Leitsatz (amtlich)
Durch § 4 Abs. 10 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 (= § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 in der durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 15. Juli 1970 gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. d geänderten Absatzfolge, GVBl Hessen I 1970, 401, BStBl I 1970, 934) soll zwar der Umstand, daß eine nach der Sach- und Rechtslage beim Erwerb erreichbare Bebauung infolge nachträglich auftretender rechtlicher Hinderungsgründe innerhalb der vorgesehenen Frist vereitelt wird, nicht zur Nachversteuerung führen, sondern den Fristlauf erneut beginnen lassen; das gilt aber nicht für Hinderungsgründe, die bereits beim Ewerb vorgelegen haben.
Normenkette
GrEStG Hessen - 1965 § 4 Abs. 10 (= § 4 Abs. 11 S. 1 GrEStG Hessen - 1965 in der durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 15. Juli 1970 gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. d geänderten Absatzfolge
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger - Eheleute -) haben durch den Vertrag vom 7. Juni 1962 ein Grundstück "je zur ideellen Hälfte" gekauft. Das FA zog die Kläger unter teilweiser Freistellung des Erwerbs, weil die Kläger erklärt hatten, den Neubau eines Wohngebäudes mit Wohnräumen i. S. des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 27. Juni 1956 - II. WoBauG - zu beabsichtigen, durch getrennte vorläufige Steuerbescheide zur Grunderwerbsteuer heran.
Mit den hier maßgeblichen endgültigen Steuerbescheiden vom 1. Dezember 1967 wurde die Grunderwerbsteuer auf je 1 314,75 DM festgesetzt und unter Abzug der bezahlten Grunderwerbsteuern von je 634,10 DM die Beträge von je 680,65 DM nacherhoben, weil der Bau der Kläger erst Anfang 1968 bezugsfertig geworden ist.
Die Einsprüche, die damit begründet worden waren, daß die Fünfjahresfrist ohne Bebauung des Grundstücks nur deshalb abgelaufen sei, weil sich der Verwaltungsstreit um die Genehmigung des Bauvorhabens vier Jahre hingezogen habe, blieben ohne Erfolg.
Die Kläger trugen im Klageverfahren vor, eine Zusicherung des Stadtbauamtes, das Grundstück werde in das Baugebiet einbezogen oder für das Bauvorhaben eine Sondergenehmigung erteilt werden, sei ihnen zwar nicht gegeben, wohl aber sei eine Sondergenehmigung in Aussicht gestellt worden. Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1965 hätten sie beim Verwaltungsgericht (VG) Klage erhoben. Auf den Antrag der Kläger vom 22. Mai 1965 habe "das Stadtparlament am 4. Juli 1966 den Beschluß" gefaßt, "einen Teil des fraglichen Grundstücks in das Baugebiet einzubeziehen". Am 7. März 1967 sei schließlich der Bau genehmigt worden. Danach wurde mit dem Bau begonnen, der Anfang 1968 bezugsfertig geworden sei. Das FG hat die Klagen mit Beschluß vom 13. September 1968 verbunden. Im Laufe des Verfahrens wurde bekannt, daß der Kläger seine Grundstückshälfte am 17. März 1967 seiner Ehefrau geschenkt hat. Bauherren des Familienheimes seien bei Planung und Durchführung des Baues die Eheleute gewesen. Das FG hob mit Urteil vom 26. Oktober 1971 die Steuerbescheide und Einspruchsentscheidungen auf und setzte die Grunderwerbsteuer "auf je 778,95 DM" fest. Durch die Ablehnung der Baugenehmigung sei ein auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis begründet worden, das der Verwirklichung des begünstigten Zwecks i. S. von § 4 Abs. 10 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 entgegengestanden habe. Die Fünfjahresfrist habe deshalb mit Wegfall des Hindernisses am 10. März 1967 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 erneut zu laufen begonnen. Im übrigen hätten die Eheleute das Haus als Bauherren errichtet und deshalb habe der Ehemann durch die Schenkung seines Hälfteanteils nicht die Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks aufgegeben.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der gerügt wird, das Urteil des FG verstoße gegen § 4 Abs. 10 und 11, § 5 Nr. 1 sowie § 4 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 GrEStWoG Hessen. Da das Grundstück beim Erwerb Bauerwartungsland gewesen sei, habe der Hinderungsgrund, es zu bebauen, von vornherein bestanden. Nur in den Fällen des § 4 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 GrEStG Hessen - 1965 sei eine Schenkung nicht als Aufgabe des begünstigten Zwecks zu beurteilen. Auf die Bauherreneigenschaft komme es nach hessischem Recht daher nicht an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist zulässig.
