Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Rechtswirksamkeit eines Gewerbesteuer-Meßbescheides bei Vorliegen von Zustellungsmängeln.
Normenkette
AO §§ 211, 212a, 212b; VwZG §§ 9, 17
Tatbestand
I. Bescheid
Dem Beschwerdeführer (Bf.) sind die gegen ihn erlassenen Gewerbesteuer-Meßbescheide für II/1948 bis 1952 in der Weise bekanntgegeben worden, daß sie das Finanzamt an das Städtische Steueramt übersandt hat, dessen Bote sie zusammen mit den dort ausgefertigten Gewerbesteuerbescheiden in den Briefkasten des Bf. eingeworfen hat.
Mit der Sprungberufung hat der Bf. geltend gemacht, die Zustellung der Gewerbesteuer-Meßbescheide genüge weder der Vorschrift des § 5 noch der des § 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Da die Rechtsmittelfrist mit der Zustellung beginne, sei gemäß § 9 Abs. 2 VwZG auch eine Heilung der Zustellungsmängel nicht möglich. Die Steuermeßbescheide seien daher nicht als existent zu betrachten.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Die mangelhafte Zustellung der Gewerbesteuer-Meßbescheide habe, so hat das Finanzgericht ausgeführt, nur zur Folge gehabt, daß die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei, jedoch nicht die Rechtsunwirksamkeit der Bescheide bewirkt (Becker, Anm. 7 zu § 70 der Reichsabgabenordnung a. F.).
Entscheidungsgründe
Auch die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Das Finanzgericht hat zutreffend die Rechtsunwirksamkeit der Gewerbesteuer-Meßbescheide infolge fehlerhafter Zustellung verneint. Die Gemeinde wird bei der Zustellung des Gewerbesteuer-Meßbescheides lediglich im Auftrage des Finanzamts tätig (vgl. Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 2, Abs. 2 zu § 212b). Der Steuerpflichtige kann aus dem Gewerbesteuer-Meßbescheid eindeutig erkennen, daß dieser vom Finanzamt ausgeht und daß er sich im Rechtsmittelverfahren an das Finanzamt und nicht an die Gemeindebehörde zu wenden hat (vgl. das Urteil des Finanzgerichts Stuttgart II 579/55 vom 22. Juli 1955, Entscheidungen der Finanzgerichte 1956 S. 258). Ein Zustellungsmangel liegt nun zwar im Streitfall insofern vor, als das VwZG keine Zustellung durch einen Boten ohne Empfangsbestätigung kennt (vgl. § 5 des Gesetzes). Zu Unrecht folgert jedoch der Bf. aus der Vorschrift des § 9 Abs. 2 VwZG, daß die Bescheide wegen dieses Zustellungsmangels nicht existent geworden seien. Nach § 9 Abs. 1 VwZG gilt bei fehlerhafter Zustellung das Schriftstück als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Dieser Grundsatz ist aber nach Abs. 2 a. a. O. nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Frist beginnt. Hieraus ist zu entnehmen, daß die abweichende Regelung in Abs. 2 nur für den Fristlauf von Bedeutung sein soll. Dementsprechend wird in Ziff. 11 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Oktober 1952 (Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen 1952 S. 547) bestimmt, daß bei einem Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften die Frist nicht in Lauf gesetzt wird. Darüber hinaus hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil VI 135/55 U vom 12. April 1957 (BStBl 1957 III S. 241, Slg. Bd. 65 S. 23) die Möglichkeit des Laufes einer Rechtsmittelfrist trotz vorliegender Zustellungsmängel bejaht. Nach dieser Entscheidung beginnt, wenn auf einer durch die Post mit Zustellungsurkunde zuzustellenden Sendung der Tag der Zustellung nicht vermerkt worden ist, die Rechtsmittelfrist in der Regel mit dem Ablauf des dritten Tages nach der Aufgabe zur Post. Jedenfalls führen somit auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Zustellungsmängel nicht zur Rechtsunwirksamkeit eines Steuerbescheides oder einer Rechtsmittelentscheidung, sondern wirken sich nur auf den Lauf der Rechtsmittelfrist aus.
