Leitsatz

Es besteht keine Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn der VN falsche Angaben gegenüber dem Außendienstmitarbeiter berichtigt, bevor diese dem entscheidungsbefugten Sachbearbeiter zur Kenntnis gelangen.

 

Normenkette

§ 7 I Abs. 3 AKB, § 7 V Abs. 4 AKB, § 9 AKB, § 6 Abs. 3 VVG, § 43 Nr. 2 VVG

 

Sachverhalt

Der Kl. nahm die Bekl. aus einer Teilkaskoversicherung auf Entschädigung für seinen entwendeten Pkw in Anspruch. Die Bekl. verweigerte Versicherungsschutz. Sie bestritt den Diebstahl und berief sich überdies auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, weil der Kl. u. a. Falschangaben zur Laufzeit des Fahrzeugs gemacht habe.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg.

 

Entscheidung

  1. Das OLG entschied, dass die Bekl. nicht wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung (§ 7 I Abs. 2 S. 3 AKB) leistungsfrei (§§ 7 V Abs. 3 AKB, 6 Abs. 3 VVG) geworden ist.

    1. Zwar seien im Fragebogen der Bekl. v. 08.04.1997 objektiv Falschangaben enthalten, die der Kl. gegenüber dem Zeugen W. (Außendienstmitarbeiter der Bekl.) gemacht habe:

      Die Angabe von 52.999 km auf die Formularfrage nach dem "Kilometerstand (Gesamtleistung) beim Kauf" sei grob unrichtig gewesen. Unstreitig habe der Kl. gewusst, dass der Tachostand des Pkw, der beim Erwerb vom Verkäufer N. 52.999 km anzeigte, nicht die tatsächliche Laufleistung wiedergegeben habe. Mit Schriftsatz v. 22.11.1995 hätte er nämlich im Rechtsstreit vor dem LG B., indem er N. wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) erfolgreich auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch genommen habe, Unterlagen vorgelegt, aus denen sich bereits für September 1994 zweifelsfrei ein Kilometerstand von 130.342 ergeben habe. Deshalb sei auch der Eintrag "ca. 76.000 km" zur Formularfrage "Welche genaue Laufleistung hatte das Fahrzeug vor der Entwendung" deutlich falsch gewesen.

    2. Dem Kl. sei es auch nicht gelungen, die gesetzliche Vorsatzvermutung (§ 6 Abs. 3 VVG) zu widerlegen. Es vermöge ihn nicht zu entlasten, dass er eigentlich beabsichtigt hätte, die Schadenmeldung durch seinen Rechtsanwalt abgeben zu lassen, dies auch gegenüber dem Zeugen W. zum Ausdruck gebracht und in dessen Gegenwart vergeblich versucht habe, telefonisch Kontakt zu seinem Anwalt aufzunehmen. Dass der Zeuge W. ihn dazu mit dem - zutreffenden - Argument, es gehe ja nicht um Rechts-, sondern ausschließlich um Wissensfragen, veranlasst habe, sei nicht zu beanstanden. Die Zeugin J., Ehefrau des Kl. und bei der Schadenaufnahme zugegen, habe bestätigt, dass der Kl. und sie die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs "Laufleistung" und "Kilometerstand" verstanden hatten.
    3. Gleichwohl sei eine Leistungsfreiheit der Bekl. nicht eingetreten. Die Besonderheit des Falles bestehe nämlich darin, dass bereits kurze Zeit, nachdem der Zeuge W. unter Mitnahme der ausgefüllten Fragebögen die Wohnung der Eheleute J. verlassen hatte, der Kl. ihn telefonisch über die falsche Auskunft aufgeklärt und zutreffende Angaben zur Laufleistung des Fahrzeugs gemacht habe. Zu diesem Zeitpunkt - am Nachmittag des 8.4.1997 - hätte der Zeuge die Fragebögen noch nicht an die zuständige Abteilung der Bekl. in X abgesandt. Dies sei vielmehr erst am Abend des 8.4.1997 geschehen, wobei der Zeuge aufgrund des Telefonats mit dem Kl. eine Korrekturmitteilung und eine von ihm nach Maßgabe der Laufleistungsberichtigung erstellte Fahrzeugbewertung beifügte.
    4. Nicht ganz zweifelsfrei sei bereits, ob ein Zugang des unrichtigen Fragebogens bei der Bekl. schon in dem Zeitpunkt anzunehmen sei, als der Zeuge W. mit dem ausgefüllten und vom Kl. unterschriebenen Schriftstück die Wohnung des Kl. verlassen habe. Dies würde eine Vertretungsmacht des Zeugen zur Empfangnahme des Fragebogens für die Bekl. voraussetzen (§ 164 Abs. 3 BGB). Aus § 9 S. 1 AKB ergebe sich eine derartige Passivvertretungsmacht des Zeugen (§ 43 Nr. 2 VVG) nicht, weil er nicht der im Versicherungsschein bezeichnete Vermittler sei. Ob er als von der Bekl. beauftragter Außendienstmitarbeiter ihr Empfangsbevollmächtigter war, sei jedenfalls nicht ausdrücklich vorgetragen. Wenn er lediglich Empfangsbote des Versicherers gewesen sei, wäre der Fragebogen von vornherein in der beabsichtigten Form der Bekl. zugegangen (§ 130 Abs. 1 BGB). Selbst wenn man eine Passivvertretung der Bekl. durch den Zeugen W. und deshalb einen Zugang des unrichtigen Fragebogens beim Versicherer vor seiner Korrektur annehmen wollte, hätte dies nach Auffassung des Senats keine Leistungsfreiheit zur Folge.
    5. Sinn und Zweck der Aufklärungsobliegenheit sei es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Da ein Außendienstmitarbeiter ebenso wenig wie ein Agent an dieser Regulierungsentschließung mitwirke - beide seien lediglich vorbereitend tätig, um den VN bei der Ausfüllung von Schadenanzeigen und ergänzenden Fragebögen zu unterstützen - sei eine Gefährdung des Aufklärungsinteresses des Versicherers durch Falschangaben objektiv frühestens ...

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