Leitsatz (amtlich)
1. Der Finanzrechtsweg ist für eine Leistungsklage gegeben, mit der begehrt wird, dem FA zu untersagen, auf den Namen des Klägers angelegte Steuerakten (oder Teile davon) demjenigen zugänglich zu machen, der als Haftender für Steuerschulden des Klägers in Anspruch genommen ist.
2. Dem als Haftenden in Anspruch Genommenen ist der Inhalt dieser Akten insoweit zugänglich zu machen, als die zu offenbarenden Verhältnisse für die Heranziehung als Haftender für die Steuerschulden erheblich sein können.
Normenkette
FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 40 Abs. 1; AO §§ 22, 245
Tatbestand
Der Betrieb des Klägers und Revisionsklägers wurde im Jahre 1967 durch die Steuerfahndung geprüft. Nach der Darstellung des Klägers haben seine von ihm inzwischen geschiedene Ehefrau seit 1958 und seine Angestellte seit dem 1. Oktober 1962 die Grundbücher einschließlich des Kassenbuchs geführt. Ausweislich einer von der Angestellten unterzeichneten Vernehmungsniederschrift hat sie angegeben, sie habe auf Anweisung des Klägers nicht immer sämtliche Bareinnahmen aufgezeichnet, sondern einen Teil "aussortiert". Am Tage nach der Vernehmung hat die Angestellte diese Aussage widerrufen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) hat im Oktober 1968 gegen den Kläger Berichtigungsbescheide über Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer erlassen, die zu erheblichen Steuernachholungen führten; diese Bescheide beruhten auf den Ermittlungen im Steuerfahndungsverfahren; danach waren während der Veranlagungszeiträume 1958 bis 1966 in größerem Umfange Betriebsvorgänge nicht oder nicht ordnungsgemäß verbucht worden. Über die gegen die Berichtigungsbescheide eingelegten Einsprüche war bis zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG über den vorliegenden Rechtsstreit noch nicht entschieden.
Durch Haftungsbescheid (§ 112 AO) hat das beklagte FA die Angestellte wegen insgesamt 37 154,75 DM Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1967 in Anspruch genommen. Im Einspruchsverfahren gegen diesen Haftungsbescheid verlangte der Bevollmächtigte der Angestellten Einsicht in die Steuerakten des Klägers. Das FA hat dem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 16. April 1969 mitgeteilt, der Prüfungsbericht und die Berechnungsbogen in den Steuerakten des Klägers für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1966 könnten beim FA eingesehen werden. Dem Antrag des Klägers, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Steuerakten oder Auszüge aus ihnen sowie den Fahndungsbericht der Angestellten oder ihren Bevollmächtigten zur Einsicht vorzulegen oder sonst zugänglich zu machen, hat der BFH im Beschluß I B 47/69 vom 20. November 1969 (BFH 97, 285, BStBl II 1970, 83) auf Beschwerde des jetzigen Klägers entsprochen.
Mit der nach erfolgloser Klage im Hauptsacheverfahren eingelegten Revision verfolgt der Kläger sein bisheriges Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist zum Teil begründet.
I. Das FG hat mit Recht die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges und der Klage bejaht.
1. Der Finanzrechtsweg ist gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundesoder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Unter Abgabenangelegenheiten versteht das Gesetz in Abs. 2 der Vorschrift unter anderem alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschrift durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten.
Der vorliegende Rechtsstreit bezieht sich auf die Frage, ob § 22 AO der beklagten Behörde verwehrt, Inhalt von Steuerakten, die auf den Namen des Klägers angelegt sind, einem Dritten, der als Teilnehmer an einer vom Kläger begangenen Steuerhinterziehung als Haftender für dessen Steuerschulden in Anspruch genommen worden ist, für dessen Rechtsverteidigung zugänglich zu machen. Dieser Streit ist öffentlich-rechtlicher Natur, weil die Anwendung eines Rechtssatzes streitig ist, der das Verhalten einer Behörde als Subjekt des öffentlichen Rechts auch gegenüber dem Kläger regelt.
