Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG gilt auch für die Besteuerung von beschränkt Steuerpflichtigen.
Die für 1958 geltende Regelung über die Besteuerung von einmaligen Bezügen bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern ist mit Art. 3 GG zu vereinbaren.
Zur Anwendung des Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1959 betreffend die steuerliche Behandlung von Entschädigungen und Nachzahlungen in Wiedergutmachungsfällen.
GG Art. 3, Art. 34; EStG 1957 und 1958 § 40 Abs. 1, § 50 Abs. 3; LStDV 1957 § 35, § 40; VO zur überleitung des Lohnsteuerverfahrens auf die Vorschriften des Gesetzes zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1, § 40/1, § 42a/1, § 50/3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 34
Tatbestand
Der Bf., ordentlicher Professor einer Universität in der Schweiz, war von 1931 bis zum Entzug der Lehrbefugnis Ende 1933 außerordentlicher Professor in A. (jetzt Nordrhein-Westfalen). Als Wiedergutmachung wurden ihm für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 und vom 1. Januar 1954 bis 31. Dezember 1957 im November 1958 insgesamt 62.438,32 DM Emeritenbezüge ausgezahlt, von denen 34 v. H. (= 21.229,03 DM) als Lohnsteuer einbehalten wurden. Für 1958 erhielt er außerdem 16.872 DM, die um 3.252 DM Lohnsteuer gekürzt wurden. Am 5. Januar 1959 beantragte sein Vertreter die Erstattung von 9.075,03 DM an Lohnsteuer, weil sein Wiedergutmachungsantrag unrichtigerweise zunächst als Kriegssachschädenantrag angesehen worden sei, der ihm zustehende Betrag infolgedessen erst verspätet und deshalb um einen zu hohen Lohnsteuerabzug gekürzt ausbezahlt worden sei. Am 3. Juni 1960 verlangte er darüber hinaus die Erstattung der ganzen Lohnsteuer, da er nunmehr die Zahlungen als lohnsteuerfrei ansah. Das Finanzamt erstattete ihm lediglich 102,05 DM von den 144,57 DM Lohnsteuer, die für die Nachzahlung vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 einbehalten worden waren. Der Einspruch und die Berufung, mit der der Bf. nunmehr die Erstattung von 8.972,98 DM begehrte, hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht führte aus: Die dem beschränkt steuerpflichtigen Bf. als Wiedergutmachung ausgezahlten Emeritenbezüge seien Arbeitslohn aus einem früheren Dienstverhältnis, die der Lohnsteuer unterlägen, und zwar nach § 11 Abs. 1 EStG als Einnahmen des Jahres 1958, da sie dem Bf. in diesem Jahr zugeflossen seien. Da der Bf. die Nachzahlung am 14. November 1958 erhalten habe, habe das Finanzamt die Lohnsteuer zutreffend nach der Verordnung zur überleitung des Lohnsteuerverfahrens auf die Vorschriften des Gesetzes zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 20. Dezember 1958 (BGBl 1958 I S. 969, BStBl 1959 I S. 2) ermittelt. Nach den §§ 5, 6 und 7 dieser Verordnung in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Ziff. 1 und mit § 50 Abs. 3 und 4 EStG 1957 sowie den §§ 35 und 40 LStDV 1957 betrage die Lohnsteuer für die auf die Jahre 1954 bis 1957 entfallenden Nachzahlungen nach Steuerklasse II und dem in Betracht kommenden Steuersatz 34 v. H. 21.084,42 DM. Die für 1958 gezahlten Bezüge seien richtig nach der Jahreslohnsteuertabelle besteuert worden. Die Einwendungen des Bf. hiergegen seien nicht begründet. Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 8 EStG 1958 komme nicht in Betracht, wie der Bundesfinanzhof bereits in den Urteilen VI 71/58 U und VI 149/59 U vom 13. Juni 1960 (BStBl 1960 III S. 344 Slg. Bd. 71 S. 252 und 254) entschieden habe. Der für die Steuerpflichtigen günstigere Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen S 2228 - 5808/VB - 2 vom 8. Dezember 1959 (Lohnsteuerkartei der Oberfinanzdirektionen Düsseldorf, Köln, Münster zu § 32 LStDV Nr. 25; vgl. auch den Erlaß der Finanzbehörde Hamburg vom 23. November 1959 in "Der Betrieb" 1959 S. 1386) sei nicht anwendbar, da der Erlaß erst für die nach dem 31. Dezember 1958 geleisteten Nachzahlungen gelte. Die Pauschalierung der Steuer nach § 50 Abs. 5 EStG 1958 sei nicht möglich. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), der auch gegenüber den Bürgern anderer Staaten zu beachten sei, werde durch die vorgenommene Besteuerung gleichfalls nicht verletzt. Wenn dem Bf. durch eine schuldhaft falsche oder verzögerte Bearbeitung seines Entschädigungsantrags eine höhere steuerliche Belastung erwachse, so könnte er etwaige Schadensersatzansprüche nur vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Ebenso sei es nicht Aufgabe der Finanzgerichte, einen Steuererlaß nach § 131 AO auszusprechen. Hierüber müsse die Verwaltung noch entscheiden.
