Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß der §§ 49 ff. EStG 1987 gegen Art. 48 EWGV
Leitsatz (amtlich)
1. Es wird die Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art.177 EG-Vertrag i.d.F. vom 7.Februar 1992 (BGBl II 1992, 1251) über folgende Rechtsfragen eingeholt:
1.1 Ist Art.48 EG-Vertrag geeignet, das Recht der Bundesrepublik einzuschränken, eine Einkommensteuer von dem Bürger eines anderen EG-Mitgliedstaates zu erheben?
Bejahendenfalls:
1.2 Gestattet Art.48 EG-Vertrag der Bundesrepublik, gegenüber einer natürlichen Person belgischer Staatsangehörigkeit, die ihren alleinigen Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien hat, dort ihre berufliche Qualifikation und ihre Berufserfahrung erwarb, eine höhere Einkommensteuer als gegenüber einer im übrigen vergleichbaren Person festzusetzen, die in der Bundesrepublik ansässig ist, wenn erstere eine nichtselbständige Arbeit in der Bundesrepublik aufnimmt, ohne ihren Wohnsitz in die Bundesrepublik zu verlegen?
1.3 Gilt etwas anderes dann, wenn die unter 1.2 genannte Person belgischer Staatsangehörigkeit ihr Einkommen fast ausschließlich (d.h. zu mehr als 90 v.H.) aus der Bundesrepublik erzielt und dasselbe nach dem DBA-Belgien auch nur in der Bundesrepublik steuerpflichtig ist?
1.4 Verstößt es gegen Art.48 EG-Vertrag, wenn die Bundesrepublik natürliche Personen ohne Wohnsitz oder Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik, die im Inland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, sowohl vom Lohnsteuer-Jahresausgleich ausschließt als ihnen auch die Möglichkeit verweigert, zur Einkommensteuer unter Einbeziehung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit veranlagt zu werden?
Normenkette
EWGVtr Art. 48; EStG 1987 §§ 49ff, 49 Abs. 1 Nr. 4; EStG § 50 Abs. 5, §§ 42, 42a, 46; EStG 1987 § 1 Abs. 1; DBA BEL
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1988 und 1989 ein belgischer Staatsangehöriger, der seinen einzigen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien hatte und dort verheiratet war. Seine Ehefrau war nicht berufstätig. Sie bezog allerdings in Belgien Arbeitslosengeld. Die Eheleute hatten gemeinsam ein Kind.
Der Kläger war in der Zeit vom 1.Januar bis 15.Mai 1988 für einen Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) in Belgien nichtselbständig tätig. Die in dieser Zeit erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wurden keiner deutschen Besteuerung unterworfen. Ab dem 15.Mai 1988 bis zum 31.Dezember 1989 war der Kläger für denselben Arbeitgeber in der Bundesrepublik nichtselbständig tätig. Von seinem Arbeitslohn wurde in der Bundesrepublik Lohnsteuer nach der Steuerklasse I einbehalten und an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) abgeführt.
Am 6.März 1989 beantragte der Kläger beim FA, die Lohnsteuer abweichend von einer früher gemäß § 39d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgestellten Bescheinigung im Billigkeitswege (§§ 163, 227 der Abgabenordnung --AO 1977--) nach der Steuerklasse III zu berechnen und den Differenzbetrag zu erstatten. Den Antrag lehnte das FA durch Verfügung vom 22.Juni 1989 ab. Die Beschwerde blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt. Es verpflichtete das FA, dem Kläger hinsichtlich der beantragten abweichenden Feststellung der Lohnsteuer 1988 unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG neu zu bescheiden und die Lohnsteuer 1989 nach der Steuerklasse III festzusetzen.
Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) im Beschwerdeverfahren zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 163 AO 1977.
Es beantragt, das Urteil des FG Köln vom 28.August 1991 3 K 5326/89 und 3 K 5327/89 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat bisher keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Das Revisionsverfahren wird ausgesetzt. Es wird gemäß Art.177 EG-Vertrag i.d.F. vom 7.Februar 1992 --EG-Vertrag-- (BGBl II 1992, 1251) die Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) über die im Rubrum des Beschlusses genannten Rechtsfragen eingeholt.
A. Die Anrufung des EuGH ist gemäß Art.177 EG-Vertrag geboten, weil die Auslegung des Art.48 EG-Vertrag in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft ist.
