Entscheidungsstichwort (Thema)
(Erlaß von Säumniszuschlägen im Konkursverfahren: Illiquidität der Konkursmasse, Säumniszuschlag als "Druckmittel" und als Massekosten, Erlaß bis zur Höhe von Stundungszinsen - Umsatzsteuer: Verwertung von Sicherungsgut durch Konkursverwalter - Verzicht auf Stundungszinsen)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, daß ein Konkursverwalter fällige Umsatzsteuer aus der Verwertung von Sicherungsgut mangels Liquidität der Konkursmasse erst nach der Veräußerung eines Betriebsgrundstücks entrichtet, gebietet für sich allein nicht den Erlaß sämtlicher hierdurch verwirkter Säumniszuschläge.
2. Die Funktion der Säumniszuschläge als Gegenleistung für verspätete Zahlung fälliger Steuern und als Aufwendungsersatz für ihre Verwaltung bleibt im Konkurs grundsätzlich unberührt.
Orientierungssatz
1. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewußt in Kauf genommene Umstände rechtfertigen dagegen keinen Erlaß aus Billigkeitsgründen (vgl. BFH-Urteil vom 29.8.1991 V R 78/86).
2. Umsatzsteuer wird auch auf alle nach Konkurseröffnung ausgeführten Umsätze geschuldet. Bei der Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer sind sowohl zwischen Sicherungsnehmer und Erwerber als auch zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer steuerbare Umsätze gegeben. Die aus der Lieferung des Sicherungsgebers (Konkursverwalters) an den Sicherungsnehmer nach Konkurseröffnung entstehende Umsatzsteuer gehört --wie auch hierauf entstehende Säumniszuschläge-- zu den Massekosten i.S. des § 58 KO.
3. Fehlen dem Konkursverwalter verfügbare Mittel zur Zahlung von Umsatzsteuer aus von ihm bewirkten Umsätzen, so können Säumniszuschläge nicht mehr "Druckmittel" sein. Dies wird durch den Erlaß der Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge durch das FA ermessensgerecht berücksichtigt. Der Konkursverwalter wird dadurch so gestellt, als ob die Umsatzsteuer verzinslich gestundet worden wäre. Die Erhebung von Stundungszinsen ist nicht dadurch unbillig, daß dem Steuerschuldner Geldmittel zur Steuerzahlung fehlen oder daß er aufgrund der späteren Steuerzahlung keinen Zinsvorteil erzielen kann.
4. Wird durch eine Stundung eine vorübergehende Zahlungsschwierigkeit des Steuerschuldners überwunden und kann dieser die Steuerschuld später begleichen, so ist es grundsätzlich ermessensgerecht, Stundungszinsen zu erheben (Ausführungen zur Kongruenz der Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 und 234 Abs.2 AO 1977).
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 240, 222, 234 Abs. 2, § 163; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1; KO § 58 Nr. 2, § 60 Abs. 1, § 82
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter der Z GmbH & Co. (im folgenden: Gemeinschuldnerin). Das Konkursverfahren wurde Mitte 1988 eröffnet. Die Maschinen und Einrichtungsgegenstände der Gemeinschuldnerin, die an Gläubigerbanken sicherungsübereignet worden waren, wurden im zweiten Halbjahr 1988 an Dritte veräußert. Die Veräußerungserlöse einschließlich der Umsatzsteuer flossen in voller Höhe den Sicherungsnehmern zu. Der Kläger meldete in den Umsatzsteuervoranmeldungen der Gemeinschuldnerin für die Monate August und Oktober bis Dezember 1988 steuerpflichtige Umsätze aus der Verwertung des Sicherungsguts an. Die fällige Umsatzsteuer von rd. 3 580 000 DM entrichtete er zunächst nur insoweit, als ihm aus der Verpachtung eines Betriebsgrundstücks Mittel zur Steuerzahlung zur Verfügung standen (rd. 14 500 DM). Nachdem der Erlös aus der Veräußerung des Betriebsgrundstücks der Gemeinschuldnerin in Höhe von 13 Mio DM zur Konkursmasse gelangt war, überwies der Kläger im April 1990 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) rd. 4 Mio DM, die dieser u.a. auf die inzwischen verwirkten Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 8/1988 und 10 bis 12/1988 in Höhe von 500 224 DM verbuchte.
