Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein unanfechtbar gewordener Grunderwerbsteuerbescheid kann nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil Art. 1 Nr. 2 EuAGrEStG rückwirkend in Kraft getreten ist. § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG ist nicht anwendbar, weil "Merkmal" gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nicht das abstrakte Tatbestandsmerkmal eines Steuergesetzes selbst ist, sondern das konkrete Sachverhaltsmerkmal im Sinne eines rein tatsächlichen Lebensvorganges bzw. des Einmündens eines solchen Lebensvorganges in einen außersteuerrechtlichen (bürgerlich-rechtlichen) gesetzlichen Tatbestand als eines steuerrechtlich bedeutsamen Sachverhalts.
Normenkette
GrEStEuAGBY 1/2; StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2
Tatbestand
Es ist streitig, ob ein unanfechtbar gewordener Grunderwerbsteuerbescheid aufgehoben werden kann, weil die Befreiungsvorschrift des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerfreiheit für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in die Landwirtschaft und für die Aufstockung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe vom 10. Februar 1958 - EuAGrEStG - (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt - BayGVBl - 1958 S. 22) gemäß Art. 3 dieses Gesetzes rückwirkend ab 1. April 1954 in Kraft getreten ist.
I. - Durch notariellen Kaufvertrag vom 31. Januar 1956 erwarb der Bg. ein Grundstück für eine Gegenleistung von 6.500 DM. Der Steuerbescheid des Finanzamts vom 18. Juli 1957 wurde unanfechtbar. Die Grunderwerbsteuer von 455 DM ist entrichtet.
Am 3. Januar 1960 beantragte der Bg., ihm die Grunderwerbsteuer auf Grund des EuAGrEStG zu erstatten, da der Grundstückserwerb der Aufstockung seines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes diene. Das Finanzamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Februar 1961 ab, da die Anträge auf Befreiung von der Grunderwerbsteuer und deren Erstattung bis zum 31. Dezember 1959 befristet gewesen seien.
Der nach Belehrung über das in Betracht kommende Rechtsmittel eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Die Berufung hatte dem Grunde nach Erfolg. Entgegen der Auffassung des Finanzamts und entgegen Abschn. D der Verwaltungsanordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerfreiheit für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in die Landwirtschaft und für die Aufstockung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe vom 10. März 1959 - VAO zum EuAGrEStG - (Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - BayFMBl - 1959 S. 182 ff., 187) - so führte das Finanzgericht im wesentlichen aus - komme als Berichtigungsvorschrift zwar nicht § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG in Betracht, also auch nicht dessen Frist in Abs. 2; denn die Norm, die rückwirkend ein Merkmal einer Steuerbefreiung festsetze, sei selbst kein Merkmal im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG. Andererseits verstoße es gegen den Grundsatz, daß das um vier Jahre zurückdatierte Gesetz gleichmäßig für alle Steuerpflichtigen in Betracht kommen müsse, wenn es nur auf die noch nicht unanfechtbaren Fälle angewendet werden könne. Wegen der Rückwirkung sei vielmehr der Rechtskraft des Steuerbescheids der Boden entzogen (Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs II 9/50 S vom 12. Mai 1950, BayFMBl 1950 S. 275), so daß - ähnlich wie im Falle des Urteils des Reichsfinanzhofs II A 399/27 vom 23. September 1927 (RStBl 1927 S. 226, Slg. Bd. 22 S. 55) - die Steuerbefreiung durch Berichtigung nach § 1 StAnpG ermöglicht werden müsse. In entsprechender Anwendung der für Erstattungsfälle gemäß §§ 151, 152 AO geltenden Fristbestimmungen könne als Fristbeginn erst der Zeitpunkt des Bekanntwerdens der VAO zum EuAGrEStG, als Fristende also erst der 31. Dezember 1960, gelten, so daß im Streitfall die Frist als gewahrt anzusehen sei.
Mit der Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts erneut - wie schon in der Einspruchsentscheidung ausgeführt - geltend, daß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG auch bei Gesetzesrückwirkung anwendbar sein müsse, und damit auch die Begrenzung der Frist für einen Erstattungsantrag, der also nur bis zum 31. Dezember 1959 habe gestellt werden können.