1. Nach § 1 Abs.4 EStG i.d.F. vom 27.Februar 1987 --EStG 1987-- (BGBl I 1987, 657, BStBl I 1987, 274) sind in der Bundesrepublik natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz (§ 8 AO 1977) noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO 1977) haben, mit ihren inländischen Einkünften beschränkt einkommensteuerpflichtig. Dazu regelt § 49 EStG 1987, was unter den inländischen Einkünften zu verstehen ist. Danach sind inländische Einkünfte i.S. des § 1 Abs.4 EStG 1987 u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn und soweit die Arbeit im Inland ausgeübt wird.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), ist für den Streitfall davon auszugehen, daß der Kläger weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatte. Die von ihm in der Zeit ab dem 15.Mai 1988 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind inländische i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG 1987, die auch nach Art.15 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11.April 1967 --DBA-Belgien-- (BGBl II 1969, 18, BStBl I 1969, 39) nur in der Bundesrepublik zu besteuern sind.
2. Als Folge der beschränkten Steuerpflicht des Klägers gilt die auf dessen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu erhebende inländische Lohnsteuer die Einkommensteuer ab (§ 50 Abs.5 EStG 1987). Eine Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 und/oder 1989 findet nicht statt. Ein Antrag auf Lohnsteuer- Jahresausgleich 1988 und/oder 1989 kann zulässigerweise nicht gestellt werden (§§ 42, 42a, 46 EStG 1987). Dem Lohnsteuerabzug wurde zutreffenderweise die Steuerklasse I zugrunde gelegt (§ 39d Abs.1 Satz 1 EStG 1987). Damit wurde der Kläger wie ein lediger Arbeitnehmer besteuert (§ 38b Satz 2 Nr.1 EStG 1987). Ihm wurde weder ein sog. Kinderfreibetrag (§ 32 Abs.6 EStG) noch der Splittingtarif für verheiratete und zusammenlebende Eheleute (§§ 26, 26b EStG) gewährt.
3. Der Kläger hat rechtzeitig einen Antrag auf anderweitige Festsetzung der im Wege des Steuerabzugs erhobenen Lohnsteuer gestellt, weshalb verfahrensrechtlich die Möglichkeit besteht, eine entsprechende Steuerfestsetzung unbeschadet der Tatsache vorzunehmen, daß die Lohnsteuer 1988 und 1989 bereits einbehalten und abgeführt wurde. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß dem Kläger aus Gleichbehandlungsgründen jedenfalls dann ein Rechtsanspruch auf Festsetzung der Lohnsteuer im Billigkeitswege zusteht, wenn nach Art.48 EG-Vertrag eine in Belgien lebende und dort verheiratete natürliche Person belgischer Staatsangehörigkeit, die ihre Berufsqualifikation und ihre Berufserfahrung außerhalb der Bundesrepublik gewonnen hat und in der Bundesrepublik eine nichtselbständige Arbeit übernimmt, ohne hier unbeschränkt steuerpflichtig zu werden, einen Rechtsanspruch darauf hat, in der Bundesrepublik wie ein vergleichbarer unbeschränkt Steuerpflichtiger besteuert zu werden. Ob eine entsprechende Entscheidung eine vorherige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erforderlich macht, bedarf im derzeitigen Stadium des Verfahrens keiner Entscheidung. Bei seinem Vorlagebeschluß geht der erkennende Senat von dem Urteil des EuGH vom 26.Januar 1993 in der Rechtssache C-112/91 (Werner) aus. Er hält dieses Urteil im Streitfall nicht für einschlägig, weil für die vom Senat zu treffende Entscheidung vorsorglich davon auszugehen ist, daß der Kläger seine Berufsqualifikation und seine Berufserfahrung nicht in der Bundesrepublik erwarb.