II. Urteil In der mündlichen Verhandlung hat der Bf. zu der Frage der Rechtsunwirksamkeit der Gewerbesteuer-Meßbescheide infolge fehlerhafter Zustellung im wesentlichen folgendes vorgebracht:
Die Frage habe grundsätzliche Bedeutung, da es sich, soweit ersichtlich, um ein allgemein von den Finanzämtern geübtes Verfahren handle. Die Vorschrift des § 211 der Reichsabgabenordnung (AO) verlange bei den schriftlich zu erteilenden Steuerbescheiden, zu denen auch die Gewerbesteuer-Meßbescheide gehörten (ß 212a Abs. 2 AO), zwingend, daß sie verschlossen in einer durch Gesetz vorgeschriebenen Form dem Empfänger bekanntgemacht würden. Die einschlägigen Formvorschriften seien in dem VwZG enthalten. Als Ausnahme von der förmlichen Zustellung nach den §§ 3 - 5 des Gesetzes sei nur der Weg nach § 17 a. a. O. (Zusendung mittels einfachen Briefes durch die Post) zugelassen. Jede Abweichung hiervon stelle einen Verstoß gegen den nun auch in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar und habe zur Folge, daß der betreffende Steuerbescheid (Steuermeßbescheid) nicht existent geworden sei. Nach verwaltungsrechtlicher Lehre gehörten Zustellungs- und sonstige Bekanntgabefehler zu den das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes hindernden Formfehlern. So sei z. B. die Ernennung eines Beamten nichtig, wenn nicht das Formerfordernis der übergabe der Ernennungsurkunde eingehalten sei. Die Heilungsvorschrift des § 9 VwZG könne weder unmittelbar noch entsprechend auf § 17 a. a. O. angewendet werden; sie beziehe sich nur auf die im VwZG geregelten förmlichen Zustellungsarten. Zudem sei ihre Anwendung im vorliegenden Fall durch § 9 Abs. 2 VwZG ausdrücklich ausgeschlossen. Das Ausmaß der Fehlerhaftigkeit der Bekanntgabe ergebe sich daraus, daß alle zwingenden Vorschriften des § 17 VwZG verletzt seien. Der Gewerbesteuer-Meßbescheid komme unverschlossen in die Hände der Stadtverwaltung, die somit, wie dies auch tatsächlich geschehe, noch änderungen oder Ergänzungen vornehmen könne. So werde regelmäßig erst von der Gemeindeverwaltung das Datum des Bescheides eingesetzt. In einem Falle sei von der Gemeinde sogar die Festsetzung eines Meßbetrages für Gewerbesteuer-Vorauszahlungszwecke vorgenommen worden. Bei Erhebung einer Mindeststeuer nach § 17a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) sehe die Gemeinde vielfach von der Weitergabe des Gewerbesteuer-Meßbescheides an den Steuerpflichtigen überhaupt ab. Die Mindeststeuer setze aber die Gewerbesteuerpflicht dem Grunde nach voraus, worüber nur im Rechtsmittelverfahren gegen den Gewerbesteuer-Meßbescheid entschieden werden könne. Die Beförderung der Sendung an den Steuerpflichtigen erfolge schließlich nicht unter den Sicherungen des Postgesetzes, sondern durch einen Boten der gemeindlichen Botenmeisterei. Das Finanzamt wisse nicht, ob und wann der Bescheid auf den Weg zum Steuerpflichtigen gebracht worden sei.
Auch das Vorbringen des Bf. in der mündlichen Verhandlung gibt dem Senat keinen Anlaß, von seiner im Bescheid vom 24. Juli 1958 niedergelegten Auffassung abzugehen. Aus der zum Wesen der Rechtsstaatlichkeit gehörenden Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht, wie sie in Art. 20 Abs. 3 GG Ausdruck gefunden hat, kann noch nicht geschlossen werden, daß fehlerhafte Verwaltungsakte schlechthin nichtig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. den Beschluß I B 49/53 vom 21. Januar 1954, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. 1 S. 67) haben die von den staatlichen Organen erlassenen Akte die Vermutung der Gültigkeit für sich; sie sind bei Fehlerhaftigkeit grundsätzlich nur vernichtbar, anfechtbar, aber im allgemeinen nicht nichtig. Nach der Verwaltungsrechtslehre sind zwar Verwaltungsakte, die mit Formfehlern behaftet sind, in der Regel nichtig (vgl. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, Springer-Verlag Berlin, Göttingen, Heidelberg 1949 S. 166). Von der Form eines Verwaltungsaktes ist aber nach Peters, a. a. O., S. 160, 161 der für ihn vorgeschriebene Erklärungsweg, z. B. bei einem Steuerbescheid, zu unterscheiden. Für derartige empfangsbedürftige Verwaltungsakte kommt es, wie dort ausgeführt ist, darauf an, daß sie so in den Lebensbereich des Empfängers gelangt sind, daß er unter normalen Umständen davon Kenntnis erhalten konnte.
