Leitsatz (amtlich)
Ein Bediensteter der Europäischen Gemeinschaften, auf den die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (BGBl II 1965, 1482) zutreffen, kann Bausparmittel vorzeitig unschädlich für solche Bauvorhaben verwenden, die ihm die Ausübung der Amtstätigkeit im Ausland ermöglichen sollen. An der gegenteiligen Auffassung im Urteil vom 11. Februar 1972 VI R 307/68 (BFHE 104, 405, BStBl II 1972, 304) hält der Senat nicht fest.
Normenkette
WoPG § 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2, § 5 Abs. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2; EWGVtr Art. 7, 92, 177 S. 1; Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (BGBl II 1965, 1482) Art. 14 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Beamter auf Lebenszeit des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften (EG) und hat seinen ständigen Wohnsitz in Brüssel. Auf Grund eines am 10. November 1965 abgeschlossenen Bausparvertrages wurden ihm für 1965 und 1966 je 400 DM an Wohnungsbau-Prämien gewährt. Nachdem die Bausparkasse dem Beklagten und Revisionskläger (FA) mitgeteilt hatte, daß der Kläger seine Ansprüche aus dem Bausparvertrag beliehen und zum Kauf eines Baugrundstücks in Belgien verwandt habe, forderte das FA mit Bescheid vom 10. Januar 1968 die Wohnungsbau-Prämien zurück.
Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG führte u. a. aus: Der Kläger werde nach dem für ihn maßgebenden (früheren Art. 13 und) jetzigen Art. 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (BGBl II 1965, 1482) - Protokoll - u. a. für die Erhebung der Einkommensteuer so behandelt, als hätte er seinen früheren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und damit seine unbeschränkte Steuerpflicht beibehalten. Wenn der Kläger als deutscher Bediensteter bei der EWG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde und er darüber hinaus nach Art. 20 des Statuts der Beamten der EWG und Euratom (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. 45 vom 14. Juni 1962 S. 1387 ff.) verpflichtet sei, mindestens in bestimmter Nähe des Orts seiner dienstlichen Verwendung Wohnung zu nehmen, dann erscheine es gerechtfertigt, ihm die Vergünstigung zu belassen, wenn er innerhalb der Sperrfrist mit den empfangenen Beträgen ein Eigenheim an seinem Arbeitsplatz und Wohnort im Ausland errichte.
Mit der Revision trägt das FA u. a. vor: Nach dem Sinn des WoPG könne lediglich der Wohnungsbau im Inland begünstigt sein, wie der BFH in dem Urteil vom 1. März 1963 VI 269/61 U (BFHE 76, 550, BStBl III 1963, 200) ausgeführt habe. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH vom 15. März 1963 VI 37/62, das im Streitpunkt die gleiche Auffassung wie das Urteil VI 269/61 U vertrete, sei durch Beschluß eines Dreierausschusses des BVerfG vom 18. Dezember 1963 1 BvR 268/63 (DB 1964, 280) als offensichtlich unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen worden. Auch mit Rücksicht auf die Eigenschaft des Klägers als Beamter des Ministerrats der EG sei keine andere Entscheidung gerechtfertigt, da jedenfalls zur Zeit selbst Mitgliedsländer der EG im Verhältnis zueinander noch als Ausland zu behandeln seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist nicht begründet.