B. 1. Zu der ersten Vorlagefrage bemerkt der erkennende Senat, daß ein grundsätzliches Bedürfnis an der Klärung der Rechtsfrage besteht, ob die Einkommensteuererhebung durch die EG-Mitgliedstaaten überhaupt den Beschränkungen der Art.48 ff. EG-Vertrag unterworfen ist. Der im Streitfall vorrangig anzuwendende Art.48 EG-Vertrag gewährleistet das Recht auf Freizügigkeit, d.h. primär ein Recht auf Zugang zu einer bestimmten Beschäftigung, auf ein Einreise- und Aufenthaltsrecht und auf ein Verbleibensrecht. Ein Bezug des Art.48 EG-Vertrag zum Steuerrecht ist unmittelbar nicht zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als der EG-Vertrag keinen Auftrag zur Harmonisierung der direkten Steuern der EG-Mitgliedstaaten enthält. Sollte die erste Vorlagefrage zu bejahen sein, so drohen weitreichende Eingriffe in ein in der Bundesrepublik seit mehr als 100 Jahren geltendes Steuersystem. Die EG-Mitgliedstaaten könnten die Quellenbesteuerung gegenüber sog. EG-Steuerausländer in der gewohnten Form nicht mehr fortführen. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die EG-Mitgliedstaaten mit dem Abschluß des EG-Vertrages derart weitreichende Einschränkungen ihres Rechts auf Erhebung direkter Steuern hinnehmen wollten. Vieles spricht dafür, daß sich die Mitgliedstaaten das Recht auf Erhebung direkter Steuern uneingeschränkt vorbehalten wollten. Zwar scheint der EuGH in seinen Urteilen vom 28.Januar 1986 Rs 270/83 --avoir fiscal-- (EuGHE 1986, 285), vom 8.Mai 1990 Rs C-175/88 --Biehl-- (EuGHE 1990, 1779), und vom 28.Januar 1990 Rs C-204/90 (EuZW 1992, 215) von einem anderen Rechtsstandpunkt auszugehen. Die Urteile enthalten jedoch keine einleuchtende Begründung für den steuerlichen Bezug der Art.48 ff. EG-Vertrag.
2. Die zweite Vorlagefrage wird vorsorglich für den Fall gestellt, daß der EuGH die erste Vorlagefrage bejahen sollte. Zu ihr bemerkt der erkennende Senat, daß sie vielschichtig ist und aus dem Zusammenwirken mehrerer Rechtsgrundsätze beurteilt werden muß.
2.1. Zum einen müssen die systematischen Unterschiede zwischen der Besteuerung unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtiger im EStG 1987 gesehen und ihre Übereinstimmung mit Art.48 EG-Vertrag geprüft werden. Das EStG 1987 zieht die unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen grundsätzlich mit ihrem Welteinkommen zur Einkommensteuer heran. Dies entspricht dem Grundsatz der Besteuerung dieser Personen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. Der Grundsatz stellt nicht auf die räumliche Herkunft der Einkünfte, sondern nur auf das individuell verfügbare Einkommen der natürlichen Person ab. Diese ist steuerpflichtig, weil sie im Inland "lebt". Deshalb wird von ihr vermutet, daß sie die staatlichen Leistungen in Anspruch nimmt. Dies ist der tiefere Grund, weshalb sie in der Form der Steuer zu den Kosten des Staates beitragen soll. Bemessungsgrundlage für den von dem einzelnen zu leistenden Beitrag ist das individuell verfügbare Einkommen als der wirtschaftliche Ausdruck von Verfügungsmacht (vgl. Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 2 Rdnr. A 145).
Die Legitimation für die Einkommensbesteuerung beschränkt Steuerpflichtiger stützt sich dagegen nicht auf die Überlegung, daß der Steuerausländer entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zur Deckung der Kosten des Staates beitragen müsse. Vielmehr steht hier die Erzielung von Einkünften aus einer inländischen Erwerbsgrundlage als Legitimation der Besteuerung im Vordergrund. Der beschränkt Steuerpflichtige soll einerseits nur und andererseits mindestens in dem Umfang Einkommensteuer im Inland entrichten, in dem das von ihm erzielte Einkommen dem inländischen Markt zuzuordnen ist, den der Steuerstaat repräsentiert. Es wird also nicht die Person des Steuerpflichtigen, sondern dessen Handeln dem Inland zugeordnet.
Es bedarf der Grundsatzentscheidung, ob der systematische Anknüpfungspunkt des EStG 1987 und die daraus sich ggf. ergebende höhere Steuerbelastung mit Art.48 EG-Vertrag in Einklang steht, wenn und soweit von der inländischen Besteuerung ein in der Vorlagefrage genannter Steuerausländer betroffen ist.