Anders als im Falle des Urteils des BFH VII R 109/68 vom 25. Januar 1972 (BFH 104, 187, BStBl II 1972, 286) handelt es sich auch um eine Streitigkeit über eine Abgabenangelegenheit (vgl. auch Urteil des BFH VII R 110/68 vom 24. November 1971, BFH 104, 181 BStBl II 1972, 284). Der Kläger verlangt auf Grund des von ihm in Anspruch genommenen Schutzes des Steuergeheimnisses, daß es das FA unterlasse, in einem ihn betreffenden Besteuerungsverfahren entstandene Aktenteile einem Dritten zugänglich zu machen. Das von ihm erwartete Verhalten der Behörde hängt - dies bedarf als offensichtlich nicht des Beleges - mit der Verwaltung von Abgaben zusammen.
2. Das FG hat die Klage auch mit Recht als Leistungsklage im engeren Sinne (§ 40 Abs. 1 FGO) qualifiziert und diese als zulässig angesehen. Der Kläger erstrebt nicht die Verurteilung des FA zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (Verpflichtungsklage); er begehrt eine andere Leistung als den Erlaß eines Verwaltungsaktes, will vielmehr das FA zu einem Unterlassen verurteilt wissen. Der Kläger hat geltend gemacht, daß die Gewährung der Einsicht in einen Teil der ihn betreffenden Steuerakten gegen die in seinem Interesse als Steuerpflichtiger geschaffene Pflicht des FA verstoße, das Steuergeheimnis zu wahren (§§ 22, 400 Abs. 3 AO n. F.).
II. Dem FG kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Der Senat geht bei seiner Entscheidung davon aus, daß der Klageantrag in dem Sinne zu verstehen ist, daß dem beklagten FA untersagt werden soll, die dem Bevollmächtigten der Angestellten mit Schreiben des FA vom 16. April 1969 angebotene Akteneinsicht zu gewähren. Der Klageantrag ist zwar seinem Wortlaut nach weiter gefaßt; doch hat der Kläger in der Klagebegründungsschrift den Umfang seines Begehrens in dem vorstehend dargestellten Sinne zum Ausdruck gebracht. Der Kläger erstrebt nur, dem FA zu verwehren, was es der als Haftenden in Anspruch Genommenen angeboten hat. Erforderlichenfalls wird das FG in dem infolge der Zurückverweisung erforderlich werdenden erneuten Verfahren auf eine Klarstellung des Klageantrages hinwirken.
1. Die von dem beklagten FA beabsichtigte Offenbarung des Inhalts der Teile der Steuerakten, aus denen sich die Grundlagen für die Erhöhung der Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerschulden des Klägers ergeben, ist in dem Umfange rechtmäßig, als diese Verhältnisse für die Haftung der Angestellten für die Steuerschulden des Klägers erheblich sein können. Der Ansicht des FG, eine Verletzung des Steuergeheimnisses komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Angestellten durch die Akteneinsicht keine Tatsachen aus den Verhältnissen des Klägers offenbart werden könnten, die sie noch nicht kennt, trifft nicht den Kern der Sache; sie ist überdies durch ausreichende tatsächliche Feststellungen nicht belegt. Selbst wenn die Verhältnisse des Klägers der als Haftungsschuldner in Anspruch genommenen Angestellten in dem vom FG angenommenen Umfange bekannt wären, so wäre dies für sich allein kein Rechtfertigungsgrund für die Gewährung der Akteneinsicht.
