Leitsatz
Hat der Versicherungsnehmer seine Aufklärungsobliegenheit durch vorsätzlich falsche Angaben verletzt, kann der Versicherer sich nach Treu und Glauben gleichwohl nicht auf Leistungsfreiheit berufen, sofern der Versicherungsnehmer den wahren Sachverhalt freiwillig vollständig und unmissverständlich offenbart und nichts verschleiert oder zurückhält und dem Versicherer durch die falschen Angaben noch kein Nachteil entstanden ist.
Normenkette
§ 6 Abs. 3 VVG, § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB, § 7 V Abs. 4 AKB
Sachverhalt
Der Kl., ein Gebrauchtwarenhändler, verlangte von der Bekl. als Kaskoversicherer Ersatz des Wiederbeschaffungswerts in Höhe von 54.200 DM brutto für einen als gestohlen gemeldeten Pkw. Der Kl. erwarb das erstmals im Januar 1992 zugelassene Fahrzeug im Februar 1997 von einem Leasingunternehmen für 8.100 DM. Aus der ihm nach dem Kauf übergebenen DAT-Schätzung vom 2.9.1996 geht hervor, dass der Wagen stark verwahrlost und teilweise beschädigt war und der abgelesene Kilometerstand 177.236 km betrug. Nach seiner Darstellung ließ der Kl. das Fahrzeug mit einem Aufwand von 54.546,05 DM reparieren und in einen einwandfreien Zustand versetzen. Am 12.9.1997 verkaufte er es zu einem Preis von 59.000 DM. Es sollte am 25.9.1997 ausgeliefert werden. Im Kaufvertrag sind als Gesamtleistung 177.000 km und als Stand des Kilometerzählers "ca. 85.000" eingetragen.
Am 19.9.1997 zeigte der Kl. bei der Polizei an, das Fahrzeug sei in der Nacht vom 18. zum 19.9.1997 vom verschlossenen Betriebsgelände gestohlen worden. In der Schadenanzeige vom selben Tag an die Bekl. gab der Kl. auf die Frage nach der Gesamtkilometerleistung "ca. 85.000" an. Die Frage, ob es vorher bereits Schäden am Fahrzeug gegeben habe, verneinte er.
Die Bekl. lehnte Zahlung ab; u.a. wegen falscher Angaben zur Laufleistung und zu Vorschäden.
Das LG hat die Kl. abgewiesen. Das OLG hat ihr mit Ausnahme der Mehrwertsteuer stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Wiederherstellung des LG-Urteils.
Entscheidung
Nach der Entscheidung des BGH ist die Bekl. nach § 7 I Abs. 2 Satz 3, V Abs. 4 AKB i. V. m. § 6 Abs. 3 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil dem Kl. eine vorsätzliche Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit anzulasten sei.
1. Der Kl. habe die Aufklärungsobliegenheit objektiv dadurch verletzt, dass er in der Schadenanzeige v. 19.9.1997 falsche Angaben zur Gesamtkilometerleistung und zu den Vorschäden gemacht habe.
a) Hinsichtlich der Laufleistung gehe auch das Berufungsgericht (BG) davon aus, dass der objektive Tatbestand erfüllt sei. In der Schadenanzeige sei unmissverständlich nach Gesamtkilometerleistung und nicht nach dem Stand des Kilometerzählers gefragt. Der Kl. habe unstreitig gewusst, dass die wirkliche Laufzeit bei 177.236 km und damit mehr als doppelt so hoch lag wie die angegebenen ca. 85.000 km.
b) Entgegen der Ansicht des BG habe der Kl. seine Aufklärungsobliegenheit objektiv auch dadurch verletzt, dass er die Frage nach Vorschäden verneint habe. Die Frage sei nicht missverständlich, sondern eindeutig. Sie beziehe sich auf Schäden jeglicher Art, von denen das Fahrzeug in der Vergangenheit betroffen war, ob repariert oder nicht, ob Unfallschaden oder sonstiger Schaden. Der Sinn einer solchen Frage sei dem durchschnittlichen VN klar. Sie ziele darauf ab zu erfahren, welche Schäden vorher, also vor dem angezeigten Versicherungsfall an dem Fahrzeug aufgetreten waren. Denn frühere Schäden könnten, wie allgemein bekannt sei, den Marktwert eines Fahrzeugs auch dann beeinflussen, wenn sie repariert seien. Der Kl. habe gewusst, dass der Wagen beim Kauf im Februar 1997 erhebliche Schäden aufgewiesen und sich insgesamt in einem desolaten Zustand befunden hatte. Angesichts der behaupteten kostenaufwändigen Reparaturen und der Kenntnis der DAT-Schätzungsurkunde liege dies auf der Hand. In der mündlichen Verhandlung vor dem BG habe er seine Kenntnis vom Schadenumfang ausdrücklich bestätigt.
2. a) Liege der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung vor, werde der Vorsatz nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG gesetzlich vermutet. Demgemäß müsse der VN beweisen, dass die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht … Demgegenüber habe das BG der Bekl. die Beweislast auferlegt. Denn es habe zu Unrecht darauf abgestellt, die Bekl. habe nicht nachgewiesen, dass der Kl. in Täuschungsabsicht bewusst falsche Angaben gemacht habe, um zu Unrecht einen höheren Entschädigungsanspruch durchzusetzen.
b) Der Kl. habe die Vorsatzvermutung - bezogen auf die Schadenanzeige ohne Berücksichtigung seiner nachträglichen Angaben gegenüber der Bekl. - schon nach seinem eigenen Vorbringen nicht widerlegt (wird weiter ausgeführt).
3. Auch die Grundsätze der Relevanzrechtsprechung des Senats stünden der Leistungsfreiheit nicht entgegen. Falsche Angaben zur Laufzeit und zu Vorschäden seien generell geeignet, die berechtigten Interessen des Versicherers in ernster Weise zu gefährden. Sie könnten dazu führen, dass eine den Wert des Fahrzeugs übersteige...