Entscheidungsgründe
II. -
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts muß - wenn auch aus anderen als den vorgetragenen Gründen - zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Ein Rechtsanspruch auf Steuererstattung setzt grundsätzlich voraus, daß der der Steuerfestsetzung zugrunde liegende Steuerbescheid entsprechend berichtigt bzw. aufgehoben worden ist. Ein unanfechtbar gewordener Steuerbescheid kann wiederum grundsätzlich nur mit Hilfe eines ausdrücklichen Gesetzesbefehls geändert werden. Das muß auch für den Fall eines rückwirkend zugunsten des Steuerpflichtigen in Kraft getretenen Gesetzes gelten. Das EuAGrEStG selbst enthält eine ausdrückliche Bestimmung über Aufhebung unanfechtbarer Grunderwerbsteuerbescheide und Erstattung bereits entrichteter Steuer nicht. Deshalb hat das Finanzgericht zutreffend untersucht, ob sich Berichtigung und Erstattung aus den in Betracht kommenden allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften ergeben können.
Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG auf das rückwirkende Inkrafttreten eines Steuergesetzes nicht anwendbar ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift schon deshalb nicht zutrifft, weil kein Tatbestandsmerkmal des Steuerschuldtatbestandes (des § 1 GrEStG) nachträglich weggefallen, sondern ein neuer Befreiungstatbestand geschaffen worden ist. Der Senat ist vielmehr der Meinung, daß Merkmal im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nicht das abstrakte Tatbestandsmerkmal eines Steuergesetzes selbst ist, sondern nur das konkrete Merkmal eines tatsächlichen Lebensvorgangs bzw. auch das Einmünden eines solchen Lebensvorgangs in einen konkreten, durch den Steuerpflichtigen vollzogenen außersteuerrechtlichen (bürgerlich-rechtlichen) gesetzlichen Tatbestand: In beiden letzteren Fällen handelt es sich also um Besteuerungsmerkmale tatsächlicher Art im Sinne von konkreten Sachverhaltsmerkmalen; die steuerrechtliche Beurteilung knüpft in beiden Fällen an ein rein tatsächliches Merkmal oder an ein außersteuerrechtliches (bürgerlich-rechtliches Tatbestands-) Merkmal als den steuerrechtlich bedeutsamen Sachverhalt an.
Eine reine Wortauslegung des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, da die AO alter Fassung und das StAnpG nicht klar trennen zwischen gesetzlichem Tatbestand und Lebenssachverhalt (vgl. z. B. § 1 Abs. 3 StAnpG "Tatbestand" im Sinne des Lebenssachverhalts gegen § 3 Abs. 1 StAnpG "Tatbestand" im Sinne des Gesetzestatbestands). Bei nicht ganz zweifelsfreiem Wortlaut ist § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG also nach seinem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung seiner Entstehung und seiner rechtssystematischen Stellung im Gefüge des Gesetzes auszulegen. Die in § 214 Abs. 2 AO 1919 = § 225 Abs. 2 AO 1931 - - den Vorgängern des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG - angeführten Beispiele der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung oder einer Erbschaftsannahme für den Wegfall eines "Tatbestandsmerkmals" deuten auf die Absicht des Gesetzes, mit diesen Vorschriften die änderung einer Steuerfestsetzung nicht wegen änderung eines abstrakten Gesetzes, sondern wegen eines konkreten Lebenssachverhalts im obigen Sinne zu ermöglichen. Dies folgt auch aus der engen Koppelung der §§ 214 Abs. 2 AO 1919, 225 Abs. 2 AO 1931 = § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG mit §§ 214 Abs. 1 AO 1919, 225 Abs. 1 AO 1931 § 4 Abs. 2 StAnpG: Auch Bedingung, Befristung oder sonstige ungewisse Verhältnisse sind Sachverhaltsmerkmale. In allen diesen Fällen bedarf es im Gegensatz zu anderen änderungsvorschriften des Abgabenrechts (z. B. §§ 92, 93, 94, 218 Abs. 4, 222 bis 224 AO) eines Tätigwerdens des Steuerpflichtigen, der selbst die Sachverhaltsmerkmale gesetzt hat, um bei deren änderung auch die steuerrechtliche änderung zu erwirken. Auf die "ähnlichkeit" der Fälle des § 214 Abs. 2 AO 1919 mit denen des Abs. 1 a. a. O. weist auch Enno Becker, der Schöpfer der AO hin, der bemerkenswerterweise in seinen Erläuterungen (Die Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., Anm. 2 zu § 214) ausschließlich Fälle der konkreten Sachverhaltsänderungen bringt, dagegen die Möglichkeit der Berücksichtigung einer abstrakten Gesetzesänderung auch nicht andeutungsweise erwähnt.