1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 WoPG ist die Auszahlung der Bausparsumme vor Ablauf der Sperrfrist unschädlich, wenn der Prämienberechtigte die empfangenen Beträge unverzüglich und unmittelbar zum Wohnungsbau verwendet. Der Senat hat zuletzt im Urteil vom 11. Februar 1972 VI R 307/68 (BFHE 104, 405, BStBl II 1972, 304) entschieden, daß nur eine Verwendung zum Wohnungsbau im Inland unschädlich ist. Diese Beschränkung ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, wohl aber aus dessen Zweckbestimmung, die in § 1 WoPG eindeutig dahin festgelegt ist, daß die Prämie "zur Förderung des Wohnungsbaues" gewährt wird. Wenn der inländische Gesetzgeber Mittel zur Förderung des Wohnungsbaues einsetzt, so liegt es bereits in der Natur der Sache, daß es sich um den Wohnungsbau für seine Bevölkerung im Inland handeln muß. Es wäre vom Standpunkt des Gesetzgebers aus jedenfalls unverständlich, als Ziel des Gesetzes die Förderung des Wohnungsbaues irgendwo in der Welt annehmen zu wollen. Diese Beschränkung läßt sich des weiteren daraus herleiten, daß der Gesetzgeber in § 1 Nr. 1 WoPG eine Wohnungsbau-Prämie nur unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Personen im Sinne des EStG zuerkennt. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht setzt aber nach § 1 Abs. 1 EStG voraus, daß im Inland ein Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt gegeben ist. Es wäre widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber einerseits als Voraussetzung für die Begünstigung einen inländischen Wohnsitz fordern, andererseits aber die Begünstigung auch bei Schaffung eines Wohnsitzes im Ausland aufrechterhalten würde. Diese Erwägungen werden weder durch die Rechtsentwicklung der Vorschrift des § 7b EStG, deren Anwendung durch das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl I 1958, 473, BStBl I 1958, 412) auf inländische Gebäude beschränkt wurde, noch durch Verwaltungsanweisungen der obersten Finanzbehörden der Länder berührt. Der Senat hält daher an der im Urteil VI R 307/68 vertretenen Auffassung fest.
Der Senat vermag in dieser Beurteilung auch keine Verletzung des EWGV vom 25. März 1957 (BGBl II 1957, 766) zu erkennen (vgl. Schmidt, DB 1973, 1966). Wohnungsbau-Prämien sind, auch wenn dadurch nur der inländische Wohnungsbau gefördert wird, keine wettbewerbsverfälschenden Beihilfen im Sinne des Art. 92 Abs. 1 EWGV. Denn eine mit der Förderung des inländischen Wohnungsbaus verbundene Förderung der Bauwirtschaft begünstigt keineswegs nur inländische Bauunternehmen, sondern ebenso auch die zahlreichen im Inland tätigen ausländischen Bauunternehmen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Wohnungsbau-Prämien nicht darüber hinaus schon nach Art. 92 Abs. 2 Buchst. a EWGV als Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, die ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden, allgemein mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Auch eine nach Art. 7 EWGV unzulässige Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit ist nicht gegeben, da die Gewährung der Wohnungsbau-Prämie allein vom Vorliegen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, also vom Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, nicht aber von der deutschen Staatsangehörigkeit abhängig ist. Von einer Staatsangehörigkeit von Grundstücken zu sprechen (vgl. Schmidt, a. a. O.) erscheint dem Senat abwegig (ähnlich Winkel, DB 1974, 359). Da die Auslegung des EWGV dem Senat insoweit keinen Anlaß zu Zweifeln gegeben hat, kam eine Anrufung des EGH nach Art. 177 Satz 1 Buchst. a EWGV nicht in Betracht.
2. Art. 14 Satz 1 des Protokolls schreibt u. a. vor, daß die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienste der Gemeinschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates niederlassen, in dem sie zur Zeit des Dienstantritts bei den Gemeinschaften ihren steuerlichen Wohnsitz haben, in den beiden genannten Staaten für die Erhebung der Einkommensteuer so behandelt werden, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaften befindet. Der Senat ist schon im Urteil VIR 307/68 - wie auch im Streitfall die Vorinstanz - davon ausgegangen, daß diese Bestimmung, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind, die Gewährung der Wohnungsbau-Prämie gestattet. Hieran ist festzuhalten. Zwar trifft Art. 14 Satz 1 des Protokolls die Wohnsitzfiktion u. a. nur "für die Erhebung der Einkommensteuer", sagt also unmittelbar zur Gewährung von Wohnungsbau-Prämie nichts aus. Gleichwohl erscheint die Anwendung der Bestimmung auch bei der Gewährung von Wohnungsbau-Prämie geboten, weil § 1 Abs. 1 WoPG an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht "im Sinne des Einkommensteuergesetzes" anknüpft.
