Leitsatz (amtlich)
1. Einem Wirtschaftsprüfer kann nicht in der Form des § 5 Abs. 2 VwZG gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden.
2. Das Steuerrecht kennt kein allgemeines Institut der Organschaft in dem Sinne, daß bei einem bestimmten Beteiligungsverhältnis für alle steuerrechtlichen Beziehungen von der Personenverschiedenheit der Organteile abzusehen wäre (BFH 88, 66).
2. Für die Gesellschaftsteuer kommt es auf die Organschaft als solche nicht an (vgl. BFH 92, 536; 95, 120), obschon sie Auslegungsmerkmal für den Inhalt ungenügend bestimmter Verträge sein kann (BFH 92, 522 ff.).
Normenkette
FGO §§ 53, 104, 120 Abs. 1; VwZG § 5 Abs. 2; KVStG § 2 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Der Alleingesellschafter der Klägerin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hat auf Grund eines Ergebnisabführungsvertrags deren für das Jahr 1967 errechnete Verluste übernommen. Die Klägerin ist angeblich Organ ihres Gesellschafters und diesem eingegliedert; einschlägige Tatsachen sind nicht festgestellt. Nach der Behauptung der Klägerin rührten deren "Verluste" aus Sonderabschreibungen und einer Pensionsrückstellung. Das beklagte FA hat aus dem der Klägerin zugeführten Betrag Gesellschaftsteuer festgesetzt und deren Einspruch zurückgewiesen. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Zwar ist das angefochtene Urteil dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ausweislich seines Empfangsbekenntnisses bereits am 18. November 1970 zugegangen, und ist die am 18. Dezember 1970 eingelegte Revision erst am 17. Februar 1971 begründet worden. Die Revisionsbegründungsfrist ist aber trotzdem eingehalten, da die Übermittlung des angefochtenen Urteils an den Prozeßbevollmächtigten die Fristen des § 120 Abs. 1 FGO nicht in Lauf gesetzt hat. Denn das Urteil war nicht "zugestellt" (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 104 Abs. 1 Satz 2, Halbsatz 2, Abs. 2, § 53 Abs. 2 FGO). Der Prozeßbevollmächtigte gehörte als Wirtschaftsprüfer nicht zu dem in § 5 Abs. 2 Halbsatz 1 VwZG bezeichneten Personenkreis, dem auch auf andere als die in § 3, § 4 oder § 5 Abs. 1 VwZG beschriebene Weise zugestellt werden kann, und bei dem zum Nachweis der Zustellung das Empfangsbekenntnis genügt (§ 5 Abs. 2 Halbsatz 2 VwZG); § 5 Abs. 2 VwZG kann auf ihn nicht entsprechend angewendet werden (vgl. Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Januar 1970 - 2 B 2/70 - NJW 1970, 1144). Auf dem in § 5 Abs. 1 VwZG vorgesehenen Wege war die Ausfertigung des Urteils dem Prozeßbevollmächtigten nicht ausgehändigt worden.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Gemäß § 2 (Abs. 1) Nr. 2 KVStG unterliegen der Gesellschaftsteuer Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden. Das Tatbestandsmerkmal der "im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung" setzt nicht voraus, daß die Verpflichtung eine gesellschaftsrechtliche ist; es genügt, daß sie als Rechtspflicht des Gesellschafters Ausfluß der auf der Gesellschafterstellung beruhenden tatsächlichen Herrschaftsmacht ist (Urteil des BFH II 176/61 vom 8. November 1967, 91, 172 [175], BStBl II 1968, 213). Diese Voraussetzung ist bei den Verpflichtungen, welche dem Alleingesellschafter aus einem mit ihm abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrag obliegen, erfüllt (BFH 91, 172 [179]). Denn der Vertrag, in dem sich die Gesellschaft verpflichtet, auf eigenen Gewinn zu verzichten und die von ihr erwirtschafteten Erträge an den Alleingesellschafter abzuführen, ist Folge und Ausdruck seiner die Gesellschaft beherrschenden Stellung; sie wird notwendig ergänzt durch die Verpflichtung des Alleingesellschafters, etwaige Verluste der Gesellschaft abzudecken. Die Erfüllung dieser Pflicht ist eine Leistung auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung (BFH-Urteile II 189/65 vom 28. Januar 1969, BFH 95, 121 [122], BStBl II 1969, 323, und II 64/62 vom 17. März 1970, BFH 99, 393 [396], BStBl II 1970, 702).
Diese Auffassung ist nicht, wie die Klägerin meint, Ausdruck der sogenannten Zweckwillenstheorie. Sie beruht vielmehr ausschließlich auf einer Würdigung des Sinns und Zwecks des § 2 (Abs. 1) Nr. 2 KVStG (BFH 91, 172 [175 ff.]; vgl. BFH-Urteil II 221/65 vom 14. Januar 1969, BFH 95, 117 [120], BStBl II 1969, 321). Daher kann dahingestellt bleiben, ob oder inwieweit der BFH an der sogenannten Zweckwillenstheorie festhält (vgl. BFH-Urteil II 40/62 vom 14. März 1967, BFH 88, 427 [431], BStBl III 1967, 423).
Fehl geht auch die Auffassung der Revision, daß es für dieses Ergebnis auf eine Organschaft als solche ankomme. Die Verlustdeckung aus einem Ergebnisabführungsvertrag kann der Gesellschaftsteuer unterliegen, auch wenn kein Organverhältnis im Sinne des Körperschaftsteuerrechts oder des Umsatzsteuerrechts gegeben ist (vgl. Urteil II 94/62 vom 7. Mai 1968, BFH 92, 534 [536], BStBl II 1968, 617), während umgekehrt die Gewinnabführung an den Organträger nicht der Gesellschaftsteuer unterliegt (BFH-Urteil II 221/65 vom 14. Januar 1969, BFH 95, 117 [120], BStBl II 1969, 321). Es gibt kein allgemeines Institut der Organschaft in dem Sinne, daß bei einem bestimmten Beteiligungsverhältnis für alle steuerrechtlichen Beziehungen von der Personenverschiedenheit der Organteile abzusehen wäre (BFH-Urteil II 170/64 vom 14. Februar 1967, BFH 88, 66, BStBl III 1967, 346). Darum bestimmt nicht die Organschaft als solche, sondern der Inhalt der vertraglichen Abmachungen den Umfang der Verpflichtung (BFH-Urteil II 32/62, R 49/66 vom 7. Mai 1968, BFH 92, 525 [527], BStBl II 1968, 614) und die "Organschaft" erscheint allenfalls aus Auslegungsmerkmal für den Inhalt ungenügend bestimmter Verträge (BFH-Urteil II B 208/61 vom 7. Mai 1968, BFH 92, 519 [522 f.], BStBl II 1968, 612).
Fundstellen
Haufe-Index 413175 |
BStBl II 1972, 676 |
BFHE 1972, 508 |