Es muß sich also um Merkmale handeln, die dem Einflußbereich des Steuerpflichtigen zugänglich sind, die er selbst setzen kann und deren nachträglicher Wegfall - als seinem (unmittelbaren oder auch mittelbaren) Einfluß ausgesetzt - auch im zuzurechnen ist. Als ein solches Merkmal kann aber nur ein Merkmal als Element eines Sachverhalts im obigen Sinne verstanden werden, nicht aber das auf einen solchen Sachverhalt angewendete Steuergesetz selbst, das - dem Einflußbereich des Steuerpflichtigen entzogen - schon begrifflich nicht selbst Merkmal sein kann.
In diesem Sinne hat der erkennende Senat z. B. den nachträglichen Wegfall der fehlenden ehelichen Verbindung als Wegfall eines Sachverhaltsmerkmals und damit als Grund für die Berichtigung eines Erbschaftsteuerbescheides gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG in dem Falle anerkannt, daß auf Grund des außersteuerrechtlichen Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23. Juni 1950 (BGB 1950 S. 226) einer freien Verbindung nachträglich (1951) mit Rückwirkung ab 1936 die rechtlichen Wirkungen einer gesetzlichen Ehe durch Verwaltungsakt zuerkannt wurden (Urteil II 244/56 U vom 21. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 77, Slg. Bd. 72 S. 203). Umgekehrt hat der III. Senat es für unzulässig erklärt, die unanfechtbaren Feststellungen des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den Währungsstichtag gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nur wegen rückwirkender änderung des § 206 LAG zu berichtigen (Urteil III 45/57 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 222, Slg. Bd. 66 S. 574). Zwar hat der Bundesfinanzhof in diesem Fall die änderung des unanfechtbaren Bescheides zum Nachteil des Steuerpflichtigen abgelehnt. Der Umstand, ob sich die änderung eines Steuerbescheides im Einzelfall zuungunsten oder zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde, ist aber für die Beantwortung der Frage unerheblich, ob § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG überhaupt anwendbar ist oder nicht; denn insoweit ergibt sich bezüglich der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG kein Unterschied (vgl. auch Becker, a. a. O., 7. Aufl., Anm. 1 Abs. 2 zu § 214; Urteil des Bundesfinanzhofs I 193/61 vom 4. April 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Steueranpassungsgesetz, § 4, Rechtsspruch 19). Schließlich sei noch zur Klarstellung bemerkt, daß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG gegenüber § 214 Abs. 2 AO 1919 (225 Abs. 1 AO 1931) nur insofern in seinem Anwendungsbereich erweitert worden ist, als nicht nur die Folgen des Wegfalls eines Merkmals für die Steuerschuld, sondern auch für Steuervergünstigungen geregelt wurden (vgl. Begründung zum StAnpG, RStBl 1934 S. 1399 rechte Spalte Mitte).
Zur Nichtanwendbarkeit des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG bei rückwirkender Gesetzesänderung vergleiche auch die Kommentare zur Reichsabgabenordnung von Becker-Riewald-Koch, 9. Aufl., 1963, StAnpG, § 4 Anm. 2 Abs. 7, S. 647; Kühn, 7. Aufl., 1963, StAnpG, § 4 Anm. 3 am Ende, S. 664; Tipke-Kruse, Bd. II, § 4 Tz. 6a, S. 624; ferner Wetter-Barske, Leitsatz-Kartei I 2 StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2 Nr. 6 Anm. zum Urteil des Bundesfinanzhofs III 45/57 U a. a. O.; Böttcher-Grass, Die Ehegattenbesteuerung, Forkel-Verlag 1957 B Tz. 13; Hippe, Finanz-Rundschau - FR - 1962 S. 199, 204; Kirmse, Rechts- und Wirtschaftspraxis - RWP - 14 Steuer-R D GewSt II B 2/62; Maaßen, FR 1961, S. 125; Merkel, Steuer und Wirtschaft 1963 Sp. 435 ff., 444; Thiel, Der Betriebs-Berater - BB - 1963 S. 443, 446; Winterberg, Der Betrieb - DB - 1962 S. 587; vgl. auch Falk, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1957 S. 228; Nake, RWP 14 Steuer-R D StAnpG II B 1/63.
Aus den vorstehenden Erwägungen kann sich der Senat den im Schrifttum - teilweise für den anderen Fall der rückwirkenden Nichtigerklärung steuerrechtlicher Normen wegen Verfassungswidrigkeit - geäußerten gegenteiligen Meinungen zur Auslegung des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG nicht anschließen (vgl. Judeich-Felix, Kommentar zum Steueranpassungsgesetz, § 4 Tz. 13 am Ende; ferner Felix, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1962 S. 129 und S. 236; Felix-Heinemann, GmbHR 1964 S. 12; Gail, BB 1963 S. 265; Randebrock, DB 1962 S. 455, S. 1319 und BB 1963 S. 1464; Roos, GmbHR 1962 S. 235 und FR 1964 S. 9).