Der Senat gelangt nach erneuter Überprüfung - insoweit abweichend von dem Urteil VI R 307/68 - zu dem Ergebnis, daß die Wohnsitzfiktion des Art. 14 Satz 1 des Protokolls nicht nur für die Gewährung der Wohnungsbau-Prämie, sondern für den gesamten Anwendungsbereich des Wohnungsbau-Prämiengesetzes, also auch für die Beurteilung der Frage, ob eine unschädliche vorzeitige Verwendung von Bausparansprüchen gegeben ist, zugrunde zu legen ist. Hierfür spricht insbesondere, daß das Vorliegen einer unschädlichen vorzeitigen Verwendung nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz nicht anders als nach dem Einkommensteuergesetz beurteilt werden kann. Die "für die Erhebung der Einkommensteuer" geltende Wohnsitzfiktion des Protokolls gilt unbegrenzt, kann also nicht auf die Geltendmachung des Sonderausgabenabzugs bei Leistung von Bausparbeiträgen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG) beschränkt bleiben, sondern muß auch bei der Entscheidung über eine Nachversteuerung im Falle einer vorzeitigen Verwendung von Bausparmitteln (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG) beachtet werden. Entsprechend muß dann aber auch bei Inanspruchnahme von Wohnungsbau-Prämien verfahren werden. Der Hinweis, daß der inländische Wohnungsbau schon dadurch gefördert werde, daß der Kläger sein Geld der Bausparkasse zur Verfügung gestellt habe, und daß die Verwendung nicht schädlich gewesen wäre, wenn er die Sperrfrist abgewartet hätte, vermag nicht zu überzeugen. Der eigentliche Sinn der Bausparförderung besteht darin, dem Sparer die Schaffung von Eigentum zu ermöglichen. Daß während der Ansparzeit durch die Hingabe seiner Mittel an die Bausparkasse die Bauvorhaben anderer Sparer mittelbar gefördert werden, ist eine Randerscheinung, die das eigentliche Ziel der Schaffung von Eigentum für den Sparer nicht verdrängen kann.
Die Wohnsitzfiktion des Art. 14 Satz 1 des Protokolls ist beschränkt auf Bedienstete, "die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Gemeinschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates" niederlassen. Die vorzeitige Verwendung von Bausparmitteln kann daher nur bei solchen Bauvorhaben als unschädlich angesehen werden, die dazu bestimmt sind, die Ausübung der Amtstätigkeit dieser Bediensteten zu ermöglichen. Die Bauvorhaben müssen also der Beschaffung von Wohnraum dienen, von dem aus der Bedienstete der Amtstätigkeit nachgehen will.
Dieser Beurteilung des Senats steht nicht entgegen, daß nach dem Beschluß eines Dreierausschusses des BVerfG vom 5. Mai 1972 1 BvR 137/72 (HFR 1972 S. 441) die Rechtsprechung des Senats im Urteil VIR 307/68 nicht zu beanstanden ist. Der Dreierausschuß hat sowohl die Auffassung, daß eine Verwendung zum Wohnungsbau im Ausland schädlich sei, als auch die Auffassung, daß dies auch für Beamte der EG gilt, als nicht willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes angesehen. Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG indessen nur zur Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Senats mit dem Grundgesetz Stellung genommen. Eine Stellungnahme zur Auslegung der in Frage stehenden Vorschriften, die als solche lediglich dem einfachen Recht angehören, liegt hierin nicht. Der Senat ist bei der Auslegung deshalb durch diese Entscheidung nicht gebunden.
Eine Anrufung des EGH kam wegen dieser Fragen nicht in Betracht. Es ist nicht zweifelhaft, daß Art. 14 Satz 1 des Protokolls nur u. a. für die Erhebung der Einkommensteuer, nicht aber für die Gewährung von Wohnungsbau-Prämien gilt. Wenn der Senat diese Bestimmung auch für den Bereich des Wohnungsbau-Prämiengesetzes anwendet, so liegt darin lediglich die Auswirkung einer ihrem Inhalt nach feststehenden Norm des Gemeinschaftsrechts auf das nationale deutsche Recht. Insoweit ist eine Zuständigkeit des EGH nicht gegeben (vgl. Handbuch für Europäische Wirtschaft, Kommentar zu Art. 177 EWGV, Anm. 2; Daig in Archiv des öffentlichen Rechts, 83. Band, S. 133 [197]).
Da im Streitfall das Bauvorhaben des Klägers in Belgien die Ausübung der Amtstätigkeit des Klägers bei den EG ermöglichen sollte, war die vorzeitige Verwendung der Bausparmittel hierfür nicht schädlich.
Fundstellen
Haufe-Index 70860 |
BStBl II 1974, 374 |
BFHE 1974, 449 |