Leitsatz (amtlich)
Im Falle einer Beseitigung von Mehrstimmrechten durch Beschluss der Hauptversammlung besteht eine Ausgleichspflicht der Aktiengesellschaft nach § 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 2 EGAktG nur dann, wenn ein besonderer Wert der beseitigten Mehrstimmrechte im Sinne einer konkreten Vermögensmehrung bei dem betroffenen Aktionär feststellbar ist. Dieser trägt hierfür die Feststellungslast.
Normenkette
EGAktG § 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 5 HKO 16369/99) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des LG München I vom 14.9.2001, berichtigt durch Beschlüsse vom 11.10.2001 und vom 25.10.2001, aufgehoben. Der Antrag auf gerichtliche Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs für die Beseitigung von Mehrstimmrechten wird abgewiesen.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den vorbezeichneten Beschluss des LG München I wird zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Verfahrens. Sie hat der Antragstellerin die dieser erwachsenen notwendigen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert des Verfahrens erster Instanz und der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens werden auf je 40 Mio. Euro festgesetzt.
Gründe
I. 1. Die Antragsgegnerin ist eine Aktiengesellschaft, deren Grundkapital nach Maßgabe der Satzung 2.973.900.700 DM betrug (Stand von November 1998). Das Grundkapital war in 594.780.140 Stück Aktien im Nennbetrag von je 5 DM eingeteilt. Es setzte sich zusammen aus 9.236.340 Stück auf den Namen lautender Vorzugsaktien und 585.543.800 Stück auf den Inhaber lautender Stammaktien. Die Vorzugsaktien waren mit sechsfachem Stimmrecht nach Maßgabe von § 23 der Satzung ausgestattet. Zu ihrer Übertragung war gem. § 4 Abs. 3 S. 3 der Satzung die Zustimmung des Vorstands und des Aufsichtsrats erforderlich. Auf Verlangen des Aktionärs waren die Vorzugsaktien in Inhaberaktien umzuwandeln und erlangten dadurch in jeder Beziehung die rechtliche Stellung von Stammaktien. Ein Dividendenvorzug war mit den Vorzugsaktien nicht verbunden. Im Falle der Verteilung des Gesellschaftsvermögens waren Vorteile für die Stammaktionäre vorgesehen.
Alle Vorzugsaktien der Antragsgegnerin wurden treuhänderisch von der Antragstellerin gehalten. Zwischen der Antragstellerin, ihren Treugebern, einem bisherigen Treuhänder und der Antragsgegnerin bestand ein Bindungs- und Treuhandvertrag, der nähere Regelungen u.a. über die Ausübung des mit den Vorzugsaktien verbundenen Stimmrechts enthielt. Die Antragstellerin war hiernach gehalten, das Stimmrecht „einheitlich und nach pflichtgemäßem Ermessen zum Besten der AG und der Gesamtheit der Aktionäre” auszuüben. Über die Ausübung des Stimmrechts hatte die Antragstellerin dabei nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Für eine etwaige Übertragung von Mehrstimmrechtsaktien galten über die Bestimmungen der Satzung hinaus weitere einschränkende Regelungen. So waren zu veräußernde Aktien zunächst den übrigen Treugebern im Verhältnis 1 : 1 zum Tausch in Stammaktien anzubieten. Soweit eine Übernahme durch die Treugeber oder Dritte, die ggf. dem Bindungs- und Treuhandvertrag hätten beitreten müssen, nicht erfolgte, war die Antragstellerin berechtigt, die Umwandlung der Mehrstimmrechtsaktien in Stammaktien gem. Satzung der Antragsgegnerin zu veranlassen. Über diese Regelung hinaus blieb es dem Treugeber unbenommen, seinen Anspruch auf Herausgabe von Mehrstimmrechtsaktien gegen die Antragstellerin auf seinen Ehegatten, bestimmte Verwandte oder einen anderen Gesellschafter, dessen Ehegatten oder ehelichen Abkömmling zu übertragen. Der Erwerber war allerdings verpflichtet, mit den erworbenen Aktien dem Bindungs- und Treuhandvertrag beizutreten.
Der Bindungs- und Treuhandvertrag war bis 31.12.2006 befristet; die Treugeber waren berechtigt, über Änderungen und die Aufhebung des Vertrages vor Ablauf der Vertragsdauer zu beschließen.
Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin vom 18.2.1999 beschloss gegen die Stimmen der Antragstellerin die Beseitigung der Mehrstimmrechte aus den Vorzugsaktien sowie die Umwandlung dieser Aktien in Stammaktien. Für die Beseitigung der Mehrstimmrechte wurde ein Ausgleich von 0 DM pro Vorzugsaktie festgesetzt. Die Antragstellerin erklärte hiergegen Widerspruch zu Protokoll der Hauptversammlung.
Die Beschlüsse der Hauptversammlung wurden am 11.8.1999 in das Handelsregister eingetragen. Die Eintragungen wurden am 31.8.1999 bekannt gemacht.
Mit Schriftsatz vom 17.9.1999, eingegangen bei Gericht am 20.9.1999, stellte die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Bestimmung des angemessenen Ausgleichs für die Beseitigung der Mehrstimmrechte.
2. Das LG hat mit Beschluss vom 14.9.2001 als angemessenen Ausgleich einen Betrag von 0,70 Euro je Mehrstimmrecht festgesetzt. Das Gesetz gehe davon aus, dass das Stimmrecht einer Aktie grundsätzlich einen Geldwert besitze. Da die verfahrensgegenständlichen Mehrstimmrechtsaktien nicht börsennotiert gewesen und auch nicht gehandelt worden seien, sei ein Marktpreis...