Da in diesem Verfahren für den Streitfall eine andere Berichtigungsvorschrift des Abgabenrechts nicht in Betracht kommt, hat sich das Finanzgericht aber zu Unrecht darauf berufen, daß die Grunderwerbsteuerbefreiung des unanfechtbaren Bescheids gemäß § 1 StAnpG erreicht werden müsse. § 1 StAnpG betrifft Fragen der Auslegung, kann aber nicht entgegen seinem Wortlaut als Vorschrift zur Berichtigung unanfechtbarer Steuerbescheide aus Rechtsgründen in allen Fällen herangezogen werden, in denen diese Unanfechtbarkeit nach Auffassung der Verwaltung oder der Steuergerichte vielleicht zu einem unbefriedigenden Ergebnis führt. Aus dem Prinzip der Rechtssicherheit als einem wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaates folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte, wie dies sogar für solche Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, in § 79 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht als der gesetzlichen Niederlegung eines allgemeinen Rechtsgedankens zum Ausdruck kommt. Besteht die Möglichkeit, daß dieses Prinzip mit dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit steht, so ist es - schon nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -) Aufgabe des Gesetzgebers. jeweils ausdrücklich zu entscheiden, ob z. B. in eine rückwirkende Steuervergünstigungsvorschrift auch bereits unanfechtbar gewordene Steuerfälle einbezogen werden sollen. Insbesondere kann es unter diesen Umständen ohne Rücksicht auf die Zahl der bereits unanfechtbar gewordenen Steuerfestsetzungen auch keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG bedeuten, wenn wegen Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in einer rückwirkenden Befreiungsvorschrift die unanfechtbar gewordenen Steuerbescheide nicht berichtigt werden können (vgl. auch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 28/62 vom 14. März 1963, BB 1963 S. 420 mit weiteren Zitaten; 2 BvR 51/63 vom 28. Februar 1963, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 Nr. 157 S. 159; 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957, BStBl 1958 I S. 52; Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 4 Anm. 2 Abs. 7, S. 647; Tipke-Kruse, a. a. O., § 4 Tz. 6a am Ende, S. 625; Wetter-Barske, a. a. O.).
In übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat es der III. Senat des Bundesfinanzhofs in dem bereits erwähnten Urteil III 45/57 U a. a. O. abgelehnt, die Berichtigung eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheides allein darauf zu stützen, daß durch eine rückwirkende Gesetzesänderung der Rechtskraft des ursprünglichen Steuerbescheides "der Boden entzogen" sei. Gegenüber diesen zwischenzeitlichen Rechtserkenntnissen kann sich das Finanzgericht auf die Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs II 9/50 S a. a. O. schon deshalb nicht beziehen, weil dieses Urteil eine Rechtsversorgung aus der Zeit vor Inkrafttreten des GG und zudem die besonders gelagerten Verhältnisse der Währungsreform 1948 betraf, aus deren Anlaß alle Rechtsvorschriften zwangsläufig nur nachträglich mit Rückwirkung ergehen konnten. Aus den gleichen Erwägungen lassen sich die vom Finanzgericht aus dem Urteil des Reichsfinanzhofs II A 399/27 a. a. O. gezogenen Rechtsfolgerungen als Möglichkeit der Berichtigung nach § 1 StAnpG nicht rechtfertigen. Außerdem lag diesem Urteil der Sonderfall eines Kriegsbeschädigten zugrunde, in dem eine sachliche Befreiungsvoraussetzung (im Sinne eines Sachverhaltsmerkmals) bereits vor Rechtskraft des Steuerbescheides eingetreten, jedoch lediglich aus Verfahrensgründen in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mehr geltend gemacht werden konnte. Vor allem aber hat der Reichsfinanzhof in dieser Sache nicht zu dem Fall entschieden, daß eine gesetzliche Befreiungsvorschrift selbst (im Sinne eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals) rückwirkend in Kraft getreten ist, oder gar, daß aus § 4 AO 1919 (= § 1 StAnpG) allein eine die Erstattung aus Rechtsgründen ermöglichende Berichtigung eines Steuerbescheides gefolgert werden könne. Sollte dem Reichsfinanzhof eine solche Ausdehnung der Erstattungsvorschriften der AO (des § 130 AO 1919 = § 153 AO neuer Fassung) vorgeschwebt haben, so könnte der Senat solchen, die Unanfechtbarkeit aus Billigkeitserwägungen durchbrechenden Gedanken heute nicht mehr folgen. Schließlich kann nicht unbeachtet bleiben, daß in dem vom Reichsfinanzhof entschiedenen Fall die nachträgliche Erstattung bereits entrichteter Grunderwerbsteuer nach einer auf Grund einer Ermächtigung gemäß § 21 GrEStG alter Fassung mit Rückwirkung ergangenen Reichsratsbestimmungen ausdrücklich vorgesehen war.