Gegen das Urteil des FG stand den Beteiligten die Revision an den BFH zu, wenn der Wert des Streitgegenstandes eintausend Deutsche Mark übersteigt oder wenn das FG die Revision zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO). Da das FG die Revision nicht zugelassen hat, war für ihre Zulässigkeit erforderlich, daß der Streitwert 1 000 DM übersteigt. Die Revisionssumme ist, wie der Senat im Urteil vom 12. Juni 1968 II 155, 156/64 (BFHE 93, 121, BStBl II 1968, 749) ausgeführt hat und auf dessen Begründung verwiesen wird, zwar aus der Beschwer jedes einzelnen Klägers zu errechnen, wenn klagende Ehegatten je wegen des Erwerbs einer ideellen Grundstückshälfte zur Grunderwerbsteuer herangezogen werden, das FG gegen jeden der beiden Kläger ein Urteil erläßt und diese Urteile von den Klägern angefochten werden. Anders ist die Rechtslage aber, wenn das FG in einem Urteil über beide Steuerfestsetzungen entschieden hat, und die Kläger diese Entscheidung mit der Revision anfechten (vgl. BFH-Urteil vom 25. März 1969 II R 68/68, BFHE 95, 512, BStBl II 1969, 471). Das gleiche gilt für die Revision des Beklagten, die sich gegen ein Urteil des FG richtet, das die Klagen zweier Kläger betrifft.
Die Revisionssumme, die maßgeblich ist, errechnet sich in diesem Fall aus dem Unterschied zwischen der Steuerfestsetzung durch das FG und der vom Revisionskläger angestrebten Festsetzung. Das FA begehrt mit der Revision die Wiederherstellung seiner durch die Klage angegriffenen Steuerfestsetzungen, ist mit anderen Worten in der Höhe beschwert, in der das FG die Steuerfestsetzungen insgesamt gemindert hat. Statt je 1 314,75 DM hat das FG je 778,95 DM Grunderwerbsteuer festgesetzt. Der Unterschied beträgt damit gegenüber jedem der beiden Kläger jeweils 535,80 DM, insgesamt also 1 071,60 DM. Damit ist die Revisionssumme von 1 000 DM überschritten.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klagen als unbegründet.
Der Kaufvertrag vom 7. Juni 1962 unterliegt der Grunderwerbsteuer, da er den Anspruch der Kläger gegen den Veräußerer auf Übertragung je eines Grundstücks "je zur ideellen Hälfte" begründete (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
Von der Besteuerung ist zwar der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von Wohnraum i. S. des § 2 Abs. 2 II. WoBauG ausgenommen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 II. GrEStWoG Hessen 1958/§ 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG Hessen - 1965). Voraussetzung ist, daß die neu zu schaffende Grundfläche zu 66 2/3 v. H. auf grundsteuerbegünstigten Wohnraum entfällt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 II. GrEStWoG Hessen 1958/§ 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 GrEStG Hessen - 1965).
Die Steuer ist aber in diesem Fall festzusetzen, wenn der Erwerber des Grundstücks, auf dem grundsteuerbegünstigte Wohnungen errichtet werden sollen, binnen fünf Jahren, vom Ausstellungstag der Unbedenklichkeitsbescheinigung an gerechnet, nicht die grundsteuerbegünstigten Wohnungen bezugsfertig errichtet oder den steuerbegünstigten Zweck aufgegeben hat (§ 5 Nr. 1 II. GrEStWoG Hessen 1958/§ 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG Hessen - 1965).
Die Kläger haben den steuerbegünstigten Zweck unstreitig innerhalb des Fünfjahreszeitraums nicht erfüllt.