Für die Nichtigkeit eines Steuerbescheides (Steuermeßbescheides) bei fehlerhafter Bekanntgabe spricht auch nicht, wie der Bf. meint, die Regelung in § 9 VwZG. Diese Vorschrift geht davon aus, daß das Schriftstück dem Empfänger tatsächlich zugegangen ist. In Abs. 1 ist ein bestimmter Zeitpunkt festgelegt, in dem das Schriftstück als zugestellt gilt. Daraus könnte entnommen werden, daß eine mit der Zustellung beginnende Rechtsmittelfrist in diesem Zeitpunkt in Lauf gesetzt worden ist. Wenn demgegenüber in Abs. 2 bestimmt ist, Abs. 1 sei nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginne, so soll damit dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend nur gesagt sein, daß in diesem Falle die erwähnte Folgerung nicht gezogen werden soll, d. h. daß die Frist nicht in Gang gesetzt worden ist. Diese Regelung trägt den Belangen des Zustellungsempfängers, indem sie eine Einschränkung seiner sachlichen Anfechtungsbefugnis vermeidet, in ausreichendem Maße Rechnung. Die Bestimmung erwähnt im übrigen zwar die mit der Zustellung eines Steuerbescheides (Steuermeßbescheides) beginnende Einspruchsfrist überhaupt nicht; es wird jedoch davon auszugehen sein, daß der in der Vorschrift enthaltene Grundsatz sinngemäß auch auf diese Frist anzuwenden ist. Andererseits erscheint es aber nicht angängig, für das Besteuerungsverfahren deshalb eine strengere Beurteilung Platz greifen zu lassen, weil für dieses in § 17 VwZG ein vereinfachtes Bekanntgabeverfahren zugelassen ist. Vielmehr kann gerade hieraus geschlossen werden, daß im Besteuerungsverfahren Formvorschriften eine geringere Rolle spielen sollen als in anderen Verfahren.
Schließlich läßt sich die Auffassung des Bf. auch nicht mit dem Hinweis auf das Ausmaß der Fehlerhaftigkeit der hier angewendeten Art und Weise der Bekanntgabe rechtfertigen. Nach § 212b Abs. 1 AO sind zwar der Gemeinde nur die Steuermeßbeträge mitzuteilen. Wenn sie, wie hier, an Stelle dieser Mitteilung die unverschlossenen Gewerbesteuer-Meßbescheide erhalten hat, so erscheint dies angesichts der Mitwirkungsrechte, die der Gemeinde im Gewerbebesteuerungsverfahren eingeräumt sind, als kein so schwerwiegender Verstoß gegen das Gesetz, wie es der Bf. annimmt. Die genannten Rechte ergeben sich aus § 36 Abs. 2 - 4 und § 100 Abs. 3 AO sowie aus der Vertretung der Gemeinde im Steuerausschuß gemäß § 25 Abs. 1 Ziff. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (vgl. hierzu den Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 43/55 U vom 22. November 1955, BStBl 1956 III S. 44, Slg. Bd. 62 S. 115). Darüber hinaus kann die Gemeinde nach § 19 Abs. 3 GewStG im Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren die Gewerbesteuer-Vorauszahlungen der Steuer anpassen, die sich für den laufenden Erhebungszeitraum voraussichtlich ergeben wird. Hierbei hat sie freie Hand, soweit nicht das Finanzamt im Rahmen des § 19 Abs. 3 Satz 2 GewStG einen einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag für Zwecke der Gewerbesteuer-Vorauszahlungen festgesetzt hat.
Nach alledem hält der Senat daran fest, daß die fehlerhafte Bekanntgabe der Gewerbesteuer-Meßbescheide gegenüber dem Bf. nicht deren Nichtigkeit zur Folge gehabt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 409244 |
BStBl III 1959, 203 |
BFHE 1959, 536 |
BFHE 68, 534 |