Leitsatz (amtlich)
1. Unter Verwerten i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.
2. Unter Verwerten i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann.
Orientierungssatz
Besteht die Tätigkeit eines Arbeitnehmers, der im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat, darin, mit ausländischen Interessenten (im Ausland) Kontakt aufzunehmen und diesen Auskünfte über Produkte des inländischen Arbeitgebers zu erteilen, wodurch deren Meinungsbildung derart beeinfluß wird, daß diese bei irgendwelchen Projekten an den Arbeitgeber denken, wird die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Ausland verwertet. Soweit der Arbeitnehmer die Aufgabe hat, im Ausland den Markt zu beobachten und entsprechende Marktanalysen zu erstellen, die dazu bestimmt sind, als Grundlage für die von der Geschäftsleitung des Arbeitgebers im Inland zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen zu dienen, liegt eine Verwertung der nichtselbständigen Tätigkeit im Inland vor. Der Senat gibt seine dem Urteil vom 6.4.1977 I R 252/74 zugrunde liegende Auffassung auf.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4; LStR Abschn. 92 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 21.12.1982; Aktenzeichen I 288/81) |
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat mit Haftungsbescheid vom 3.Dezember 1981 die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für Lohnsteuer des Jahres 1979 in Höhe von ... DM in Anspruch genommen. Die Klägerin beschäftigte den Arbeitnehmer K in Kuweit. K hatte im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Er bezog sein Gehalt von der Klägerin. Seine Aufgabe in Kuweit bestand im wesentlichen darin, den dortigen Markt zu beobachten und Auskünfte über Produkte der Klägerin zu erteilen. K war in Kuweit nicht selbst mit einem Büro registriert, vielmehr war seine Vertretung in den Handelsbetrieb eines Dritten integriert.
Nach dem Vortrag der Klägerin war das Arbeitsgebiet, in dem K in Kuweit tätig war, der Bau industrieller Großanlagen. Die Ausführung von Aufträgen zum Bau derartiger Großanlagen stelle sich als Werklieferung dar, die in der Regel zu Montagebetriebstätten am Aufstellungsort der Anlagen führe. K habe mit den arabischen Interessenten direkt keinen Kontakt aufnehmen können, er habe über einen Sponsor handeln müssen, in dessen Handelsbetrieb er eingegliedert gewesen sei. K sei lediglich in der Lage gewesen, die Meinungsbildung von Geschäftsleuten derart zu beeinflussen, daß diese bei irgendwelchen Projekten auch an die von ihm repräsentierte Klägerin dachten. Durch den Vertragsabschluß allein sei noch kein Wert geschaffen worden. Erst aus der Durchführung eines Vertrages könne sich ein Wert ergeben, nämlich in Form eines evtl. Gewinnes. Dieser Gewinn sei der Tätigkeit des K nur sehr entfernt zuzuordnen. Die Durchführung von Aufträgen in arabischen Ländern führe oft zu hohen Verlusten der beteiligten deutschen Unternehmen.
Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage als unbegründet abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 415 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin die unzutreffende Auslegung und Anwendung des § 49 Abs.1 Nr.4 i.V.m. § 41a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und macht einen Verfahrensmangel geltend. Das FG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht aufgeklärt, sowie unstreitige und festgestellte entscheidungserhebliche Tatsachen nicht der Urteilsfindung zugrunde gelegt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, den Haftungsbescheid des FA sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen läßt sich nicht entscheiden, ob und inwieweit die von K in Kuweit ausgeübte nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet wurde und damit der Lohnsteuer unterliegende inländische Einkünfte vorliegen (§ 49 Abs.1 Nr.4 EStG).
2. Unter "verwerten" i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt. Dies ergibt sich aus der grammatischen Auslegung und dem Gesamtzusammenhang, in dem das Wort "verwerten" steht.
2.1. Das Wort "verwerten" kann sich auf einen Gegenstand in dem Sinne beziehen, daß der Wert, der in ihm steckt, herausgeholt wird und zunutze gemacht wird (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, 12.Bd., I.Abteilung 1956, S.2233). Als Beispiel für die Verwendung des Wortes "verwerten" in der Gesetzessprache sei auf § 15 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) hingewiesen, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten (d.h., zu vervielfältigen, zu verbreiten und auszustellen). Der Nutzen der geleisteten Arbeit kann dort gezogen werden, wo die Arbeit ausgeübt wird. Es ist jedoch auch denkbar, den Nutzen an einem anderen Ort zu ziehen, vor allem bei Tätigkeiten, durch die ein geistiges Produkt hervorgebracht wird.