2.2. Zum anderen macht der Streitfall eine Entscheidung darüber erforderlich, ob die Nichtgewährung des Splittingtarifs gegenüber dem Kläger rechtens ist. Der Splittingtarif beruht auf dem Verständnis der Ehe als einer Leistungsfähigkeitsgemeinschaft der Eheleute. Deren Einkommen wird nicht isoliert dem Ehegatten zugerechnet, der es durch seine Erwerbstätigkeit erzielt hat. Statt dessen werden die die Einkünfte erzielende Erwerbstätigkeit und die Berufstätigkeit im Haushalt mit der Folge als gleichwertig behandelt, daß das Einkommen der Eheleute so besteuert wird, als sei es von jedem von ihnen zur Hälfte erzielt worden. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 3.November 1982 1 BvR 620/78 u.a. (BVerfGE 61, 319, 345) den Splittingtarif als verfassungskonform und dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entsprechend bezeichnet.
Allerdings setzt die Gewährung des Splittingtarifs nach § 26 Abs.1 EStG 1987 voraus, daß beide Eheleute unbeschränkt steuerpflichtig sind. Diese Voraussetzung erfüllt weder der Kläger noch seine Ehefrau. Nach geltendem Recht ist also der Kläger als Steuerausländer schon deshalb schlechter gestellt, weil der Gesetzgeber des EStG 1987 ein Gebot der familiengerechten Besteuerung sog. Steuerausländer verneint. Er geht davon aus, daß die familiengerechte Besteuerung Sache des Wohnsitzstaates ist. Dabei mag von Bedeutung sein, daß mit dem Splittingtarif als Grundsatz die Zusammenrechnung der Welteinkommen der Eheleute verbunden ist. Die Ermittlung des Welteinkommens kann bei Steuerausländern praktische Schwierigkeiten bereiten. Sie zwingen allerdings nicht zu der hier besprochenen Ungleichbehandlung. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Kläger und seine Ehefrau mit einem Ehepaar vergleicht, das seinen Wohnsitz sowohl in der Bundesrepublik als auch in Belgien hat. Das zuletzt genannte Ehepaar erhält in der Bundesrepublik auch dann den Splittingtarif, wenn es in Belgien Einkünfte erzielt. Die in Belgien erzielten Einkünfte können in der Bundesrepublik sogar steuerbefreit sein. Es kommt hinzu, daß die hier besprochene Unterscheidung aus einer Zeit stammt, in der der internationale Auskunftsverkehr noch nicht so weit entwickelt war, wie er es heute ist. Angesichts der durch die Richtlinien vom 19.Dezember 1977 77/799/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 336 S.15) und vom 6.Dezember 1979 79/1070/EWG (ABlEG Nr. L 331 S.8) eingeräumten Informationsmöglichkeiten können die praktischen Ermittlungsschwierigkeiten die Ungleichbehandlung nicht mehr rechtfertigen.
Sollte der Kläger aus Gründen des Art.48 EG-Vertrag im Inland wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger zu behandeln sein, so könnte sich dies auch zu Lasten des Klägers auswirken, wenn man die bisher nicht näher untersuchte Möglichkeit unterstellt, daß er oder seine Ehefrau Einkünfte auch in Belgien erzielte, die bisher keiner Besteuerung im Inland unterlagen. Denkbar ist, daß die Einkünfte bei unbeschränkter Steuerpflicht im Inland steuerpflichtig wären. Selbst wenn die Einkünfte jedoch im Inland (z.B. aufgrund des DBA-Belgien) steuerfrei sein sollten, so könnten sie doch dem sog. Progressionsvorbehalt i.S. des § 32b EStG 1987 unterliegen. Die Berücksichtigung eines solchen Progressionsvorbehaltes auch gegenüber einem Steuerausländer erscheint technisch jedenfalls dann durchführbar, wenn es sich um den Bürger eines anderen EG-Mitgliedstaates handelt, weshalb auch dies kein zwingender Grund für die bestehende Ungleichbehandlung ist.
