Alexander C. Blankenstein
Zusammenfassung
Nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein behinderter Wohnungseigentümer zur Nutzung seines Eigentums darauf angewiesen ist, sowohl dieses als auch den Zugang zu ihm umzubauen.
Seit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) am 1.12.2020 regelt das WEG in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 einen gesetzlich normierten Anspruch auf Gestattung von angemessenen baulichen Maßnahmen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, also insbesondere der Barrierefreiheit, dienen.
AG Kassel, Urteil v. 24.10.2019, 800 C 2005/19: Ein Beschluss, nach dem ein 87-jähriger Wohnungseigentümer zum Rückbau eines Treppenlifts im gemeinschaftlichen Treppenhaus verpflichtet wird, dessen Einbau gestattet worden war, um der mittlerweile verstorbenen Ehefrau dieses Miteigentümers den notwendigen barrierefreien Zugang zu den Räumen des Sondereigentums zu ermöglichen, verstößt gegen Treu und Glauben.
LG Hamburg, Urteil v. 19.9.2018, 318 S 71/17: Mit dem Einbau eines Personenaufzugs im gemeinschaftlichen Treppenhaus wird allgemein keine Änderung der Eigenart einer Wohnungseigentumsanlage einhergehen.
AG München, Urteil v. 5.7.2017, 482 C 26378/16 WEG: Stets ist das Mitbestimmungsrecht der übrigen Wohnungseigentümer zu berücksichtigen. Kommen mehrere geeignete Maßnahmen zur Schaffung eines barrierefreien Zugangs zur Wohnanlage in Betracht, entscheidet über die Auswahl der konkreten Maßnahme die Mehrheit der übrigen Miteigentümer. Jedenfalls gibt es keinen Anspruch auf die Genehmigung der billigsten Lösung oder eine Standortwahl nach eigenem Belieben. Diesbezüglich müssen die Eigentümer für die Ausübung ihres Mitbestimmungsrechts eine ausreichende Entscheidungsgrundlage haben.
Behinderte haben Anspruch auf Barrierefreiheit
Behinderte haben Anspruch auf barrierefreien Zugang zum Gemeinschaftseigentum und ihrem Sondereigentum, was sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG ergibt.
Gestattungsbeschluss ist zwingende Voraussetzung
Da jede bauliche Veränderung entweder eines Vornahme- oder Gestattungsbeschlusses bedarf, ist dies auch im Fall von Maßnahmen der Fall, die auf Barrierefreiheit zielen.
Behinderung ist keine Anspruchsvoraussetzung
Der Anspruch auf Gestattung einer baulichen Veränderung zur Barrierefreiheit setzt nicht voraus, dass der bauwillige Wohnungseigentümer oder einer seiner Mitbewohner an einer Behinderung leidet.
1 Bauliche Veränderung
Bei der für einen behindertengerechten Umbau notwendigen Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums liegt eine bauliche Veränderung i. S. d. § 20 Abs. 1 WEG vor. Eine solche muss beschlossen werden, allerdings genügt ein einfacher Mehrheitsbeschluss. Zu solchen baulichen Veränderungen werden auch die für die Erleichterung von behinderten Personen bestimmten Maßnahmen, wie etwa der Einbau eines Treppenlifts, die Montage einer Rollstuhlrampe sowie die Verbreiterung der Haustüranlage oder auch der Einbau eines Aufzugs oder Anbau eines Außenaufzugs, gerechnet, die ebenfalls einer Beschlussfassung bedürfen.
2 Anspruch des behinderten Wohnungseigentümers auf Umbau
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG hat jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Gestattung einer angemessenen baulichen Veränderung, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Anspruchsvoraussetzung nicht eine Behinderung ist. Auch der nicht behinderte Wohnungseigentümer hat einen entsprechenden Anspruch.
Anspruch besteht auf Gestattung einer angemessenen baulichen Veränderung. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der es im Einzelfall ermöglichen soll, objektiv unangemessene Forderungen zurückzuweisen. Wann eine Maßnahme unangemessen ist, kann lediglich im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilt werden. Ein Entscheidungsermessen oder eine Einschätzungsprärogative der Mehrheit besteht insoweit allerdings nicht. Die Angemessenheit ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen.
Aufzug
Stets ist die Maßnahme der Barrierefreiheit abhängig von den baulichen Gegebenheiten. So kann insbesondere der Wunsch nach Gestattung eines Außenaufzugs wegen etwaiger Beeinträchtigung des optischen Erscheinungsbilds der Wohnanlage unangemessen sein, wenn unproblematisch ein Innenaufzug errichtet werden kann.
Beschlussgrenzen setzt § 20 Abs. 4 WEG. Hiernach darf die bauliche Veränderung nicht zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen und auch nicht einzelne Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligen. Im Einzelfall kann daher das Begehren auf Anbau eines Außenaufzugs bereits daran scheitern, dass der Anbau zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führt, was allerdings nur im Ausnahmefall anzunehmen sein dürfte.
Dass einzelne Wohnungseigentümer einen Nachteil durch die Baumaßnahme erleiden, etwa weil sie meinen, die Optik der Wohnanlage sei durch die...