Auf den Antrag des Klägers, diese Säumniszuschläge zu erlassen, bewilligte der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen einen Erlaß von 50 % der Säumniszuschläge, den das FA mit Verwaltungsakt vom 13. November 1992 verfügte. Der Erlaß der restlichen Säumniszuschläge wurde abgelehnt.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage ab.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, die Entscheidung der Finanzbehörde, die entstandenen Säumniszuschläge nur zur Hälfte gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zu erlassen, sei nicht rechtswidrig. Der Ermessensspielraum sei nicht derart eingeengt gewesen, daß nur ein Erlaß sämtlicher Säumniszuschläge die richtige Entscheidung gewesen wäre. Das FA habe weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Der Erlaß sei dem Grund und der Höhe nach ermessensgerecht, denn der Kläger werde im Ergebnis so gestellt, als seien die Umsatzsteuerbeträge ab Fälligkeit verzinslich gestundet worden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die Verletzung der §§ 227, 240 i.V.m. § 234 Abs.2 AO 1977.
Der Kläger beantragt, das erstinstanzliche Urteil, die Beschwerdeentscheidung und den Erlaßbescheid aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Säumniszuschläge betreffend die Umsatzsteuer 8/1988, 10 bis 12/1988 in voller Höhe zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Verspätungs- und Säumniszuschläge (§ 37 Abs.1 i.V.m. § 3 Abs.3 AO 1977).
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlaß ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Die Ablehnung des begehrten Verzichts auf Aussetzungszinsen durch FA und Oberfinanzdirektion (OFD) ist nicht ermessensfehlerhaft.
1. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer steuerrechtlichen Vorschrift bewußt in Kauf genommen hat, keinen Erlaß aus Billigkeitsgründen (Urteil des Senats vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, mit Nachweisen).
Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus wird mit den Säumniszuschlägen der Zweck verfolgt, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, daß Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (Senatsurteil in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906 unter II. 2. a, mit Nachweisen).
2. Grundsätzlich sind die genannten Zwecke der Säumniszuschläge auch während des Konkursverfahrens von Bedeutung. Der Konkursverwalter ist gemäß § 34 Abs.1, 3 AO 1977 i.V.m. § 6 Abs.2 der Konkursordnung (KO) verpflichtet, Steuererklärungen abzugeben und fällige Steuern zu zahlen. Umsatzsteuer wird auf alle Umsätze geschuldet, die nach Konkurseröffnung ausgeführt werden. Hierzu gehören auch Umsätze aus der Verwertung von Sicherungsgut (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817 a.E.). Bei der Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer sind sowohl zwischen Sicherungsnehmer und Erwerber als auch zwischen Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber steuerbare Umsätze gegeben. Die Umsatzsteuer, die bei der Lieferung des Sicherungsgebers (Konkursverwalters) an den Sicherungsnehmer nach Konkurseröffnung entsteht, gehört zu den Massekosten i.S. von § 58 Nr.2 KO (Urteil des Senats vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741, m.w.N.). Soweit dem Konkursverwalter genügend Mittel zur Verfügung stehen, dienen Säumniszuschläge auch im Konkurs als Druckmittel zur rechtzeitigen Zahlung fälliger Steuerschulden. Fehlen verfügbare Mittel, so können Säumniszuschläge nicht Druckmittel sein. Dies gilt auch für die vom Kläger geltend gemachte "rechtliche Unmöglichkeit" zur Zahlung aus konkurs- und haftungsrechtlichen Gründen. Es würde den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, den Konkursverwalter nur wegen der rechtzeitigen Zahlung von Steuern in die Schadensersatzpflicht gegenüber anderen Konkursgläubigern zu treiben. Der insoweit entfallende Zweck "Druckmittel" der Säumniszuschläge wird durch den Erlaß der Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge ermessensgerecht berücksichtigt.
