiesen, den Beteiligten zu 1 und 2 den von ihnen beantragten Erbschein zu erteilen. Hiergegen richten sich die weiteren Beschwerden des Beteiligten zu 14 und der Beteiligten zu 17. Die Beteiligten zu 1 und 2 treten den Rechtsmitteln entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässigen weiteren Beschwerden haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Der „Zusatz” vom 9.9.1976 sei ein formgültiges gemeinschaftliches Testament der Ehegatten. Die darin ausgesprochene
Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 sei nicht auf den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Testierenden beschränkt. Diese Aus...