2.2. Unter Verwerten i.S. des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann. Wenn der Gesetzgeber in § 49 Abs.1 Nr.4 EStG für das Vorliegen inländischer Einkünfte sowohl an die Ausübung als auch an die Verwertung der nichtselbständigen Arbeit anknüpft, kann sich der Begriff der Verwertung nur auf diejenigen Fälle beziehen, in denen die nichtselbständige Arbeit an einem Ort verwertet wird, der nicht mit dem der Ausübung übereinstimmt. Für die Fälle, in denen die nichtselbständige Arbeit nur am Ort der Ausübung verwertet werden kann, hätte es des Anknüpfungsmerkmals der Verwertung neben dem der Ausübung nicht bedurft.
2.3. Zwar läßt der Wortlaut des § 49 Abs.1 Nr.4 EStG durch den Gebrauch des Passivs ("verwertet wird oder worden ist") offen, wen die Vorschrift als Verwerter voraussetzt. Der Gesamtzusammenhang, in dem die Vorschrift steht, ergibt jedoch, daß nur der Arbeitnehmer als Verwerter in Betracht kommt.
Nach § 2 Abs.1 EStG unterliegen der Einkommensteuer die dort bezeichneten Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Dies spricht dafür, daß im Zweifel die Tatbestandsmerkmale, an die das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (§ 3 Abs.1 des Steueranpassungsgesetzes --StAnpG-- = § 38 der Abgabenordnung --AO 1977--), von demjenigen zu verwirklichen sind, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt.
In § 49 Abs.1 EStG werden, wie die Bezugnahme auf § 1 Abs.3 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung zeigt, diejenigen Einkünfte einer natürlichen Person aufgezählt, die bei ihr zur beschränkten Einkommensteuerpflicht führen, wenn sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Katalog des § 49 Abs.1 EStG enthält zum überwiegenden Teil keine Fälle, in denen die Steuerpflicht von einem Dritten in dem Sinne abhängig gemacht wird, daß dessen Verhalten zu einem Merkmal des Tatbestandes im engeren Sinne rechnet. Wenn § 49 Abs.1 Nr.5 EStG auf Verhältnisse eines Dritten (Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland) abstellt, handelt es sich um allgemeine Anknüpfungsmerkmale, die nicht zu dem Tatbestand im engeren Sinne zählen, von dem die Steuerpflicht abhängt.
Soweit § 49 Abs.1 EStG, nämlich in § 49 Abs.1 Nr.3 EStG, auf das Tatbestandsmerkmal "verwerten" neben dem der "Ausübung" abstellt, wird es in dem Sinne verstanden, daß es auf die Verwertung durch denjenigen ankommt, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.Dezember 1970 I R 137/68, BFHE 101, 73, BStBl II 1971, 200; vom 13.Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76). Das BFH-Urteil vom 23.Mai 1973 I R 163/71 (BFHE 111, 29, BStBl II 1974, 287) betrifft den Begriff der Verwertung in § 49 Abs.1 Nr.6 EStG, einer Vorschrift, nach der nicht auch die Ausübung maßgebend ist.
In § 40 Abs.2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1971 war ausgeführt, daß die nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet wird, wenn ihr wirtschaftlicher Erfolg der inländischen Volkswirtschaft unmittelbar zu dienen bestimmt ist. Der Senat muß darauf nicht eingehen; denn die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1.Januar 1975 aufgehoben (vgl. § 1 Nr.10 der Änderungsverordnung vom 12.Dezember 1974, BGBl I 1974, 3462). Zwar wurde in der Begründung zum EStG 1935 der Begriff der Verwertung in derselben Weise interpretiert wie in § 40 Abs.2 LStDV 1971 (vgl. Begründung zum EStG 1934, RStBl 1935, 33, 59). Dies steht jedoch einer davon abweichenden Auslegung einer Gesetzesvorschrift nicht entgegen. Maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den dieser hineingestellt ist.