Wie bereits erwähnt, enthält das EuAGrEStG eine solche, die Aufhebung der unanfechtbaren Grunderwerbsteuerbescheide und die Erstattung der Grunderwerbsteuer ermöglichende Vorschrift nicht. Insbesondere kann Art. 2 EuAGrEStG als eine nur den Finanzausgleich betreffende Bestimmung nicht als eine solche Berichtigungs- und Erstattungsvorschrift angesehen werden (zumal sie sich auch auf Erstattungen aus Billigkeitsgründen beziehen könnte). Daß der Gesetzgeber bei Schaffung des EuAGrEStG von der Vorstellung ausgegangen ist, auch unanfechtbar festgesetzte und entrichtete Grunderwerbsteuer sei zu erstatten, gibt den Steuergerichten nicht das Recht der Umdeutung von - nur zwischen Staat und Stadt- und Landkreisen wirkenden - Vorschriften des Finanzausgleichs in Normen, die Rechtsansprüche der betroffenen Staatsbürger begründen.
Schließlich kann auch in Abschn. D der VAO zum EuAGrEStG a. a. O., wonach rechtskräftige Steuerfestsetzungen bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit ebenfalls gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG zurückzunehmen und die gezahlte Grunderwerbsteuer zu erstatten ist, eine (unbefristete) allgemeine Billigkeitsmaßnahme - etwa nach § 131 Abs. 2 AO - nicht erblickt werden; dies ist schon deshalb nicht möglich, weil sich aus der vom Finanzamt in der Einspruchsentscheidung angeführten Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 14. September 1960 S 4504 - 72/26 - 34 965 I ergibt, daß das Bayer. Staatsministerium der Finanzen ausdrücklich nur eine Erstattung über die Berichtigungs- und Erstattungsvorschrift des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG mit der Fristbegrenzung des § 4 Abs. 2 StAnpG gewähren, offensichtlich aber mit der VAO zum EuAGr-EStG selbst darüber hinaus nicht einen die Steuererstattung aus § 131 Abs. 2 AO begründenden eigenen (Rechts-) Anspruch schaffen wollte.
Die Vorentscheidung, die von anderen Erwägungen ausgeht, war aufzuheben, ohne daß auf weitere Gesichtspunkte (z. B. des Fristablaufs) eingegangen werden konnte. Die Sache ist spruchreif. Aus den vorstehenden Gründen mußten die Einspruchsentscheidung und der Ablehnungsbescheid des Finanzamts vom 16. Februar 1961 wiederhergestellt werden.
Das im Einzelfall wenig befriedigende Ergebnis aus dieser durch ein unvollständiges Gesetz verursachten Rechtslage gibt dem Senat für sich allein keine Handhabe für eine Abweichung vom Gesetz; insbesondere kann - dies sei wegen der Besonderheit des Falles ausdrücklich hervorgehoben - in diesem Verfahren nicht darüber entscheiden werden, ob unter diesen besonderen Umständen eine Billigkeitsmaßnahme wegen Härte in der Sache (ß 131 AO) angezeigt erscheint.
über einen Billigkeitsantrag im Einzelfall entscheidet aber das Finanzamt. Nach Ausschöpfung des Beschwerdeverfahrens (§§ 237 Abs. 1, 303, 304 AO) wäre die überprüfung einer ablehnenden Beschwerdeentscheidung der Finanzverwaltungsbehörden durch erneute Anrufung der Steuergerichte möglich (§§ 237 Abs. 2, 229, 286 AO).
Da der Bg. auf Grund des Abschn. D der VAO zum EuAGrEStG a. a. O., wonach die Steuererstattung gemäß § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG möglich sei, zunächst zu dem jetzt eingeschlagenen Rechtsweg veranlaßt worden ist, hält es der Senat für angebracht, dem Bg. die vor dem Bundesfinanzhof und dem Finanzgericht entstandenen Rechtsmittelgebühren und die diesen Gerichten erwachsenen Auslagen im vollen Umfang zu erlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 411168 |
BStBl III 1964, 308 |
BFHE 1964, 210 |
BFHE 79, 210 |