Im Streitfall ist die Bekanntgabe des Akteninhalts in dem oben umschriebenen Umfange rechtmäßig - nicht unbefugt im Sinne des § 22 AO -, weil die beklagte Behörde auf Grund des gestellten Antrages verpflichtet ist, im Verfahren über den Einspruch der Angestellten gegen den sie betreffenden Haftungsbescheid die Unterlagen der Besteuerung mitzuteilen. § 245 AO, der dies vorschreibt, ist eine Mußvorschrift. Durch diese Vorschrift soll dem durch einen Steuerbescheid (hier: Haftungsbescheid) in Anspruch Genommenen rechtliches Gehör auch im Verwaltungsvorverfahren gewährt werden. Das bedeutet, daß im Verfahren über den Rechtsbehelf gegen den Haftungsbescheid der Angestellten alle Erkenntnisse - aber auch nur diese - zugänglich gemacht werden müssen, die für das FA die Grundlage für die Inanspruchnahme als Haftenden für Steuerschulden des Klägers gebildet haben. Soweit diese gesetzliche Pflicht reicht, kommt eine unbefugte Offenbarung nicht in Betracht.
2. Nach diesen Maßstäben ist das Verlangen des Klägers nicht berechtigt, dem FA zu untersagen, der Angestellten Einsicht in die Berechnungsbogen zu gewähren, die die Grundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer, der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1966 bilden. Im übrigen muß die angefochtene Entscheidung jedoch aufgehoben werden, weil das FG die Offenbarung des gesamten Inhalts des Berichtes der Steuerfahndungsstelle vom 7. Mai 1968 - AB 1041/65 - als rechtmäßig angesehen und die Klage auch insoweit abgewiesen hat. Dem kann nach den dargelegten Grundsätzen auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht gefolgt werden.
Das FG hat festgestellt, daß sich die Prüfung auf die Jahre 1958 bis 1966 erstreckt und die beklagte Behörde Berichtigungsbescheide für Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer der Veranlagungszeiträume 1958 bis 1966 erlassen hat. Da die Angestellte jedoch nur wegen der Veranlagungszeiträume ab 1963 als Haftende für die Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerschulden des Klägers herangezogen worden ist, würden ihr durch Bekanntgabe des gesamten Fahndungsberichts auch solche Verhältnisse des Klägers bekanntgegeben, deren Kenntnis zur Wahrung ihrer Interessen im Haftungsverfahren nicht erforderlich ist.
Im erneuten Verfahren wird das FG prüfen müssen, welche Teile des Fahndungsberichts der Angestellten des Klägers nicht zugänglich gemacht werden dürfen, weil sie diese zur Interessenwahrung nicht zu kennen braucht. In diesem Zusammenhang sei aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit darauf hingewiesen, daß die Verhaltensweisen, die der beklagten Behörde nach den dargelegten Grundsätzen zu untersagen sind, genau bezeichnet werden müssen; die Teile des Fahndungsberichts, die vom FA dem Haftungsschuldner nicht zugänglich gemacht werden dürfen, sind ihrem Umfange nach durch Kennzeichnung der Seitenzahlen oder der Textziffern des Prüfungsberichts abzugrenzen. Die genaue Bezeichnung ist unerläßlich für die gegenständliche Begrenzung des dem Kläger zustehenden Unterlassungsanspruches. Dadurch wird andererseits auch Klarheit darüber geschaffen, welche Teile des Fahndungsberichts vom FA der Angestellten zugänglich gemacht werden dürfen.
3. Unrichtig ist die Ansicht des Klägers, seine Angestellte hätte erst dann als Haftende herangezogen werden dürfen, wenn im Verhältnis zu ihm rechtskräftig festgestellt sei, daß er eine Steuerhinterziehung begangen und die Angestellte dabei mitgewirkt habe. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des FA (§ 7 Abs. 1 und 3 StAnpG), ob und wann die Behörde neben dem Steuerpflichtigen einen Haftenden in Anspruch nehmen will. Selbst wenn das FA durch die Inanspruchnahme der Angestellten jedoch ermessenswidrig oder sonst rechtsfehlerhaft verfahren sein sollte, so kann der Kläger hieraus keine Rechte für sich ableiten. Dadurch wäre er nicht in seinen Rechten verletzt.
Fundstellen
Haufe-Index 70262 |
BStBl II 1973, 119 |
BFHE 1973, 253 |