Leitsatz (amtlich)
›1. Die Verfahrensvereinfachungen des beschleunigten Verfahrens gelten nicht für die Berufung.
2. Hat das Amtsgericht die besonderen Verfahrensvoraussetzungen des beschleunigten Verfahrens - unter anderem die Rechtsfolgenbeschränkung des § 419 Abs. 1 Satz 2 StPO - beachtet, ist das Berufungsgericht an einer über diese Rechtsfolgenbeschränkung hinausgehenden Sachentscheidung durch das Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses im Sinne von § 419 Abs. 3 StPO nicht gehindert. Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht kommt für das Berufungsgericht in solchen Fällen nicht in Betracht.‹
Tatbestand
Das Amtsgericht hat den Angeklagten (in einem auf Antrag der Staatsanwaltschaft durchgeführten "beschleunigten Verfahren") wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.
Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt; darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet, wobei die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Gegen das Urteil des Landgerichts wendeten sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft jeweils mit der Revision.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, ihrem Antrag und der Begründung nach, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe zu Unrecht nur Geldstrafe und nicht die veranlasste Freiheitsstrafe verhängt. Zudem habe das Landgericht mit der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die auch im Berufungsverfahren wirksame Rechtsfolgenbeschränkung des beschleunigten Verfahrens (§ 419 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht beachtet.
Letzteres rügt auch der Angeklagte mit seinem auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkten Rechtsmittel; darüber hinaus ist er der Ansicht, dass auch die inhaltlichen Voraussetzungen des § 64 StGB vom Landgericht zu Unrecht bejaht worden seien.
Dieses Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die wirksam auf die Anordnung der Maßregel beschränkte (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 344 Rn. 7; § 318 Rn. 25) Revision des Angeklagten ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet; die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
I. Obwohl das Amtsgericht (auf Antrag der Staatsanwaltschaft) im beschleunigten Verfahren (§ 417 ff. StPO) entschieden hat, war das Landgericht nicht gehindert, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, der gemäß § 331 Abs. 2 Satz 2 StPO auch das Verbot der Schlechterstellung nicht entgegensteht, anzuordnen. Denn die für das beschleunigte Verfahren festgelegte Beschränkung der Rechtsfolgenkompetenz (§ 419 Abs. 1 Satz 2 StPO) gilt nur für das Verfahren vor dem Amtsgericht.
1) Das beschleunigte Verfahren endet (spätestens) mit dem Urteil des Amtsgerichts. Das Berufungsverfahren findet damit als Normalverfahren statt (ebenso: OLG Stuttgart StV 1998, 585 = NJW 1999, 511; OLG Hamburg NStZ 1999, 266/267; Tolksdorf in KK-StPO 5. Aufl. § 420 Rn. 2; KMR-Metzger § 419 Rn. 37; Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 419 Rn. 5; Lesch JA 1995, 691; Loos/Radtke NStZ 1996, 79; Schlothauer StV 1995, 46 f.; einschränkend: Krehl in HK-StPO 3. Aufl. § 419 Rn. 2; LR-Gössel 25. Aufl. § 419 Rn. 14; Paeffgen in SK-StPO § 419 Rn. 16; a.A.: Meyer-Goßner aaO § 420 Rn. 12).
Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob die Regelungen zum beschleunigten Verfahren auch für das Berufungsgericht Anwendung zu finden haben, bislang ebenso - ausdrücklich - offen gelassen, wie das Bayerische Oberste Landesgericht (vgl. BGHSt 35, 251/255 = NJW 1989, 46/47; BayObLGSt 1997, 172/177).
Für die Beschränkung der Anwendbarkeit der Regelungen des beschleunigten Verfahrens auf das Amtsgericht spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes. § 419 Abs. 1 StPO wendet sich ausschließlich an den "Strafrichter oder das Schöffengericht". Eine vergleichbare gesetzliche Regelung für das Rechtsmittelverfahren fehlt, obgleich dazu im Rahmen mehrerer Novellierungen, zuletzt im Jahre 1994 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I, S. 3186), mehrmals Gelegenheit bestanden hätte.
Gleiches gilt für die im Gesetz vorgesehenen Abweichungen des beschleunigten Verfahrens vom Normalverfahren. Die Vereinfachungen (§ 420 StPO) stehen nur dem Schöffengericht (§ 420 Abs. 1 bis Abs. 3 StPO) und dem Strafrichter (§ 420 Abs. 1 bis Abs. 4 StPO) zur Verfügung, nicht aber dem Berufungsgericht (ebenso: OLG Hamburg NStZ 1999, 266/267 sowie StV 2000, 299/301; OLG Stuttgart StV 1998, 585/587 m.w.N.; a.A.: Meyer-Goßner aaO § 420 Rn. 12; siehe aber auch Meyer-Goßner aaO vor § 417 Rn. 6).
Auch die Frage der Eignung oder Nichteignung "zur sofortigen Verhandlung", die das beschleunigte Verfahren charakterisiert (§ 417 StPO), ist fü...