Leitsatz (amtlich)
Die Einziehung von Grunderwerbsteuer ist nicht deshalb sachlich unbillig, weil sich die Erwartungen, die den Erwerber zum Erwerb des Grundstücks veranlaßten (hier: Wegfall der Mietpreisbindung; positive Mieterträge), nach Verwirklichung des steuerbaren Rechtsvorgangs nicht erfüllt haben.
Normenkette
AO a.F. § 131
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 20. Oktober 1969 zwei Grundstücke in Berlin gekauft. In § 1 des Kaufvertrages heißt es u. a. : "Das Grundstück ist mit einem Mietwohnhaus bebaut. Die Jahresmiete beträgt etwa 80 800 DM (kalte Miete)."
Das FA hatte Grunderwerbsteuer festgesetzt. Der Steuerbescheid ist bestandskräftig geworden.
Mit Schreiben vom 30./31. Dezember 1969 hatte der Kläger Erlaß der Grunderwerbsteuer wegen sachlicher Unbilligkeit der Einziehung beantragt. Er habe, so hatte er zur Begründung seines Antrags vorgebracht, die Grundstücke gekauft in der Erwartung, das Land Berlin werde zum 31. Dezember 1969 die Mietpreisbindung aufheben, nachdem die Wohnraumbewirtschaftung bereits mit dem 31. Dezember 1968 eingestellt worden sei. Infolge der Verlängerung der Mietpreisbindung sei es ihm nicht möglich, die Grunderwerbsteuer kalkulatorisch auf die Mieten umzulegen. Das stehe einem teilweisen Eigentumsentzug gleich. Wegen des niedrigen Mietzinses bringe das Mietwohngrundstück keinen Ertrag. Die Erhebung der Grunderwerbsteuer stelle deshalb eine unbillige Härte dar.
Das FA hatte den Erlaßantrag abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers und seine Klage blieben erfolglos.
Das FG hat einen Ermessensfehler der Finanzbehörden verneint. Über den Erlaßantrag sei unter Berücksichtigung des § 131 AO nach Recht und Billigkeit entschieden worden. Selbst wenn die Verlängerung der Mietpreisbindung im Land Berlin verfassungswidrig sein sollte, rechtfertige dies keinen Erlaß der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 131 AO.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das FG hat die ablehnende Entscheidung der Finanzbehörden zutreffend nach den für die Prüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen geprüft (§ 102 FGO). Es hat dabei - ebenfalls zutreffend - nach dem Maßstab der Billigkeit (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS - OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) eine Ermessensüberschreitung und einen Ermessensfehlgebrauch durch die Finanzbehörden verneint und dargelegt, daß diese den Erlaßantrag des Klägers ohne Rechtsverletzung abgelehnt haben. Die Rechtsauffassung des FG und die dazu gegebene Begründung lassen im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen.
Steuern können erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre (§ 131 AO). Die Unbilligkeit kann in der Sache selbst oder in der Person des Steuerpflichtigen begründet sein. Der Kläger hat keine persönlichen Gründe für die Unbilligkeit der Steuereinziehung vorgetragen, sondern sich nach seinem bisherigen Vorbringen ausschließlich auf die Geltendmachung sachlicher Gründe beschränkt.
Eine sachliche Unbilligkeit ist im Streitfall nicht gegeben. § 131 Abs. 1 Satz 1 AO geht davon aus, daß die Einziehung einer entstandenen und richtig festgesetzten Steuer grundsätzlich nicht unbillig ist, die Unbilligkeit der Einziehung vielmehr die Ausnahme darstellt. Daher können Härten, die in dem gesetzlichen Besteuerungstatbestand liegen und in allen unter diesen Tatbestand zu subsumierenden Fällen gleichermaßen auftreten oder auftreten können, grundsätzlich nicht durch Billigkeitsmaßnahmen ausgeglichen werden. Die Einziehung der Grunderwerbsteuer wäre daher dann unbillig, wenn es dem Kläger nicht zugemutet werden könnte, die festgesetzte Steuer zu entrichten, oder wenn die Einziehung aus anderen Gründen mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes unvereinbar wäre. § 131 AO ist, wie der Senat schon in seinem Urteil vom 5. Februar 1969 II R 29/66 (BFHE 95, 287, BStBl II 1969, 400) ausgeführt hat, gerade dazu bestimmt, ungewollte Überhänge des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers auszugleichen.
Die Besonderheiten im Falle des Klägers lassen die Rechtsfolgen nach dem GrEStG (Besteuerung) unter Beachtung der im Gesetz selbst festgelegten Maßstäbe nicht als unbillig erscheinen. Die Finanzbehörden sind bei ihren Ermessensentscheidungen ohne Rechtsverletzung davon ausgegangen, daß das Gesetz die nach Angaben des Klägers zu dessen Ungunsten entstandenen Härten in Kauf nimmt und die Besteuerung des Erwerbsvorgangs nicht nur unter den gesetzlichen Tatbestand fällt, sondern auch mit den Wertungen des Gesetzgebers in Einklang steht. Die Grunderwerbsteuer erfaßt die Umsätze von Grundstücken. Sie knüpft im wesentlichen an bestimmte Rechtsvorgänge an (vgl. im einzelnen § 1 Abs. 1 des für das Land Berlin geltenden Grunderwerbsteuergesetzes vom 18. Juli 1969, GVBl 1969, 1034, BStBl I 1969, 519 - GrEStG Berlin -). Dies macht deutlich, daß für die Besteuerung allein der Rechtsvorgang als solcher maßgebend ist, nicht aber die ihm zugrunde liegenden Motive des Erwerbers oder die von diesem mit dem Erwerb beabsichtigten und später mehr oder weniger tatsächlich eintretenden persönlichen oder wirtschaftlichen (finanziellen) Folgen. Diese berühren den der Besteuerung unterworfenen Rechtsvorgang als solchen nicht unmittelbar bezüglich seines gewollten und bewußt herbeigeführten rechtlichen Ergebnisses. Die Erwartungen des Klägers, die sich hinsichtlich der Mietpreisbindung als falsch herausgestellt haben, sowie die angeblichen Verluste aus dem Mietwohngrundstück beeinflussen weder den bürgerlich-rechtlichen noch den grunderwerbsteuerrechtlich relevanten Gehalt des Rechtsvorganges: Dem Kläger verblieben unabhängig von der Verlängerung der Mietpreisbindung und unabhängig von der angeblichen Ertragslosigkeit des Grundstücks die Eigentumsrechte, die auf ihn in Erfüllung seines Anspruchs aus dem Kaufvertrag und damit aufgrund des grunderwerbsteuerbaren Rechtsvorganges übergegangen waren.
Diese gesetzliche Regelung schließt die Annahme aus, die Besteuerung grunderwerbsteuerrechtlich relevanter Vorgänge werde nach dem Willen des Gesetzgebers von dem Grund des jeweiligen Erwerbsvorganges oder von dessen wirtschaftlichem Ergebnis in irgendeiner Weise beeinflußt. Das Grundstück ist lediglich der Gegenstand, auf den sich der Vorgang bezieht, der die Grunderwerbsteuer auslöst. Die Verwirklichung eines solchen Rechtsvorganges und damit die Erfüllung des Steuertatbestandes führen nach dem Willen des Gesetzgebers schon für sich allein zur Besteuerung, und zwar unabhängig von den Wert- und Ertragsverhältnissen des Grundstücks in diesem oder in einem späteren Zeitpunkt. Danach sollen sich Wertminderungen oder - wie nach Angaben des Klägers im Streitfall - Ertragslosigkeit des Grundstücks nicht auf den (steuerbaren) Rechtsvorgang als solchen und auf dessen Besteuerung auswirken. Die darin im Einzelfall möglicherweise liegende Härte hat der Gesetzgeber in seinen Wertungen bei Ausgestaltung der gesetzlichen Tatbestände berücksichtigt und in Kauf genommen. Eine solche Härte kann deshalb nicht die Einziehung der Grunderwerbsteuer als unbillig erscheinen lassen.
Entsprechend dieser Rechtsauffassung liegt das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Verlängerung der Mietpreisbindung im Lande Berlin und ihrer Folgen sowie hinsichtlich der Ertragslosigkeit der erworbenen Mietwohngrundstücke außerhalb des Bereichs, der gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AO für einen Grunderwerbsteuererlaß von Bedeutung sein kann. Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, ob der angeblich unbilligen Steuereinziehung Vorteile anderer Art (wie z. B. Wertzuwachs) gegenüberstehen, die diese kompensieren, oder ob die zulässigen Mieterhöhungen für preisgebundenen Wohnraum in Berlin (vgl. Sechstes, Achtes und Zehntes Bundesmietengesetz vom 19. Dezember 1969, 30. Oktober 1972 und 17. November 1975, BGBl I 1969, 2357, 1972, 2052 und 1975, 2868) die mögliche Härte für den Zeitraum bis zur endgültigen Freigabe der Mietpreise ganz oder teilweise haben ausgleichen können.
Fundstellen
BStBl II 1977, 807 |
BFHE 1978, 428 |
NJW 1978, 392 |