Leitsatz (amtlich)
1. Zur Einziehung eines aufgrund eines 1940 errichteten Testaments der Ehefrau des Erblassers erteilten Erbscheins, wenn sich der Sohn des Erblassers 50 Jahre später auf eine andere mögliche Testamtentsauslegung stützt.
2. Zur Auslegung des Begriffs Universalerbe (Abgrenzung von Vollerbschaft zur Vor- oder Nacherbschaft).
Normenkette
BGB §§ 133, 2100, 2361
Verfahrensgang
LG Deggendorf (Beschluss vom 16.08.1995; Aktenzeichen T 55/95) |
AG Osterhofen (Beschluss vom 26.01.1995; Aktenzeichen VI 67/42) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts Deggendorf vom 16. August 1995 aufgehoben.
II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Deggendorf vom 26. Januar 1995 wird zurückgewiesen.
III. Der Beteiligte zu 2 hat die der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht entstandenen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 10.000.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der 1913 geborene Erblasser war das fünfte von sieben Kindern. Er hatte von seinem 1937 vorverstorbenen ältesten Bruder das Familienvermögen geerbt, das hauptsächlich aus Grundbesitz bestand. Im Jahr 1940 heiratete er die damals 17 Jahre alte Beteiligte zu 1. Aus der Ehe stammt der im Jahr 1941 geborene Beteiligte zu 2. Im Jahr 1942 ist der Erblasser im Krieg gefallen.
Der Erblasser hat drei privatschriftliche Testamente hinterlassen. In dem ersten Testament vom 9.9.1937 hat er folgendes bestimmt:
Für den Fall meines Todes ordne ich an:
Vorerbe soll mein ältester Bruder A., Nacherbe dessen ältester Sohn werden, sofern dieser aus einer standesgemäßen Ehe hervorgeht. Der Nacherbe soll nicht vor dem Tod des Vorerben und nicht vor Erreichung seines 25. Lebensjahres das Erbe erhalten. Das Erbe soll ihm ausserdem nur ausgefolgt werden, wenn er nach Erziehung u. Veranlagung Gewähr für eine ordnungsmässige Vermögensverwaltung bietet und einen seiner Erziehung entsprechenden Beruf ergriffen hat.
Der Vorerbe hat bis zu seinem Tode die Nutzniessung des gesamten von mir hinterlassenen Vermögens.
Als Ersatzerben bestimme ich für den Fall, …
Ich will dass das von mir hinterlassene Vermögen stets in einer Hand bleibt und nicht zersplittert wird und dass jeweils der Erstgeborene es erhält.
…
Diese Bestimmungen hat der Erblasser durch ein zweites Testament vom 4.9.1939 in wesentlichen Punkten abgeändert und folgendes verfügt:
In Abänderung meines Testamentes vom 9.9.1937. Ist mein letzter Wille: Mein Erbe soll mein Bruder B sein. Falls er vor mir verstirbt soll mein Bruder A der Erbe werden u. falls auch dieser den Erbfall nicht erlebt soll mein Bruder C an seine Stelle treten.
Sollte auch mein Bruder C den Erbfall nicht erleben, so soll mein Vetter D. den Nachlass Erhalten unter folgenden Auflagen: …
Jeder meiner Erben hat nur die Rechtsstellung des Vorerben während Nacherbe der jeweils überlebende ältere Bruder wird wenn er den Erbfall erlebt, oder dessen ältester Sohn. Nach meinem Vetter D soll jedoch Nacherbe sein im Alter folgender Bruder werden.
Unter allen Umständen ist die Substanz des Vermögens zu erhalten, der Vorerbe hat nur die Nutzniessung. Er muss den Nachlaß ordnungsmässig verwalten.
…
Nach seiner Eheschließung hat der Erblasser in seinem dritten Testament vom 26.5.1940 folgendes bestimmt:
Durch die wegen meiner Heirat mit … (Beteiligte zu 1) neu geschaffene Lage ändere ich mein Testament vom 4. Sept. 1939 folgendermassen ab:
Falls aus meiner Ehe mit … (Beteiligte zu 1)
eine Nachkommenschaft hervorgeht oder zu erwarten ist so soll Sie meine Universalerbin sein. Sollte jedoch meine Linie im Mannesstamme aussterben so bestimme ich wie folgt:
Fall a: Meine Frau bleibt kinderlos.
In diesem Fall soll sie den ihr gesetzlich zustehenden Anteil an meinem Vermögen bekommen …
Fall b Aus meiner Ehe geht eine Tochter hervor. In diesem Fall gelten die gleichen Bestimmungen wie im Fall a ausgenommen wie folgt: In ihrem Testament soll meine Frau festsetzen dass mein Schmuck geteilt werden soll. Die eine Hälfte soll sie unserer Tochter vermachen, …
Fall c Meine Frau überlebt ihren aus unserer Ehe hervorgegangenen Sohn: In diesem Fall ist dem nach meinem Testament vom 4. Sept. 1939 sich ergebenden Vorerben mindestens soviel testamentarisch zu vermachen, wie er im Fall a resp. b. erhalten hätte.
…
Nach dem Tod des Erblassers fanden vor dem Nachlaßgericht drei Verhandlungen statt, an denen jeweils die Beteiligte zu 1, teilweise auch ihr anwaltlicher Vertreter und der jüngere Bruder des Erblassers, C teilnahmen. Es wurden die verschiedenen Möglichkeiten der Erbfolge (die Beteiligte zu 1 als alleinige unbeschränkte Erbin; der Beteiligte zu 2 als alleiniger unbeschränkter Erbe; die Beteiligte zu 1 als Vorerbin, der Beteiligte zu 2 als Nacherbe) erörtert. Am 9.9.1942 erteilte das Nachlaßgericht der Beteiligten zu 1 auf ihren Antrag einen Erbschein, wonach der Erblasser aufgrund der drei privatschriftlichen Testamente von ihr allein beerbt worden ist. Berei...