Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwischenurteil vom 15. Juni 1983 II R 30/81
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verzicht auf die Einlegung der Revision kann nur dann angenommen werden, wenn in der Erklärung des Beteiligten der klare, eindeutige Wille zum Ausdruck kommt, er wolle sich ernsthaft und endgültig mit dem Urteil zufriedengeben und es nicht anfechten. Offen bleibt, ob der Verzicht auf die Revision auch gegenüber dem Prozeßgegner wirksam erklärt werden kann.
2. Die Beschwer des FA entfällt nicht dadurch, daß nach Zustellung des angefochtenen Urteils und vor Einlegung der Revision ein Ereignis eintritt, das nach der vom Beklagten bestrittenen Auffassung des Klägers die Hauptsache erledigt hat. Offen bleibt, was gilt, wenn über den Eintritt der Erledigung kein Streit besteht.
Normenkette
FGO § 155; ZPO §§ 514, 566
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin kaufte verschiedene Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes lagen. Das beklagte Finanzamt (FA) sah antragsgemäß vorläufig von der Erhebung der Grunderwerbsteuer ab, weil die Klägerin beabsichtige, auf den erworbenen Grundstücken grundsteuerbegünstigten Wohnraum zu schaffen.
Am 15. Juni 1977 erließ es zwei Nachforderungsbescheide, weil die Klägerin nicht innerhalb von fünf Jahren seit Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigungen (am 9. Februar 1972) grundsteuerbegünstigte Wohnungen geschaffen habe.
Die Klägerin hat nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben und die Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide mit der Begründung beantragt, der Lauf der fünfjährigen Nachversteuerungsfrist sei durch öffentliche Bebauungshindernisse unterbrochen worden.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Die Erwerbsvorgänge seien gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a des Grunderwerbsteuergesetzes in der in Hessen geltenden Fassung (GrEStG) von der Grunderwerbsteuer befreit. Die Nachversteuerungsfrist sei gemäß § 4 Abs. 11 GrEStG unterbrochen worden.
Das Urteil des FG ist dem FA am 26. Januar 1981 zugestellt worden. Mit einem am 23. Februar 1981 beim FG eingegangenen Schriftsatz vom 20. Februar 1981 hat das FA Revision eingelegt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage beantragt.
Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, und später den Antrag gestellt, die Hauptsache für erledigt zu erklären. Zur Begründung hat sie die Ablichtung zweier Schreiben des FA an sie vom 29. Januar 1981 vorgelegt, die auszugsweise folgenden Wortlaut haben:
"Aufgrund des Urteils des . . . Finanzgerichts . . . werden der Grunderwerbsteuerbescheid . . . und die Einspruchsentscheidung . . . aufgehoben."
Das FA hat demgegenüber die Auffassung vertreten, daß weder die Revision unzulässig noch die Hauptsache erledigt sei. Hierzu hat es ausgeführt:
Der zuständige Sachbearbeiter habe dem Sachgebietsleiter jeweils die Reinschrift und die Aktenverfügung der Schreiben vom 29. Januar 1981 im Entwurf vorgelegt. Die Entwürfe hätten u. a. folgenden Satz enthalten: "Aufgrund des Urteils des . . . Finanzgerichts . . . wird der Grunderwerbsteuerbescheid . . . aufgehoben."
Der Sachgebietsleiter habe auf der Aktenverfügung diesen Satz wie folgt gefaßt:
"Durch Urteil des . . . Finanzgerichts . . . werden der Grunderwerbsteuerbescheid . . . und die Einspruchsentscheidung . . . aufgehoben."
Er habe sodann Weisung gegeben, die von ihm bereits unterschriebenen Reinschriften entsprechend zu korrigieren. Diese Korrekturen seien jedoch nur zum Teil vorgenommen worden. Die Eingangsworte "Aufgrund des Urteils" seien nicht entsprechend den Aktenverfügungen geändert worden.
Hierin sei eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) zu sehen.
Im weiteren Verlauf des Revisionsverfahrens hat das FA den Bevollmächtigten der Klägerin sodann berichtigte Ausfertigungen der Schreiben vom 29. Januar 1981 übersandt, deren Wortlaut mit den vom Sachgebietsleiter geänderten Aktenverfügungen übereinstimmt. Die Klägerin hat mit einem an das FA gerichteten Schriftsatz vom 10. Mai 1983 hiergegen Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist zulässig.
