Leitsatz (amtlich)
1. Nicht prorogationsfähige Personen können nach dem Entstehen einer Streitigkeit durch schriftliche und ausdrückliche Vereinbarung eine Regelung in Bezug auf die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs für diese Streitigkeit treffen.
2. Durch eine solche Parteivereinbarung kann dem bereits angerufenen und zuständigen Gericht die Zuständigkeit nicht nachträglich entzogen werden.
Verfahrensgang
AG Hersbruck (Aktenzeichen 5 C 160/23) |
AG Hannover (Aktenzeichen 531 C 4528/23) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Hersbruck.
Gründe
I. Der Kläger ist Inhaber eines Meisterbetriebs für Malerarbeiten und andere Handwerksleistungen. Er erhob bei dem Amtsgericht Hersbruck gegen die im Bezirk dieses Gerichts wohnhafte Beklagte eine Klage wegen ausstehenden Werklohns. Dazu trug er vor, er sei von der Beklagten zunächst mit verschiedenen Werkleistungen in ihrem Wohnhaus beauftragt worden. Nach Ausführung der Leistungen und Zahlung des hierfür vereinbarten Entgelts sei er mündlich mit weiteren Arbeiten beauftragt worden. Das hierfür vereinbarte Entgelt in Höhe der Klageforderung von insgesamt 2.336,38 EUR habe die Beklagte nicht bezahlt.
Nach Zustellung der Klage am 17. März 2023 unter der in der Klageschrift angegebenen Adresse zeigte die Beklagte ihre Verteidigungsbereitschaft an. Mit weiterem Schriftsatz teilte sie mit, dass "die Prozessbevollmächtigten in dieser Angelegenheit eine Gerichtsstandsvereinbarung für das Amtsgericht Hannover geschlossen haben". Dies sei "im Übrigen auch der gemeinsame Gerichtsstand, da sich das Bauvorhaben im Amtsgerichtsbezirk Hannover befindet". Sie "beantragte" die Verweisung an das "nunmehr örtlich zuständige" Amtsgericht Hannover. Auf die nachfolgende, im Wesentlichen gleichlautende Erklärung des Klägers vom 6. April 2023 erklärte sich das Amtsgericht Hersbruck mit Beschluss vom selben Tag für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Amtsgericht Hannover. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei örtlich unzuständig. Auf Antrag des Klägers habe sich das angegangene Gericht für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen.
Mit der Klageerwiderung machte die Beklagte geltend, die in Rede stehenden Arbeiten seien nicht in ihrem Wohnhaus in ..., sondern in ihrer Eigentumswohnung in Hannover auf der Grundlage eines schriftlichen Vertrags ausgeführt worden. Mündlich habe sie keine zusätzlichen Arbeiten in Auftrag gegeben.
Das Amtsgericht Hannover wies die Parteien auf seine Bedenken gegen die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses hin. Auf seine Anordnung, die Gerichtsstandsvereinbarung vorzulegen, wurde mitgeteilt, die Prozessbevollmächtigten hätten sich mit E-Mails vom 23. März 2023 und 5. April 2023 auf Hannover als Gerichtsstand geeinigt. Ein Ausdruck der Mails wurde vorgelegt.
Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht Hannover mit Beschluss vom 30. Juni 2023 seinerseits für örtlich unzuständig und legte den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht Nürnberg vor. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hersbruck sei willkürlich und deshalb nicht bindend. Er lasse jegliche über die teilweise Wiedergabe des Gesetzestextes des § 281 Abs. 1 ZPO hinausgehende Begründung vermissen. Zudem habe das verweisende Gericht weder seine eigene Zuständigkeit nach §§ 12, 13 ZPO erwogen noch sich mit der Frage der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sowie mit § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO beschäftigt.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Sache zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht weitergeleitet. Den Parteien ist im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II. Auf die zulässige Vorlage ist auszusprechen, dass für die Entscheidung des Rechtsstreits das Amtsgericht Hersbruck örtlich zuständig ist.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
Die mit der Sache befassten Gerichte haben sich im Sinne dieser Vorschrift "rechtskräftig" für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Hersbruck durch den nach Rechtshängigkeit der Streitsache ergangenen Verweisungsbeschluss vom 6. April 2023, das Amtsgericht Hannover durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 30. Juni 2023. Beide Beschlüsse sind den Parteien bekanntgegeben worden. Die in dieser Weise jeweils ausdrücklich ausgesprochene verbindliche Leugnung der eigenen örtlichen Zuständigkeit erfüllt mithin alle Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m.w.N.; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 34 ff.).
Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompeten...