Leitsatz
1. Ein unangefochten gebliebener und bisher als bestandskräftig angesehener Eigentümerbeschluss, der die Gemeinschaftsordnung geändert hat (hier: Abstimmungsverfahren über bauliche änderungen - sog. Zitterbeschluss), kann jedenfalls durch einfachen Mehrheitsbeschluss wieder aufgehoben werden.
2. Das Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Gültigkeit des Zweitbeschlusses hat Vorrang vor einem Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Erstbeschlusses.
Fakten:
Die Eigentümergemeinschaft hatte in vorliegendem Verfahren ursprünglich einen bestandskräftigen Beschluss gefasst, der die in der Teilungserklärung enthaltenen Regelung über die Behandlung bestimmter baulicher änderungen unter Eingriff in die Kompetenzzuweisung der Teilungserklärung änderte. Mangels öffnungsklausel in der Teilungserklärung wäre zu einer derartigen Abänderung der Zuständigkeiten nach aktueller BGH-Rechtsprechung zum Thema "Zitterbeschlüsse" (siehe PuR 11/2000, Seite 35) eine Vereinbarung aller Miteigentümer nach § 10 Abs. 2 WEG notwendig gewesen. Per einfachem Mehrheitsbeschluss wurde nunmehr zu der ursprünglich in der Teilungserklärung enthaltenen Bestimmungen zurückgekehrt und der entsprechende änderungsbeschluss aufgehoben.
Zunächst war in diesem Zusammenhang zu klären, ob es für die beantragte Feststellung der Gültigkeit des Zweitbeschlusses am erforderlichen Feststellungsinteresse mangelte. Man könnte hier durchaus der Auffassung sein, es genüge die Feststellung der Nichtigkeit des Erstbeschlusses, womit auch der nun gefasste Zweitbeschluss gegenstandslos wäre. Das Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit eines vereinbarungsändernden Erstbeschlusses hat aber dann hinter dem Interesse an der Feststellung der Gültigkeit eines Zweitbeschlusses zurückzutreten, wenn damit die Rückkehr zur Teilungserklärung bewirkt wird. Im Klartext: Haben die Wohnungseigentümer ursprünglich einen nunmehr rechtswidrigen aber bestandskräftigen vereinbarungsändernden Beschluss gefasst, so muss nicht dessen Rechtswidrigkeit festgestellt werden, wenn die Eigentümergemeinschaft bereits einen Mehrheitsbeschluss gefasst hat, wonach wieder die ursprünglichen Bestimmungen in der Teilungserklärung gelten sollen. Würde hier nämlich die Nichtigkeit des Erstbeschlusses festgestellt, so würde dies zu nur schwer lösbaren Rückabwicklungskomplikationen führen.
Nachdem also das Rechtsschutzinteresse bejaht wurde, sind die Stuttgarter Richter wie im übrigen auch das OLG Karlsruhe (Beschluss v. 31.5.2000, Az.: 11 Wx 96/99) unter Berufung auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Thema "Zitterbeschlüsse" (Beschluss v. 20.9.2000, Az.: V ZB 58/99) der Auffassung, ein einfacher Mehrheitsbeschluss als Zweitbeschluss reiche aus, einen zunächst anfechtbaren, dann aber formal bestandskräftig gewordenen vereinbarungsändernden Erstbeschluss für die Zukunft wieder aufzuheben.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die leichtere Rückkehr zu ursprünglichen Bestimmungen der Teilungserklärung einerseits sichere, dass etwa zwischenzeitlich im Vertrauen auf die Bestandskraft des Erstbeschlusses durchgeführte Maßnahmen ihre rechtliche Grundlage behielten und die problematische Rechtsfolge einer rückwirkenden Nichtigkeit des Erstbeschlusses vermieden werde. Andererseits werde hiermit dem Vereinbarungscharakter der Gemeinschaftsordnung und dem vom BGH herausgestellten Vertragsprinzip in stärkerem Maße Rechnung getragen.
über die Voraussetzungen, unter denen ein unangefochten gebliebener vereinbarungsändernder Mehrheitsbeschluss durch erneuten Beschluss wirksam geändert oder aufgehoben werden kann, bestehen freilich unterschiedliche Auffassungen. Das BayObLG steht gar auf dem Standpunkt, die bestandskräftig mehrheitlich beschlossene änderung der Teilungserklärung teile deren Rechtsqualität und habe daher ebenfalls Vereinbarungscharakter, so dass die entsprechende Regelung nur durch Vereinbarung oder allenfalls erneuten "Zitterbeschluss" geändert werden könnte.
Link zur Entscheidung
OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.02.2001, 8 W 54/98
Fazit:
Die Auffassung des BayObLG dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen BGH-Rechtsprechung keinen Bestand mehr haben. Insbesondere, was die Bejahung des Rechtsschutzinteresses an der Anfechtung des Zweitbeschlusses angeht, wird seitens der Rechtsprechung zu klären sein, ob sich nicht aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer für diese die generelle Verpflichtung ergeben könnte, nur das mildere Mittel einer Aufhebung für die Zukunft zu wählen, als die rückwirkende Nichtigkeit des Erstbeschlusses mit damit etwa verbundenen Rückabwicklungsproblemen.