Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerungsrecht für Abfindungszahlungen an einen im Inland ansässigen, aber auf liberianischen Schiffen tätigen Seemann: Begriff der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit im DBA-Liberia, Abfindung als Arbeitslohn, Änderung der Rechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
Abfindungen, die einem in der Bundesrepublik ansässigen Seemann aus Anlaß der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, stellen auch dann in der Bundesrepublik in voller Höhe steuerpflichtige Einkünfte dar, wenn der Seemann im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zuvor auf Schiffen tätig war, die unter liberianischer Flagge liefen.
Orientierungssatz
1. Welche Bezüge unter den im DBA-Liberia nicht geregelten Begriff der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit fallen, richtet sich nach deutschem Steuerrecht.
2. Durch das frühere Arbeitsverhältnis veranlaßte Abfindungen gehören als "andere Bezüge und Vorteile" i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
3. Soweit sich aus den BFH-Urteilen vom 18.7.1973 I R 52/69 sowie vom 3.10.1984 I R 135/81 etwas anderes ergeben sollte, hält der Senat daran nicht fest.
Normenkette
DBA LBR Art. 15 Abs. 1; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war von 1975 an als Seemann bei einer inländischen Reederei angestellt und arbeitete für diese auf Schiffen, die teilweise nach Liberia ausgeflaggt waren. Das Beschäftigungsverhältnis endete Ende 1986, nachdem dem Kläger seitens der Reederei betriebsbedingt gekündigt worden war. Als Abfindung erhielt er "für den Verlust des Arbeitsplatzes sowie zur endgültigen Befriedigung der Ansprüche" aus einer Kündigungsschutzklage einen Betrag von 78 128 DM. Davon entfielen ca. 58 000 DM auf Ansprüche des Klägers aus einem Sozialplan und ca. 20 000 DM als Nachteilsausgleich gemäß § 113 des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beließ hiervon 24 000 DM gemäß § 3 Nr.9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei und versteuerte den verbleibenden Betrag als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs.1 i.V.m. Abs.2 Nr.2 EStG. Die Kläger wandten sich gegen die Höhe dieses verbleibenden Betrages. Sie waren u.a. der Auffassung, die Abfindung sei vorab anteilig für Beschäftigungszeiten zu kürzen, die auf Schiffe unter der Flagge Liberias entfielen.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Kläger im Inland unbeschränkt steuerpflichtig seien und daß es sich bei der Abfindung um Entgelt aus nichtselbständiger Arbeit handele. Als solche sei die Abfindung nicht von der inländischen Besteuerung freigestellt. Das Besteuerungsrecht könne sich nur auf Liberia verlagern, sofern die fragliche Tätigkeit in diesem Staat ausgeübt worden sei (Art.15 Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Liberia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 25. November 1970 --DBA-Liberia--, BGBl II 1973, 1286, BStBl I 1973, 616). So verhalte es sich bei der im Streitjahr 1986 an den Kläger gezahlten Abfindung jedoch nicht. Diese sei nicht als zusätzliches Entgelt für die vergangene und tatsächlich vom Kläger geleistete Arbeit erbracht worden, sondern als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1986 auf 9 259 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger für die inländische Reederei von 1975 bis 1986 insgesamt elf Jahre und neun Monate als angestellter Seemann tätig gewesen ist, davon teilweise --fünf Jahre und 1 1/2 Monate-- auf Schiffen, die unter liberianischer Flagge fuhren. Anknüpfungspunkt für die Besteuerung der Heuer, die der Kläger für diese Zeiträume auf den liberianischen Schiffen vereinnahmt hat, war Art.15 Abs.1 DBA- Liberia. Danach werden Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert, es sei denn, daß die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird (Art.15 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 DBA-Liberia). Dies gilt auch für die Besteuerung der Besatzungen von Seeschiffen im internationalen Verkehr. Anders als in Art.15 Abs.3 des Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens --Bericht des Steuerausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung-- fehlt im DBA-Liberia insoweit eine besondere Regelung, die vorsieht, daß die Vergütungen der Schiffbesatzungen in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet, in dessen Diensten die betreffenden Personen stehen.
