Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungseigentumssache. Gültigkeit von Eigentümerbeschlüssen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein unangefochten gebliebener und bisher als bestandskräftig angesehener Eigentümerbeschluss, der die Gemeinschaftsordnung geändert hat (hier: Abstimmungsverfahren über bauliche Änderungen – sog. Zitterbeschluss), kann jedenfalls durch einfachen Mehrheitsbeschluss wieder aufgehoben werden (wie OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.5.2000 – 11 Wx 96/99 – OLGR 2000, 350).
2. Das Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Gültigkeit des Zweibeschlusses hat Vorrang vor einem Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Erstbeschlusses.
Normenkette
WEG § 10 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 23 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 2 T 718/97) |
AG Waiblingen (Aktenzeichen 1 GR I 180/97) |
Gründe
I.
1. Die Antragsteller erstreben die Feststellung, dass ein die Teilungserklärung abändernder, bestandskräftig gewordener Mehrheitsbeschluss über die Zuständigkeit zur Beschlussfassung über bestimmte bauliche Änderungen, nämlich die Gestaltung der Fenster, in einer Mehrhaus-Wohnanlage wirksam aufgehoben ist.
a) Die 1988 errichteteTeilungserklärung (TE) für die aus ca. 170 Wohn- und Gewerbeeinheiten in 8 Einzelgebäuden (zuzüglich Abstellplätzen in Tiefgaragen) bestehende Wohnungseigentumsanlage bestimmt in § 5:
„2.Bauliche Veränderungen
Bauliche Veränderungen, auch soweit sie an Sondereigentum vorgenommen werden, bedürfen, sofern sie eine Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums oder auch nur eine optische Beeinträchtigung bewirken, der Zustimmung der Mehrheit der Wohnungseigentümer. Das gilt insbesondere auch für den Außenanstrich des Gebäudes, der Fenster und Schaufenster, der Geländer sowie der Balkone und die Farbe der Außenseite der Wohnungseingangstüren, deren Farb- und Formgebung einheitlich bleiben muß…”
Die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums obliegt hinsichtlich der einzelnen Gebäude den jeweiligen Eigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile; für jedes Gebäude besteht eine gesonderte Instandhaltungsrücklage. Bezüglich des Stimmrechts besagt die Teilungserklärung in § 8:
Über Angelegenheiten, die die gemeinschaftliche Heizzentrale und die gemeinschaftlich genutzten Außenanlagen betreffen, haben die Sondereigentümer aller 8 Gebäude … Stimmrecht. Über Angelegenheiten, die die einzelnen Gebäude betreffen, haben die Sondereigentümer dieser Gebäude … Alleinstimmrecht. In beiden Fällen gehört zu jedem Sondereigentumsrecht eine Stimme. …”
Eine sog. Öffnungsklausel für eine erleichterte Änderung der Gemeinschaftsordnung enthält die Teilungserklärung nur für einzelne Bereiche.
b) Auf derEigentümerversammlung 1994 ist unter TOP 5 „Bauliche Änderungen” von den Eigentümern der ganzen Wohnanlage unter a) ein Beschluss über das „Grundsatzverfahren” mit absoluter Stimmenmehrheit (Ja: 117; Nein 7; Enthaltungen: 3) gefasst worden (im folgenden:Erstbeschluss).
„Die Wohnungseigentümer eines einzelnen Gebäudes erhalten das Recht, über Fensterveränderungen des jeweiligen Gebäudes … zu entscheiden. Zur Vorbereitung des Beschlusses wird dem Beirat eine Skizze vorgelegt, aus der die Veränderungen ersichtlich sind.”
Dieser Beschluss ist sofort in der Weise umgesetzt worden, dass unter TOP 5 b – 5 f die Eigentümer einzelner Gebäude jeweils über mehrere geplante oder bereits vollzogene Fensteränderungen abgestimmt und diese überwiegend mehrheitlich genehmigt, teilweise aber auch abgelehnt haben. Weder der Grundsatzbeschluss noch die nachfolgenden Beschlüsse sind angefochten worden.
c) Auf der Tagesordnung zurEgentümerversammlung 1997 war unter TOP 6„Bauliche Änderungen” unter Punkt d) aufgeführt:„Aufhebung des Beschlusses von 1994, wonach jedes Gebäude ermächtigt ist, über bauliche Änderungen bei Fenstern zu entscheiden”. Begründet wurde dies mit dem Anliegen, die fortschreitende Uneinheitlichkeit des äußeren Erscheinungsbilds der Wohnanlage nicht länger zu fördern. Das Protokoll der Versammlung enthält vor der Abstimmung zunächst die Feststellung des Verwalters, dass für eine wirksame Beschlussfassung eine Mehrheit von 87 Ja-Stimmen erforderlich sei, da es sich „um eine bauliche Änderung handelt”.
Die Abstimmung über den Antrag„Der Beschluss von 1994, wonach jedes Gebäude über die Änderung von Fensteraufteilungen entscheiden darf, wird aufgehoben.” führte zu folgendem Ergebnis:„abgelehnt bei 59 Ja-Stimmen, 16 Nein-Stimmen und 27 Enthaltungen” (im folgenden:Zweitbeschluss).
2. Noch vor Ablauf der 1-monatigen Anfechtungsfrist haben die Antragsteller beim Amtsgericht dieFeststellung beantragt, dass der (Zweit-)Beschluss als Mehrheitsbeschluss wirksam sei und die Aufhebung des Erstbeschlusses bewirkt habe; dieser Antrag habe keine bauliche Änderung zum Gegenstand gehabt, sondern nur eine Frage der allgemeinen Beschlussfassung, nämlich Aufhebung des „Blockstimmrechts”. Die Verwalterin hat für die übrigen Wohnungseigentümer geltend gemacht, ein mit der Mehrheit aller Wohnungseigentümer gefasster Beschluss könne auch...