Die Revision ist von dem FA in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
1. Das FA hat nicht auf die Einlegung der Revision verzichtet, wie dies gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 514, 566 der Zivilprozeßordnung (ZPO) möglich gewesen wäre. Dem FG gegenüber ist eine entsprechende Erklärung nicht abgegeben worden. Die an die Klägerin gerichteten Schreiben des FA vom 29. Januar 1981 beinhalten keinen Verzicht auf die Einlegung der Revision. Dabei kann offenbleiben, ob eine etwaige Verzichtserklärung im finanzgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Prozeßgegner erklärt werden kann, wie dies für den Bereich des Zivilprozesses einhellig bejaht wird (bejahend Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 121 Tz. 8, 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, vor § 115 FGO Tz. 12; verneinend Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9919; unentschieden das Urteil des Senats vom 12. September 1973 II R 90/72, BFHE 110, 544, BStBl II 1974, 171 ). Denn eine Verzichtserklärung könnte nur dann angenommen werden, wenn die Schreiben vom 29. Januar 1981 den klaren und eindeutigen Willen des FA zum Ausdruck brächten, sich ernsthaft und endgültig mit dem Urteil des FG abzufinden und es nicht mehr anzufechten. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Schreiben vom 29. Januar 1981 sprechen nur von der Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide, ohne auf die Frage eines etwaigen Revisionsverzichts einzugehen. Hätte das FA auf die Einlegung einer Revision verzichten wollen, so wäre es nicht erforderlich gewesen, eine Erklärung über die Aufhebung der Steuerbescheide abzugeben. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des FG infolge Rechtsmittelverzichts wären die angefochtenen Steuerbescheide aufgrund der Gestaltungswirkung dieses Urteils ohne weiteres aufgehoben worden. Unter diesen Umständen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, was das FA mit seinen Schreiben vom 29. Januar 1981 bezweckte. Die inzwischen bekanntgewordenen Abweichungen zwischen Aktenverfügung und Ausfertigung sprechen jedenfalls nicht für einen beabsichtigten Rechtsmittelverzicht.
2. Das FA ist durch das angefochtene Urteil beschwert (zur Frage der Beschwer des FA vgl. den Beschluß des Großen Senats vom 15. November 1971 GrS 7/70, BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120 ).
Die Beschwer des FA ist bis zur Einlegung der Revision nicht wieder entfallen (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., vor § 511 Anm. 3 B).
Insbesondere ist die Beschwer nicht dadurch entfallen, daß das FA die beiden Schreiben vom 29. Januar 1981 an die Klägerin richtete, aus denen die Klägerin entnommen hat, daß das FA die angefochtenen Steuerbescheide aufgehoben habe. Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die Revision etwa mangels Beschwer unzulässig wäre. wenn die Beteiligten übereinstimmend die Auffassung vertreten hätten, daß sich die Hauptsache durch diese Schreiben erledigt habe (so z. B. das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 1953 II ZR 200/52, Juristische Rundschau 1953, 385). Jedenfalls ist die Beschwer des FA deshalb nicht entfallen, weil das FA entgegen der Klägerin der Auffassung ist, daß sich die Hauptsache durch die Schreiben vom 29. Januar 1981 nicht erledigt habe. In diesem Falle bleibt weiterhin die Sachfrage zu klären, ob die Erledigung der Hauptsache eingetreten ist oder nicht, verneinendenfalls, ob das Urteil des FG richtig ist.
Eine hiervon abweichende Auffassung, daß die Beschwer entfallen sei, würde unzulässigerweise die strittige Frage der Erledigung der Hauptsache in die Prüfung der Zulässigkeit der Revision einbeziehen. Eine solche Einbeziehung würde gegen die Regelung des § 126 FGO verstoßen.
3. Der Senat hat es für angebracht gehalten, über die Frage der Zulässigkeit der Revision vorab zu entscheiden.
Eine Kostenentscheidung entfällt, da erst nach Ergehen des Endurteils feststeht, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat (vgl. den Beschluß vom 14. Mai 1976 III R 22/74, BFHE 119, 25, BStBl II 1976, 545 ).
Fundstellen
Haufe-Index 74725 |
BStBl II 1983, 680 |
BFHE 1983, 517 |