Hinzuweisen ist außerdem auf die im Streitfall allerdings nicht einschlägige Vorschrift des § 50 Abs.3 Satz 2 EStG, wonach die Einkommensteuer, die von einem Steuerausländer im Wege der Veranlagung zu erheben ist, mindestens 25 v.H. des Einkommens beträgt. Im Einzelfall kann diese Vorschrift das sog. Existenzminimum des Steuerausländers angreifen, was nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschlüsse vom 29.Mai 1990 1 BvL 20/84 u.a., BStBl II 1990, 653; vom 12.Juni 1990 1 BvL 72/86, BStBl II 1990, 664; vom 25.September 1992 2 BvL 5/91 u.a., Der Betrieb --DB-- 1992, 2217) jedenfalls bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht besteuert werden darf.
Auf diesem Hintergrund bedarf es der Grundsatzentscheidung, ob Art.48 EG-Vertrag der Bundesrepublik die Anwendung eines "besonderen" Steuertarifs für EG-Steuerausländer erlaubt, aufgrund dessen Eheleute --abweichend von der Behandlung bei unbeschränkter Steuerpflicht-- nicht mehr als eine Leistungsfähigkeitsgemeinschaft besteuert werden.
3. Bei der dritten Vorlagefrage unterstellt der Senat, daß der EuGH die erste und zweite Vorlagefrage bejaht. Dann hätte der erkennende Senat darüber zu entscheiden, ob etwas anderes gilt, wenn der beschränkt Steuerpflichtige entweder sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen oder aber den wesentlichen Teil davon (*= mehr als 90 v.H.) aus der Bundesrepublik erzielt und die Einkünfte auch nur in der Bundesrepublik steuerpflichtig sind. Ansatzpunkt für die Annahme einer entsprechenden Rechtsfolge könnte die in diesen Fällen nicht durchgreifende Vorstellung des Gesetzgebers sein, es sei Sache des Wohnsitzstaates, für eine familiengerechte Einkommensbesteuerung Sorge zu tragen. Steht mangels steuerpflichtiger Einkünfte eine Besteuerung im Wohnsitzstaat nicht an, so kann dieser der entsprechenden Aufgabe nicht nachkommen. Es bedarf einer Grundsatzentscheidung, ob aus Art.48 EG-Vertrag abzuleiten ist, daß die Verpflichtung, für eine familiengerechte Besteuerung Sorge zu tragen, ggf. auch den Quellenstaat trifft, der den ganz überwiegenden Teil des zu versteuernden Einkommens allein besteuern darf.
4. Sollte die erste Vorlagefrage zu bejahen und entweder die zweite zu verneinen oder die dritte zu bejahen sein, so wird der erkennende Senat darüber entscheiden müssen, ob die im Billigkeitswege festzusetzende Einkommen- oder Lohnsteuer nach den Grundsätzen des Lohnsteuerabzugsverfahrens --so hat es das FG bisher entschieden-- oder aber nach den Grundsätzen einer Veranlagung zur Einkommensteuer zu ermitteln ist, in die alle Besteuerungsgrundlagen einzubeziehen sind. Dazu ist nach deutschem Steuerrecht von § 50 Abs.5 EStG 1987 einerseits und von den §§ 42, 42a und 46 EStG 1987 andererseits auszugehen. Danach gilt die durch den Abzug vom Lohn erhobene Lohnsteuer die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu erhebende Einkommensteuer ab. Es wird also aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung (vgl. Mössner, Finanz-Rundschau --FR-- 1980, 277) dem Steuerausländer die Möglichkeit genommen, in einem Lohnsteuer-Jahresausgleichs- oder in einem Veranlagungsverfahren solche Besteuerungsgrundlagen geltend zu machen (z.B. Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen), die eine Erstattung der im Abzugsverfahren erhobenen Lohnsteuer auslösen könnten. Allerdings wird der Steuerausländer zugleich vor Steuernachforderungen geschützt, die dann denkbar wären, wenn in die Bemessungsgrundlage für den progressiven Steuertarif noch andere Einkünfte einzubeziehen sein sollten. Die hier wiedergegebene Gesetzesregelung steht allerdings in Widerspruch zu der entsprechenden Behandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger, für die die §§ 42, 42a und 46 EStG 1987 im Grundsatz eine (nachträgliche) Besteuerung unter Einbeziehung aller Besteuerungsgrundlagen vorschreiben. Es bedarf der grundsätzlichen Klärung der Rechtsfrage, ob Art.48 EG-Vertrag eine verfahrensrechtliche und damit auch materiell-rechtliche Gleichbehandlung unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtiger innerhalb der EG gebietet. Dazu verweist der erkennende Senat auf die schriftliche Anfrage Nr.2579/91 von Frau Hellwig Keppelhoff-Wiechert, MdEP, an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 14.November 1991 (Dok.-Nr.93/C 16/02) und auf die Antwort der Kommission vom 26.Oktober 1992.