Der Bf. wendet sich mit seiner Rb. nicht gegen die Steuerberechnung. Er wendet lediglich ein, Lohnsteuer in dieser Höhe verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Die ungewöhnlich hohe Pauschbesteuerung für Nachzahlungen treffe zwar alle Steuerpflichtigen, die solche Nachzahlungen erhielten. Sie seien damit steuerlich aber schlechter gestellt als diejenigen wiedergutmachungsberechtigten Ruhestandsbeamten, die ihre Bezüge laufend erhalten hätten. Da Vorschriften über die Einzelversteuerung der auf die verschiedenen Nachzahlungszeiträume entfallenden Bezüge nicht vorhanden seien, müsse in unmittelbarer Anwendung des Art. 3 GG die Besteuerung so durchgeführt werden, daß bei Nachzahlungen die Steuer für jedes Jahr der Nachzahlung nach den für dieses Jahr geltenden Grundsätzen ermittelt werde. Nur diese Sachbehandlung entspreche dem GG und dem Geist der Wiedergutmachungsgesetzgebung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Nachzahlung, die der Bf. Ende 1958 erhalten hat, ist eine Einnahme des Jahres 1958 (ß 11 Abs. 1 Satz 1 EStG 1958). Sie ist daher nach den für 1958 geltenden Bestimmungen und Tarifvorschriften zu besteuern. Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 8 EStG kommt nicht in Betracht, weil Bezüge aus einem früheren Dienstverhältnis, die aus Wiedergutmachungsgründen gezahlt werden, von der Steuerfreiheit ausdrücklich ausgenommen sind. Daß die Lohnsteuer nach den einschlägigen Vorschriften richtig berechnet wurde, wird von dem Bf. nicht bestritten. Wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, bestehen gegen die Richtigkeit der Berechnung auch keine Bedenken.
Mit dem Hinweis auf den Art. 3 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz kann der Bf. keinen Erfolg haben. Daß der Bf. beschränkt steuerpflichtig ist, steht zwar der Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes nicht entgegen; denn dieses Grundrecht hat nach seiner Fassung im GG allgemeine Bedeutung (von Mangoldt-Klein, das Bonner Grundgesetz, 2. Auflage 1957, Vorbemerkung BV 4). Es gilt im Gegensatz zu den ausdrücklich den Staatsbürgern eingeräumten Grundrechten für alle, die zur Bundesrepublik Deutschland in Beziehungen treten. Der Gleichheitsgrundsatz gilt daher bei der Besteuerung sowohl bei unbeschränkter wie auch bei beschränkter Steuerpflicht. Er bedeutet aber nicht, daß beschränkt steuerpflichtige Personen steuerlich in jeder Hinsicht ebenso behandelt werden müßten, wie unbeschränkt steuerpflichtige. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet, "daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht dagegen, daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird" (Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvG 1/51 vom 23. Oktober 1951, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 14 ff., 52). Zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen bestehen wesentliche Unterschiede. Sie beruhen insbesondere darauf, daß bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht alle Einkünfte im Bundesgebiet erfaßt werden können, daß wegen des Fehlens der persönlichen Bindungen an das Bundesgebiet aus dem Familienstand nicht so weitgehende Folgerungen zu ziehen sind wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, und daß die Durchführung der Besteuerung verfahrensmäßig Besonderheiten erfordert. Die unterschiedliche Besteuerung von sonstigen Bezügen bei unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, insbesondere das Verbot der Verteilung nach § 34 Abs. 3 EStG (ß 50 Abs. 1 EStG 1958), stellt danach keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, sondern ist eine mögliche Folgerung aus der verschiedenen Stellung der unbeschränkt und der beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer. Die Sonderregelung in § 6 der Verordnung vom 20. Dezember 1958 in Verbindung mit § 35 LStDV ist eine Auswirkung der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung, die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 55, BStBl 1957 I S. 193 ff.) notwendig wurde (siehe Urteil des Senats VI 206/60 U vom 1. Dezember 1961, BStBl 1962 III S. 69, Slg. Bd. 74 S. 183). Sie verstößt aber ebensowenig wie die in § 40 LStDV 1957 geregelte Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer gegen Art. 3 GG.