2. Hiervon abweichend unterlag die dem Kläger im Streitjahr 1986 seitens der Reederei ausbezahlte Abfindungszahlung aus Anlaß der Kündigung des Arbeitsverhältnisses jedoch auch insoweit der inländischen Besteuerung, als sie auf dessen Beschäftigungszeiten auf den Schiffen entfiel, die unter liberianischer Flagge standen.
a) Bei einer Abfindung, die --wie im Streitfall dem Kläger-- einem Arbeitnehmer anläßlich der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gewährt wird, handelt es sich um Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i.S. von Art.15 Abs.1 DBA-Liberia. Dieser Begriff wird im DBA-Liberia nicht definiert. Es werden lediglich typische Einkünfte (Löhne, Gehälter und ähnliche Vergütungen) aufgezählt, die ein Arbeitnehmer aus nichtselbständiger Arbeit beziehen kann. Welche Bezüge hiernach im einzelnen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind, richtet sich daher nach deutschem Steuerrecht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Juli 1973 I R 52/69, BFHE 110, 43, BStBl II 1973, 757; Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2.Aufl., Art.15 Rz.14). Hiernach gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben Gehältern und Löhnen u.a. "andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im privaten Dienst gewährt werden" (§ 19 Abs.1 EStG) und damit auch Abfindungen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1978 VI R 91/77, BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; Bergkemper in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 21.Aufl., § 3 EStG Nr.9 Rdnr.11). Sie sind durch das frühere Arbeitsverhältnis ursächlich veranlaßt.
b) Gleichwohl unterfallen diese Einkünfte der inländischen Besteuerung, weil sie kein zusätzliches Entgelt für die frühere Tätigkeit darstellen und nicht für eine konkrete im In- oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt werden (Senatsurteil vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819). Handelt es sich --wie im Streitfall-- nicht um Versorgungsbezüge i.S. von Art.19 DBA-Liberia, sind sie deshalb als "ähnliche Vergütungen" gemäß Art.15 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 1 DBA-Liberia nur in dem Staat zu besteuern, in dem der abgefundene Arbeitnehmer ansässig ist. Da der Kläger im Streitjahr nur in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) unbeschränkt steuerpflichtig war, war er auch nur hier ansässig. Folglich steht das Besteuerungsrecht auf die Abfindung allein der Bundesrepublik zu. - Der Senat folgt damit seiner Entscheidung in BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819. Soweit sich aus seinem Urteil in BFHE 110, 43, BStBl II 1973, 757, und aus dem von den Klägern und vom FG angezogenen (nicht veröffentlichten) Urteil vom 3. Oktober 1984 I R 135/81 etwas anderes ergeben sollte, hält er daran nicht fest (anders aber die Finanzverwaltung im Hinblick auf Art.15 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971, vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 13. Oktober 1992 IV C 6 - S 1301 Schz - 101/92, Der Betrieb 1993, 20).
Fundstellen
BFH/NV 1997, 35 |
BStBl II 1997, 341 |
BFHE 181, 155 |
BFHE 1997, 155 |
BB 1996, 2506 (Leitsatz) |
DB 1996, 2473-2474 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 26-27 (Kurzwiedergabe) |
DStZ 1997, 159 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 139-140 (Leitsatz) |
StE 1996, 764 (Kurzwiedergabe) |
StRK, Abk.1970 R.2 (Leitsatz und Gründe) |
FR 1996, 864 (Kurzwiedergabe) |
Information StW 1997, 59-60 (Kurzwiedergabe) |
BFH/NV BFH/R 1997, 35-36 (Leitsatz und Gründe) |
RIW/AWD 1997, 87-88 (Kurzwiedergabe) |
IStR 1996, 591-592 (Kurzwiedergabe) |
IWB, 1997/5 Fach 3a Gruppe 1, 591-592 (Leitsatz und Gründe) |
VersorgW 1997, 87-88 (Kurzwiedergabe) |
AP, (Leitsatz) |
AP, (Leitsatz und Gründe) |
PersF 1997, 1110 (Leitsatz) |
SWI 1997, 231 (Kurzwiedergabe) |