3. Der Umstand, daß ein Konkursverwalter aus konkurs- und haftungsrechtlichen Gründen fällige Steuern nicht zahlen darf, weil noch nicht feststeht, ob die Konkursmasse zur Begleichung vorrangiger Masseschulden ausreicht (§ 60 Abs.1, § 82 KO), gebietet für sich allein nicht den Erlaß sämtlicher Säumniszuschläge. Denn die Funktion der Säumniszuschläge als Gegenleistung für verspätete Zahlung fälliger Steuern und als Aufwendungsersatz für ihre Verwaltung bleibt im Konkurs grundsätzlich unberührt. Es war deshalb nicht ermessenswidrig, diese Säumniszuschläge nur bis zur Höhe von Stundungszinsen zu erlassen.
a) Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Mai 1987 II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229). Gegenüber der Entstehung des Zinsanspruchs kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, daß die Erhebung der Zinsen wegen des Fehlens von Geldmitteln für die Steuerzahlung unbillig sei (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 145/90, BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 321). Entgegen der Auffassung des Klägers muß auf Stundungszinsen nicht bereits deshalb verzichtet werden, weil der Steuerschuldner aufgrund der verspäteten Zahlung keinen Zinsvorteil erzielen konnte. Denn Stundungszinsen dienen in erster Linie dem Ausgleich des "Zinsnachteils" des Abgabengläubigers, der nicht zum Fälligkeitszeitpunkt über die geschuldeten Beträge verfügen konnte.
b) Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung von Stundungszinsen (§ 234 Abs.2 AO 1977) verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO 1977 und mit den Erlaßvoraussetzungen i.S. des § 227 AO 1977, so daß auch hier persönliche und sachliche Gründe zum Verzicht aus Billigkeitsgründen führen können. Es handelt sich um einheitliche Ermessensvorschriften, bei denen der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt (BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402, unter Hinweis auf GmS-OGB-Beschluß in BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Hierbei ist zu beachten, daß bereits im Rahmen der Prüfung der Stundungsvoraussetzungen (§ 222 Satz 1 AO 1977) sachliche und persönliche Billigkeitsgründe berücksichtigt werden. Wird durch die Stundung eine vorübergehende Zahlungsschwierigkeit des Steuerschuldners überwunden und kann dieser die Steuerschuld später begleichen, so ist es grundsätzlich ermessensgerecht, Stundungszinsen zu erheben.
c) Andere Konkursgläubiger werden durch diese Grundsätze nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die Säumniszuschläge auf Umsatzsteuerschulden aus der Verwertung von Sicherungsgut gehören als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs.3 AO 1977) zu den "Ausgaben für die Verwertung der Masse" (§ 58 Nr.2 KO) und sind vorweg aus der Konkursmasse zu befriedigen (§ 57 KO). Die Zurechnung der Säumniszuschläge zu den "Ausgaben" i.S. des § 58 Nr.2 KO ist wegen ihres auch im Konkurs bestehenden Sinns als Gegenleistung und Aufwendungsersatz gerechtfertigt.
4. Übereinstimmend mit den vorgenannten Grundsätzen hat das FG die Begründung der OFD für die Ablehnung des Erlaßantrags geprüft und zutreffend als ermessensfehlerfrei beurteilt. Die OFD hat bei ihrer Entscheidung über die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen insbesondere die Grundsätze beachtet, die der Senat in dem Urteil vom 23. Mai 1985 V R 124/79 (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489) und im Urteil in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906 dargelegt hat. Die Finanzbehörde hat rechtsfehlerfrei den Erlaß der verwirkten weiteren Säumniszuschläge abgelehnt. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers war ein Erlaß oder eine zinslose Stundung der Umsatzsteuerschulden aus der Verwertung des Sicherungsguts nicht geboten. Denn aus der Verwertung des Betriebsgrundstücks waren erhebliche Mittel zu erwarten.
Fundstellen
Haufe-Index 66064 |
BFH/NV 1996, 357 |
BStBl II 1996, 561 |
BFHE 180, 516 |
BFHE 1997, 516 |
BB 1996, 2609 |
BB 1996, 2609-2610 (LT) |
DB 1996, 2163-2164 (LT) |
DStR 1996, 1567 (K) |
DStZ 1997, 94-95 (LT) |
HFR 1996, 799-800 (L) |
StE 1996, 643 (K) |