Leitsatz
Leitsatz: In einem bestehenden Mietverhältnis über Wohnraum kann der Mieter nicht die vollständige Rückzahlung der geleisteten Abschlagszahlungen verlangen, wenn der Vermieter nicht fristgerecht über die Betriebskosten eines Abrechnungszeitraums abgerechnet hat. In diesem Fall ist der Mieter dadurch hinreichend geschützt, dass ihm bis zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Vermieters gemäß § 273 Abs. 1 BGB ein Zurückbehaltungsrecht jedenfalls hinsichtlich der laufenden Nebenkostenvorauszahlungen zusteht (Abgrenzung zum Senatsurteil v. 9.3.2005, VIII ZR 57/04, NJW 2005, 1499; amtlicher Leitsatz des BGH).
Normenkette
BGB § 556
Kommentar
In dem zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Vermieter über die Betriebskosten der Jahre 2001 und 2002 abgerechnet. Die beiden Abrechnungen waren jedoch formell unwirksam, weil der Vermieter – abweichend von seiner bisherigen Praxis – mehrere Gebäude zu einer Wirtschaftseinheit zusammengefasst hatte, ohne dies vorher anzukündigen. Der Mieter hat deshalb die in den Jahren 2001 und 2002 gezahlten Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von ca. 2.600 EUR zurückverlangt.
Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg: Hat der Mieter nach den Vereinbarungen im Mietvertrag Betriebskostenvorauszahlungen zu entrichten, so muss der Vermieter hierüber abrechnen. Die Abrechnung muss dem Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums zugehen. Nach Ablauf dieser Frist gehen die Nachzahlungsansprüche des Vermieters verloren. Zur Erteilung der Abrechnung ist er aber weiterhin verpflichtet (§ 556 Abs. 3 S. 1-3 BGB). Dieselbe Rechtsfolge gilt, wenn die Abrechnung formelle Mängel aufweist.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob der Mieter im Fall einer unterlassenen oder fehlerhaften Abrechnung die Betriebskostenvorauszahlungen zurückverlangen kann. Der BGH hat diese Frage in dem Urteil vom 9.3.2005 (VIII ZR 57/04) bejaht, "wenn das Mietverhältnis beendet ist und der Mieter sich deshalb nicht mehr gemäß § 273 BGB durch Einbehaltung der laufenden Abschlagszahlungen schadlos halten oder Druck ausüben kann". Ob dem Mieter bei fortbestehendem Mietverhältnis dasselbe Recht zusteht, hat der BGH in dem Urteil vom 9.3.2005 offen gelassen.
In der nunmehr vorliegenden Entscheidung wird dies verneint. Nach dem amtlichen Leitsatz kann der Mieter bei einem bestehenden Mietverhältnis nicht die "vollständige" Rückzahlung der Abschlagszahlungen verlangen, weil seine Rechte durch das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB hinreichend gewahrt sind. Die Formulierung erweckt den Eindruck, dass der Mieter möglicherweise einen Teil der Abschlagszahlungen zurückverlangen kann. Aus den Entscheidungsgründen folgt jedoch, dass der Rückforderungsanspruch insgesamt ausgeschlossen ist.
Der BGH hat nicht entschieden, welche Rechtsfolge gilt, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses zwischen den Parteien streitig ist. Folgt man der Argumentation des BGH, so ist der Rückforderungsanspruch immer dann ausgeschlossen, wenn der Mieter die Mietsache in seinem Besitz hat. Dies folgt aus der Erwägung, dass der Mieter nach der Beendigung des Mietvertrags die vereinbarte Miete als Nutzungsentschädigung schuldet (§ 546a Abs. 1 BGB). Zu der vereinbarten Miete im Sinne der Vorschrift zählen auch die Betriebskostenvorauszahlungen; hieran steht dem Mieter auch im Fall der Vorenthaltung ein Zurückbehaltungsrecht zu.
Hinweis
Unklar ist, ob der Rückforderungsanspruch wieder auflebt, wenn die Mietsache mangelhaft wird. In diesem Fall ist die Miete gemindert. Zu der Miete zählen auch die Betriebskosten. Bei schweren Mängeln kann der Fall eintreten, dass die Pflicht zur Mietzahlung vollständig oder weitgehend entfällt. Dies hat zur Folge, dass dem Mieter während der Zeit des Mangels auch kein Druckmittel zur Erzwingung der Abrechnung zur Verfügung steht.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 29.03.2006, VIII ZR 191/05