Der Senat vertritt damit eine andere Auffassung als die, die in den Lohnsteuer-Richtlinien (Abschn.92 Abs.2 Satz 2) zum Ausdruck kommt. Insbesondere kann das Tatbestandsmerkmal "verwerten im Inland" nicht davon abhängen, ob der Arbeitslohn zu Lasten eines inländischen Arbeitgebers gezahlt wird. Das Gesetz stellt in § 49 Abs.1 Nr.4 EStG für bestimmte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darauf ab, ob sie aus inländischen öffentlichen Kassen gewährt werden. Daraus ist zu entnehmen, daß es bei anderen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht auf den Zahlungsvorgang ankommen kann.
Der Senat gibt seine dem Urteil vom 6.April 1977 I R 252/74 (BFHE 122, 94, BStBl II 1977, 575) zugrunde liegende Auffassung auf. Das Urteil hatte einen Streitfall zum Gegenstand, auf den die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 40 Abs.2 LStDV 1971 zur Anwendung kam. Das Urteil vom 15.September 1971 I R 202/67 (BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281) betraf die Mitwirkung eines Filmschauspielers an einem Film, der teils im Inland, teils im Ausland gedreht wurde. Das Urteil läßt für den Ort der Verwertung nicht entscheidend sein, wo der Film aufgeführt wurde, sondern stellt darauf ab, wo der Film unter Mitwirkung des Schauspielers entstand. Dies entspricht den oben dargestellten Grundsätzen. Der Schauspieler überträgt dem Hersteller vertraglich das ausschließliche Recht, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen (§ 89 UrhG). Diese Leistung wird in der Regel dort erbracht, wo der Film hergestellt wird. Auf den Ort der Aufführung des Filmes kam es nicht an, weil es sich dabei um die Verwertung eines dem Filmhersteller zustehenden Rechts (§ 94 UrhG) handelt, das dieser durch die Verwertung der Werke der Mitwirkenden (§ 89 UrhG) geschaffen hat.
3. Das FG hat bezüglich der Tätigkeit des K keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die es dem Senat erlauben, in der Sache abschließend zu entscheiden. Auf die Art der von K geschuldeten Tätigkeit kommt es jedoch nach der Auslegung des Begriffes "verwerten" an, von der der Senat ausgeht. Soweit die Tätigkeit des K darin bestand, mit den arabischen Interessenten Kontakt aufzunehmen und diesen Auskünfte über die Produkte der Klägerin zu erteilen, wodurch deren Meinungsbildung derart beeinflußt wurde, daß diese bei irgendwelchen Projekten an die Klägerin dächten, wurde die Tätigkeit des K in Kuweit verwertet. Der Inhalt dieser Tätigkeit bestand darin, daß jeweils ein über die Produkte der Klägerin unterrichteter und an ihnen interessierter, in Kuweit Ansässiger, gewonnen wurde. K konnte der Klägerin den Nutzen dieser Tätigkeit nur in Kuweit zuführen. Der Abschluß von Verträgen mit gewonnenen Interessenten muß aus dieser Betrachtung ausscheiden. Einmal ist der Abschluß von Verträgen eine nachgeschaltete Tätigkeit, durch die die Klägerin den ihr zugeführten Nutzen aus der Tätigkeit des K ihrerseits im Rahmen einer weiteren Betätigung nutzt. Zum anderen kann es deshalb nicht auf den Abschluß von Verträgen durch die Klägerin ankommen, weil nach den Vorstellungen der Vertragsparteien davon auszugehen ist, daß K seine Arbeit auch dann ordnungsgemäß verrichtet, wenn es nicht in allen Fällen, in denen er Kontakte aufnimmt und Informationen gibt, zu Abschlüssen kommt. Soweit K die Aufgabe hatte, in Kuweit den Markt zu beobachten und entsprechende Marktanalyseberichte zu erstellen, die dazu bestimmt waren, als Grundlage für die von der Geschäftsleitung der Klägerin im Inland zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen zu dienen, liegt eine Verwertung der nichtselbständigen Tätigkeit im Inland vor. Insoweit schuldete K eine Leistung, die er der Klägerin im Inland zugeführt hat. Gegebenenfalls wird das FG nur einen geschätzten Teil des Arbeitsentgelts als beschränkt steuerpflichtige Einkünfte zu erfassen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 61159 |
BStBl II 1987, 379 |
BFHE 148, 295 |
BFHE 1987, 295 |
HFR 1987, 297-297 (ST) |