Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
ß 26 Abs. 5 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 1957 (ß 26 Abs. 5 EStG 1957) ist rechtsgültig.
EStG 1957 § 26 Abs. 5.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 5
Tatbestand
Die Beschwerdeführer (Bf.) sind unstreitig rechtskräftig für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1955 gemäß § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alter Fassung zur Einkommensteuer veranlagt worden.
Nach Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (BStBl 1957 I S. 193) betreffend die Ehegattenbesteuerung und des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848, BStBl 1957 I S. 352) beantragten die Bf., ihnen einen formellen Bescheid darüber zu erteilen, ob das Finanzamt die Ungültigkeit des § 26 Abs. 5 EStG 1957 anerkenne oder nicht, weil sie beabsichtigen, verneinendenfalls Verfassungsbeschwerde zu erheben. Sie sind der Ansicht, daß § 26 Abs. 5 EStG 1957, der die Berichtigung der vor dem 21. Februar 1957 rechtskräftig gewordenen Steuerbescheide mit der Begründung, daß ß 26 EStG in den vor dem 21. Februar 1957 angewendeten Fassungen nichtig sei, ausschließt, gegen die Bestimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verstoße und daher nichtig sei.
Das Finanzamt lehnte die Abgabe einer solchen Erklärung unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 I S. 52) ab. Es wies in der Rechtsmittelbelehrung darauf hin, daß gegen den ablehnenden Bescheid der Einspruch gemäß § 235 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) gegeben sei. Die Bf. legten daraufhin Einspruch ein und beantragten die Aussetzung des Verfahrens, bis über die beim Bundesverfassungsgericht und beim Internationalen Schiedsgericht in Straßburg schwebenden Klagen gegen den genannten Beschluß vom 12. Dezember 1957 entschieden sei. Der Einspruch blieb erfolglos. Der Steuerausschuß führte aus, durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 1957 sei § 26 Abs. 5 EStG 1957 für verfassungsmäßig erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht sei das höchste deutsche Gericht, so daß internationale Schiedsgerichte nicht als weitere Instanz angesehen werden könnten. Zur Frage der Aussetzung hat der Steuerausschuß ausdrücklich nicht Stellung genommen.
Die Berufung, mit der die Bf. nach ihrer Erklärung nur den Zweck verfolgten, das Rechtskräftigwerden des angefochtenen Bescheides bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage aufzuhalten, blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das Finanzgericht führte dazu aus, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 12. Dezember 1957 bereits § 26 Abs. 5 EStG 1957, der praktisch dasselbe wie § 79 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ausspreche, für rechtsgültig erklärt habe. Diese Entscheidung habe zwar keine Gesetzeskraft, da die Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit des ß 26 Abs. 5 EStG 1957 nicht im Wege des Normenkontrollverfahrens erfolgt sei. Es bestehe damit rechtlich noch die Möglichkeit einer Entscheidung, die § 26 Abs. 5 EStG 1957 und § 79 Abs. 2 BVerfGG für verfassungswidrig erkläre. Daß eine solche Entscheidung ergehe, sei aber nicht anzunehmen. Es bestehe daher kein Grund, die Entscheidung über die Berufung auszusetzen. Bei der Entscheidung ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß die Bf. sachlich eine Halbierung ihres Einkommens anstreben, da dieses "gemeinsam" erzielt sei.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) beantragen die Bf. die Aufhebung der Vorentscheidung und begehren Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des ß 26 Abs. 5 EStG 1957.
Nach ihrer Ansicht hätte das Finanzgericht überhaupt nicht entscheiden dürfen, sondern gemäß § 13 Ziff. 11 BVerfGG Normenkontrollklage erheben müssen (gemeint ist offenbar Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 GG und § 80 BVerfGG). Außerdem rügen die Bf. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und mangelnde Sachaufklärung, da das Finanzgericht sie zu seiner Entscheidung nicht gehört habe. Das aber sei nach § 243 in Verbindung mit § 204 AO erforderlich gewesen. Die Entscheidung des Finanzgerichts sei weiter unter Verstoß gegen Artikel 93 GG ergangen. § 26 Abs. 5 EStG 1957 verstoße aus verschiedenen Gründen gegen das GG. Die Grundrechte dienten dem Schutz des Staatsbürgers, sollten den Rechtsfrieden sichern und seien bindendes Recht für Verwaltung und Rechtsprechung. Sie dürften nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angetastet werden. Der Gesetzgeber sei bei Erlaß des § 26 Abs. 5 EStG 1957 an Artikel 1 Abs. 3 sowie an die Artikel 3, 6, 19, 79 und 95 GG gebunden gewesen. Der Hinweis, daß § 26 Abs. 5 EStG 1957 keine Schlechterstellung des Staatsbürgers gegenüber § 79 Abs. 2 BVerfGG enthalte, genüge nicht, um die Verfassungsmäßigkeit des EStG 1957 zu begründen. In den Jahren vor dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 sei es bei der damaligen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aussichtslos gewesen, gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 26 EStG alter Fassung anzugehen. Der Staatsbürger habe sich daher in dem guten Glauben befinden können, die gesetzliche Regelung des § 26 EStG alter Fassung verstoße nicht gegen irgendwelche Verfassungsgrundsätze. In diesem Glauben müsse er geschützt werden. