Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
ß 1 Abs. 2 GrEStG ist nicht anwendbar, wenn der Übergang des bürgerlich-rechtlichen Grundstückseigentums vereinbart ist und der Käufer die ihm schon vorab überlassene wirtschaftliche Macht an dem Grundstück nach Aufhebung des Kaufvertrags zugunsten des Eigentümers aufgibt.
GrEStG § 1 Abs. 2.
Normenkette
GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5
Tatbestand
Das Grundstück D., X.-Straße, gehörte früher Herrn Paul R. In der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 mußte dieser es zu einem aus den Akten nicht genau festzustellenden Zeitpunkt an die W. & Co. KG veräußern. Dieses Unternehmen wurde noch vor der Währungsreform in die Einzelfirma S. umgewandelt. Im Zuge der Umwandlung wurde das Grundstück durch schuldrechtlichen Vertrag auf Dr. A. W. übertragen; hierfür wurde die Grunderwerbsteuer bezahlt. Wegen der Vermögenssperre nach dem Gesetz Nr. 52 (Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet Nr. 3 S. 18) ist es zu einer Umschreibung des Eigentums im Grundbuch nicht mehr gekommen. Das nunmehr als Einzelfirma geführte Unternehmen wurde kurze Zeit später in die S. & Co. KG, die Bgin., umgewandelt. Trotz der zweimaligen Umwandlung blieb als Eigentümer im Grundbuch die W. & Co. KG eingetragen.
Die Erben nach Paul R. erhoben im Jahre 1951 nach dem Gesetz Nr. 59 über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen - Brit. REG - (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1949 S. 152) Ansprüche unter anderem gegen die Bgin., die Erben nach Dr. A. W. und die W. & Co. KG. Die Rückerstattungsberechtigten und die Rückerstattungsverpflichteten einigten sich über diese Ansprüche in einem am 28. November 1952 vor der Wiedergutmachungskammer abgeschlossenen Vergleich, der am 5. Januar 1953 rechtskräftig wurde. Hiernach erhielten die Rückerstattungsberechtigten zur Abgeltung aller Ansprüche den Betrag von 300.000 DM. Die Vergleichsparteien bewilligten und beantragten nach Nr. 2 Abs. 3 des Vergleiches, die Bgin. als Eigentümerin des Grundstücks in das Grundbuch einzutragen, während nach Abs. 4 dieser Vergleichsbestimmung die Erben nach Dr. W. auf die Eigentumsübertragung an diesem Grundstück verzichteten. Nachdem die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück hierdurch bereinigt worden waren, bewilligte die Bgin. zur Sicherung für die nach Nr. 4 des Vergleiches am 30. Juni und 31. Dezember 1953 fälligen Vergleichsraten die Eintragung zweier Grundschulden von je 100.000 DM auf das Grundstück.
Das Finanzamt sah in dem Verzicht der Erben nach Dr. W. auf Auflassung zuletzt die Übertragung der wirtschaftlichen Macht an dem Grundstück an die Eigentümerin, die S. & Co. KG. Es setzte die Steuer nach einer Gegenleistung von 199.000 DM auf 13.930 DM fest. Der Betrag der Gegenleistung ist unstreitig. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung hat die Bgin. wiederum Freistellung von der Grunderwerbsteuer begehrt. Das Finanzgericht vertrat, im Gegensatz zum Finanzamt, die Auffassung, die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 GrEStG seien im Streitfall nicht erfüllt, denn die Vorschrift sei nicht anwendbar, wenn der Übertrag des juristischen Grundstückseigentums vereinbart sei und der bisherige Eigentümer seinem Vertragsgegner nur in Erfüllung dieser vertragsmäßigen Verpflichtung vorab die wirtschaftliche Verfügungsmacht übertrage (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 137/23 vom 14. Juli 1923, Slg. Bd. 12 S. 301, RStBl 1924 S. 20). Hiernach brauche auf die Bestimmungen des § 17 GrEStG und Art. 77 Brit. REG nicht mehr eingegangen zu werden.
Mit der Rb. wendet sich der Vorsteher des Finanzamts (Bf.) gegen diese Rechtsauffassung.
Entscheidungsgründe
Der Rb. ist der Erfolg zu versagen.
Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten, der Grunderwerbsteuer. Die Vorschrift bezweckt, ebenso wie dies seinerzeit die Bestimmung des § 6 GrEStG 1919 tat, auch die Fälle grunderwerbsteuerlich zu erfassen, in denen die Beteiligten von der Übertragung des Eigentums und dem Abschluß des entsprechenden Verpflichtungsgeschäftes absehen und an Stelle des Eigentums nur die Verwertungsbefugnis übergehen lassen, also einen eigentumsähnlichen Zustand schaffen. Wie schon der Reichsfinanzhof in den Urteilen II A 137/23 vom 14. Juli 1923 (Slg. Bd. 12 S. 301)und II A 573/26 vom 29. Dezember 1926 (Steuer und Wirtschaft 1927 Nr. 101, Mrozek-Kartei, GrEStG 1919, § 6, Rechtsspruch 23) ausgeführt hat, muß dieser eigentumsähnliche Zustand von den Beteiligten gewollt sein und es genügt nicht, wenn er nur die Übertragung des juristischen Eigentums vorbereiten soll. Dieser Grundsatz gilt, wie das Finanzgericht nicht verkannt hat, auch für § 1 Abs. 2 GrEStG 1940. Diese Bestimmung entspricht im allgemeinen der Regelung nach §§ 6 und 5 Abs. 4 Ziff. 5 GrEStG 1919. Zwar verlangt das Gesetz 1940 nicht mehr, daß derjenige, dem die wirtschaftliche Stellung des Eigentümers verschafft wird, über das Grundstück wie ein Eigentümer verfügen kann, es genügt vielmehr eine Rechtsstellung, die es dem Erwerber dem wirtschaftlichen Inhalt nach ermöglicht, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten (vgl. auch die Begründung des Gesetzes in RStBl 1940 S. 391 rechte Spalte Mitte). Ist jedoch die Einräumung dieser rechtlichen und wirtschaftlichen Befugnisse nicht das Endziel der Vereinbarungen der Beteiligten, sondern werden diese Befugnisse nur in Erfüllung einer Vertragspflicht auf Grund eines Grundstückskaufvertrages schon vorab überlassen, so liegen die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 GrEStG nicht vor. Die Vorschrift ist daher, wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes auch ergibt, nur dann anwendbar, wenn kein Anspruch auf Übereignung des Grundstückes begründet worden ist. Ist ein solcher Anspruch begründet worden, so kann es, wenn sich der Eigentumsübergang verzögert, auf die mehr oder weniger lange Zeit, während der dieser Zustand besteht, nicht ankommen. Wird der den Anspruch auf Eigentumsübertragung begründende Vertrag, noch bevor der Eigentumswechsel im Grundbuch eingetragen worden ist, später wieder aufgehoben, so kann die Aufgabe der wirtschaftlichen Macht zugunsten des Eigentümers keine Steuer auslösen (vgl. Urteil des ReichsfinanzhofsII A 573/26 vom 29. Dezember 1926, a. a. O. vorletzter Absatz der Gründe); denn das Gesetz knüpft an die Verwirklichung dieses Tatbestandes keine Steuer. Es geht insbesondere nicht an, die Aufgabe der wirtschaftlichen Macht für sich allein zu betrachten, wie der beschwerdeführende Vorsteher des Finanzamts dies tut.
Im Streitfall hat Dr. W. unstreitig das bürgerlich-rechtliche Eigentum an dem Grundstück erwerben sollen. Die Vollendung dieses Erwerbes durch Eintragung in das Grundstück ist allein an der durch die Militärregierung verfügten Vermögenssperre gescheitert. In dem Verzicht der Erben nach Dr. W. auf Eigentumsübertragung durch den Vergleich vom 28. November 1952 hat das Finanzgericht eine Aufhebung des auf Eigentumsübertragung gerichteten Verpflichtungsgeschäftes gesehen. Die Auslegung von Verträgen, wozu auch der gerichtliche Vergleich zu rechnen ist, liegt auf tatsächlichem Gebiet. Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts sind nach der an das Urteil des ReichsfinanzhofsVI v A 27/24 vom 29. Oktober 1924 (Slg. Bd. 14 S. 350) anknüpfenden ständigen Rechtsprechung der höchsten Steuergerichte gemäß §§ 288 Ziff. 1, 296 Abs. 1 AO für den Senat bindend, wenn das Finanzgericht, was hier der Fall ist, auf Grund der ihm zustehenden freien Beweiswürdigung ohne Rechtsirrtum, ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und ohne Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zu dem gewonnenen Ergebnis kommen konnte. Daß das Finanzgericht zu diesem Ergebnis kommen mußte, wird nicht verlangt. Soweit sich der Vorsteher des Finanzamts daher gegen die Auslegung des Verzichtsvertrages durch die Vorinstanz wendet, kann er bei der Beschränkung der Rechtsbeschwerdegründe keinen Erfolg haben. Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts sind vielmehr der Entscheidung zugrunde zu legen. In rechtlicher Hinsicht verkennt der Vorsteher des Finanzamts, daß durch das GrEStG 1940 die früher geltende Regelung, soweit es im Streitfall darauf ankommt, nicht geändert worden ist und daß die Vorschrift des § 17 GrEStG nur die Erstattung von Grunderwerbsteuer regelt. Gegenstand des Rechtsstreites ist jedoch nicht eine Steuererstattung, die nur für die Steuerfestsetzung auf Grund des Grundstückskaufvertrages mit Dr. W. in Betracht kommen könnte, sondern die Frage, ob eine neue Vereinbarung einen weiteren Steuertatbestand erfüllt. Hierfür ist die Bestimmung des § 17 GrEStG ohne Bedeutung.
Hiernach war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410467 |
BStBl III 1962, 313 |
BFHE 1963, 122 |
BFHE 75, 122 |