Entgegen ihrer Auffassung kann die Nacherhebung der Grunderwerbsteuer nicht unterbleiben.
Unterliegt ein Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer, wenn das Grundstück nicht innerhalb des Fünfjahreszeitraums zu dem begünstigten Zweck verwendet worden ist, "und fällt in diesen Zeitraum ein auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis", so beginnt die Frist zwar mit Wegfall dieses Hindernisses erneut zu laufen (§ 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965). Zu den auf öffentlichem Recht beruhenden und in diesen Zeitraum fallenden Hindernissen gehört nicht die Versagung der Bauerlaubnis, weil das Grundstück im Zeitpunkt des Kaufes in einem nicht als Bauland ausgewiesenen Gebiet lag.
Die Vorschriften des § 4 Abs. 10 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 (= § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 in der durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 15. Juli 1970 gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. d geänderten Absatzfolge, Gesetz- und Verordnungsblatt Hessen I 1970 S. 401 - GVBl Hessen I 1970, 401 -, BStBl I 1970, 934) bezweckt, daß unter bestimmten Voraussetzungen ein bauwilliger Grundstückserwerber im Genuß der steuerlichen Begünstigung bleiben kann, wenn öffentlich-rechtliche Hindernisse seine Bauabsichten vereiteln. Das FG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß ein Bauvorhaben der Genehmigung bedürfe unabhängig davon, ob es innerhalb eines durch einen Bebauungsplan ausgewiesenen Baugebietes oder im Außenbereich verwirklicht werden solle. Deshalb sei die Ablehnung der Baugenehmigung ein auf öffentlichem Recht beruhendes nach dem Grundstückserwerb eingetretenes Hindernis. Diese Auffassung entspricht nicht dem Gesetz.
Durch § 4 Abs. 10 Satz 1 GrEStG Hessen - 1965 soll zwar eine nach der Sach- und Rechtslage beim Erwerb erreichbare Bebauung, die infolge nachträglich auftretender rechtlicher Hinderungsgründe innerhalb der vorgesehenen Frist vereitelt wird, nicht zur Nachversteuerung führen, bzw. ein erneuter Fristlauf beginnen. Das gilt aber nicht für Hinderungsgründe, die beim Erwerb bereits vorhanden waren, aber als behebbar angesehen wurden. Sie brauchen zwar die Befreiung vorläufig nicht zu hindern. Der Erwerber trägt in einem solchen Fall aber das Risiko, daß der Hinderungsgrund fristgemäß behoben werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 5. August 1969 II R 11, 12/67, BFHE 96, 491, BStBl II 1969, 689, und vom 27. Juni 1973 II R 78/72, BFHE 110, 298, BStBl II 1973, 862, und vom 14. Juli 1976 II R 51/73, BFHE 119, 320, BStBl II 1976, 652). Bloße Verzögerungen im Geschäftsbetrieb der Planungs- oder Baubehörden führen nicht zur Verlängerung der Nachfrist (vgl. auch Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Anhang Randnr. 1221).
Der Umstand, daß das Grundstück der Kläger erst aufgrund des Bebauungsplanes vom 28. Dezember 1966 planungsrechtlich zu Bauland und der Bau daher erst am 10. März 1967 genehmigt wurde, ist kein nachträglich eingetretener, den Bau hindernder Grund, sondern ein Hindernis, das von Anfang an bestanden hat und erst beseitigt werden mußte.
Wollte man der Auffassung des FG folgen, gäbe es - abgesehen von dem Fall, daß der Antrag auf Baugenehmigung bereits vor dem Grundstückserwerb im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinn abgelehnt gewesen wäre - nur nachträglich eintretende Hinderungsgründe, denn für Bauten, die für Begünstigungszwecke in Betracht kommen, besteht immer das Erfordernis, sie genehmigen zu lassen. Der Begriff des auf öffentlichem Recht beruhenden Hindernisses, das in den Zweckerfüllungszeitraum fällt, wäre dann seines Sinns und Zwecks entleert.
Fundstellen
Haufe-Index 72308 |
BStBl II 1977, 484 |
BFHE 1977, 531 |