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn die Folgen dieses Vertrauens aus dem Gedanken der Rechtssicherheit nunmehr zugunsten des Fiskus aufrechterhalten würden. Durch die Aufrechterhaltung der rechtskräftigen Steuerbescheide werde erneut die staatliche Rechtsordnung gestört. Mit dem verfassungswidrigen Erlaß der Bestimmung des § 26 Abs. 5 EStG 1957 habe der Gesetzgeber erneut das Grundrecht des Artikels 6 Abs. 1 GG verletzt. Ein höheres Rechtsgut, das diese Verletzung rechtfertige, sei nicht erkennbar. Schließlich sei auch der Bundesfinanzhof zur Entscheidung über Verfassungsfragen nicht zuständig. Es werde daher beantragt, einen Normenkontrollbeschluß herbeizuführen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Es kann dahingestellt bleiben, ob im Streitfall der Anspruch der Bf. überhaupt im steuergerichtlichen Verfahren verfolgbar war. Die Bf. haben mit ihrem Antrag eine Erklärung des Finanzamts darüber verlangt, daß dieses die Nichtigkeit des § 26 Abs. 5 EStG 1957 anerkenne. Damit würde ihr Begehren den Charakter einer Feststellungsklage haben. Im steuerlichen Verfahrensrecht ist eine solche aber nur in den gesetzlich geregelten Fällen möglich, zu denen der Streitfall nicht gehört (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs II 158/52 U vom 13. Januar 1954, BStBl 1954 III S. 87, Slg. Bd. 58 S.462, und III 1/55 U vom 23. September 1955, BStBl 1955 III S. 316, Slg. Bd. 61 S. 303). Es bestehen jedoch keine Bedenken, wie das Finanzamt das bereits getan hat, den Antrag der Bf. dahin auszulegen, daß sie in Wirklichkeit eine Berichtigung der Veranlagungen anstreben.
In der Sache selbst ist die Rb. nicht begründet. Ein wesentlicher Verfahrensmangel wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder der amtlichen Ermittlungspflicht liegt nicht vor. Im Streitfall handelt es sich nicht um die Klärung des Tatbestandes, sondern um die Entscheidung von Rechtsfragen, die den Bfn aus dem Einspruchsverfahren bekannt waren und zu denen sich zu äußern sie ausreichend Gelegenheit gehabt haben.
Die Bf. verkennen weiter die Rechtslage, wenn sie die Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs zur Entscheidung im Streitfall nicht für gegeben erachten. Nach Art. 100 GG hat das Gericht die Verfassungsmäßigkeit eines streitigen Gesetzes zu prüfen. Nur dann, wenn es nach seiner Überzeugung die streitige gesetzliche Bestimmung für verfassungswidrig hält, hat es gemäß § 80 BVerfGG unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Hält es dagegen die angegriffene Bestimmung für vereinbar mit den Bestimmungen des GG, muß es in der Sache selbst entscheiden. Es bleibt für diese Fälle den Betroffenen gegebenenfalls unbenommen, selbst gemäß § 90 BVerfGG die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben.
Der Senat hält im Streitfall § 26 Abs. 5 EStG 1957 mit den Bestimmungen des GG für vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluß 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (a. a. O.) bereits mit der Streitfrage befaßt und die Verfassungsmäßigkeit der streitigen Bestimmung bejaht. Den Gründen dieser Entscheidung, auf die verwiesen wird, schließt sich der erkennende Senat an. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Würdigung der im Urteil des Bundesfinanzhofs VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 433, Slg. Bd. 65 S. 520) geltend gemachten Bedenken ausgeführt, daß sowohl der Grundsatz der Rechtssicherheit als auch das Prinzip der Gerechtigkeit im Einzelfall Verfassungsrang hätten und es dem Gesetzgeber damit freistehe, zu entscheiden, welchem von beiden Grundsätzen er den Vorrang geben wolle, wenn nicht beiden Prinzipien in allen Fällen gleichmäßig Rechnung getragen werden könne und wenn dadurch die Durchsetzung eines Grundrechts in bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht mehr möglich sei. Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat bei, so daß eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 GG, § 80 BVerfGG nicht in Betracht kommt.
Die Bf. haben in dieser Instanz nicht mehr ausdrücklich die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in anderen anhängigen Sachen über die streitige Rechtsfrage beantragt. Diesem Antrag brauchte bereits das Finanzgericht nicht zu entsprechen; denn die Bf. werden in ihren Rechten nicht beeinträchtigt, wenn in der Sache selbst entschieden wird, weil sie sich den Vorteil einer etwaigen günstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dadurch sichern können, daß sie selbst gemäß § 90 BVerfGG gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen können. Der Senat verweist hierzu auf die Gründe des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 147/58 U vom 20. Februar 1959 (BStBl 1959 III S. 172), denen er beitritt.
Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409385 |
BStBl III 1959, 290 |
BFHE 1960, 75 |
BFHE 69, 75 |