5. Vorsorglich verweist der erkennende Senat auf die folgenden steuerlichen Überlegungen, die zu den Vorlagefragen in einem engen Sachzusammenhang stehen, ohne daß sie jedoch im Streitfall unmittelbar entscheidungserheblich sind.
a) § 50 Abs.1 Satz 5 EStG 1987 schließt die Steuerausländer weitgehend von der Möglichkeit aus, bestimmte (wünschenswerte oder sogar notwendige) Aufwendungen der privaten Lebensführung als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen bei der Einkommensermittlung abzusetzen. Die Regelung erklärt sich aus der Vorstellung des Gesetzgebers, daß es Sache nur des Wohnsitzstaates sei, derartige Aufwendungen von der Besteuerungsgrundlage der Einkommensteuer abzusetzen. Sie steht auch in engem Sachzusammenhang mit der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, zwar den unbeschränkt Steuerpflichtigen nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit, jedoch den beschränkt Steuerpflichtigen nur nach seinem Handeln im Inland zu besteuern.
b) Nach § 50 Abs.2 EStG 1987 wird dem beschränkt Steuerpflichtigen die Möglichkeit versagt, positive und negative inländische Einkünfte zu saldieren. Das Verlustausgleichsverbot gilt allerdings nur (ausnahmsweise) dann, wenn die positiven inländischen Einkünfte einem Quellensteuerabzug unterliegen. Die Regelung steht in engem Sachzusammenhang zu § 50 Abs.5 EStG 1987. Nach dieser Vorschrift gilt der Quellensteuerabzug die auf die Einkünfte entfallende inländische Einkommensteuer ab. Die Regelung des § 50 Abs.2 EStG 1987 ist insoweit inkonsequent, als der beschränkt Steuerpflichtige nicht mehr nach den von ihm im Inland erzielten inländischen Einkünften besteuert wird. Damit wird das der beschränkten Steuerpflicht an sich zugrunde liegende Prinzip aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung durchbrochen.
c) Häufig wird der beschränkten Einkommensteuerpflicht ein sog. Objektsteuercharakter zugesprochen. Dies darf jedoch nicht mißverstanden werden. Auch die von einem Steuerausländer erhobene inländische Einkommensteuer ist eine Personensteuer. Ihre gleichzeitige Kennzeichnung als Objektsteuer besagt nur, daß die Legitimation für die Einkommensbesteuerung aus dem Handeln des Steuerpflichtigen im Inland abgeleitet wird.
d) Der deutsche Gesetzgeber hat die aufgezeigten Ungleichbehandlungen zum Anlaß genommen, in § 1 Abs.3 EStG 1987 einerseits und in dem Ausführungsgesetz vom 21.Oktober 1980 zum Zusatzprotokoll vom 13.März 1980 zum Abkommen vom 16.Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete --AGGrenzGNL-- (BGBl I 1980, 1999, BStBl I 1980, 725) jeweils für einen kleinen Personenkreis Sonderregelungen zu schaffen, durch die die begünstigten Personen entweder fiktiv als oder wie unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt werden.
e) Eine Ungleichbehandlung erfahren die hier angesprochenen Steuerausländer auch dadurch, daß nach deutschem Steuerrecht Personen, die einen Wohnsitz sowohl in der Bundesrepublik als auch im Ausland halten, alle Vergünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht gewährt werden. Häufig ist das Halten eines Zweitwohnsitzes in der Bundesrepublik nur eine Frage finanzieller oder tatsächlicher Möglichkeiten. So gesehen ist die daran anknüpfende steuerliche Ungleichbehandlung unbefriedigend.
Fundstellen
Haufe-Index 64928 |
BFH/NV 1993, 40 |
BStBl II 1994, 27 |
BFHE 170, 454 |
BFHE 1993, 454 |
BB 1993, 1417 |
BB 1993, 1417-1420 (LT) |
DB 1993, 1170-1171 (LT) |
DStR 1993, 833 (K) |
HFR 1993, 448 (LT) |
StE 1993, 303 (K) |