Auch abgesehen von der Sonderbehandlung der Beschränkt Steuerpflichtigen verstoßen die Bestimmungen über die Besteuerung von Nachzahlungen an Arbeitnehmer nicht gegen Art. 3 GG. Daß Nachzahlungen bei der Besteuerung nicht auf die Jahre aufgeteilt werden, auf die sie wirtschaftlich treffen und so besteuert werden, als seien sie in diesen Jahren zugeflossen, beruht auf § 11 EStG, der bestimmt, daß die Nachzahlungen jeweils Einnahmen des Jahres sind, in dem der Steuerpflichtige sie erhält. Eine nachträgliche Besteuerung der Nachzahlungen durch Wiederaufrollung der Steuerfestsetzung dieser Jahre wäre bei Lohnempfängern schwierig und wäre oft überhaupt nicht möglich, da viele Arbeitnehmer nicht mehr bei den gleichen Arbeitgebern beschäftigt sind und ihre Lohnsteuerkarten, die über die Höhe, ihre rechtzeitig ausgezahlten Bezüge und über die dabei einbehaltene Lohnsteuer verbindlichen Aufschluß geben können, in der Regel nicht mehr vorhanden sind. Angesichts dieser Schwierigkeiten wurde die Besteuerung der sonstigen Bezüge der Arbeitnehmer, zu denen die Nachzahlungen gehören, eine pauschale Besteuerung eingeführt. Daß sich dadurch in der Regel eine andere Steuer ergibt, als sie bei rechtzeitiger Zahlung des Nachzahlungsbetrags angefallen wäre, ist nicht zu leugnen, hängt aber mit den besonderen Verhältnissen des Lohnsteuerrechts zusammen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist darin jedoch nicht zu erblicken, da laufende Zahlungen und Nachzahlungen von Arbeitslohn, insbesondere solche für mehrere Jahre, nicht dasselbe sind und daher der Gleichheitsgrundsatz einer verschiedenen, den Verhältnissen Rechnung tragenden Behandlung bei der Besteuerung nicht entgegensteht. Daß die Regelung in §§ 35 ff. LStDV willkürlich und die unter Umständen unterschiedliche Höhe bei der Besteuerung von Nachzahlungen gegenüber den laufenden Zahlungen aus diesem Grund mit Art. 3 GG unvereinbar wäre, ist nicht anzunehmen.
Daß die verspätete Bearbeitung des Wiedergutmachungsantrags des Bf. möglicherweise zu einer erhöhten Besteuerung der Nachzahlung geführt hat, kann, wie das Finanzgericht bereits ausgeführt hat, bei der Besteuerung nicht berücksichtigt werden, sondern begründet allenfalls einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, der aber bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist.
Das Finanzgericht hat es schließlich auch mit Recht abgelehnt zu prüfen, ob ein Billigkeitserlaß nach § 131 AO gerechtfertigt ist. Die Entscheidung hierüber liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörden. Die Finanzgerichte können, wenn die Verwaltungsbehörden einem entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen nicht oder nicht voll entsprochen haben, nur prüfen, ob die Verwaltungsbehörden ihr Ermessen richtig ausgeübt haben (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG, jetzt § 237 Abs. 2 AO). Im vorliegenden Rechtsstreit ist für eine derartige Prüfung kein Raum, da bisher noch streitig ist, ob die Lohnsteuer nach den gesetzlichen Vorschriften zu Recht einbehalten wurde. Das Finanzamt muß jedoch, wie schon das Finanzgericht ausgeführt hat, nach Abschluß dieses Steuerfestsetzungsverfahrens noch prüfen, ob nicht aus Billigkeitsgründen ein Teil der einbehaltenen Lohnsteuer nach § 131 AO zu erstatten ist. Dabei hat es insbesondere zu erwägen, ob es nicht entsprechend dem angeführten Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1959, der Härten in Wiedergutmachungsfällen beseitigen will, verfahren muß. Dieser Erlaß ist nach seinem Wortlaut zwar erst auf nach dem 31. Dezember 1958 erfolgte Zahlungen anzuwenden. Ein innerer Grund für diese zeitliche Begrenzung ist aber nicht ohne weiteres ersichtlich, zumal bei Zahlungen, die einem Wiedergutmachungsberechtigten wie hier nur kurze Zeit vor dem 31. Dezember 1958 zugeflossen sind. Nach Auffassung des Senats dürfte daher nach dem erwähnten Erlaß zu verfahren sein, sofern nicht beachtliche Gründe dafür sprechen, ihn auch auf kurz vor dem 1. Januar 1959 geleistete Wiedergutmachungszahlungen nicht anzuwenden.
Fundstellen
Haufe-Index 410916 |
BStBl III 1963, 486 |
BFHE 1964, 456 |
BFHE 77, 456 |