Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiskraft des Sitzungsprotokolls - Abgrenzung Steuerfestsetzungsverfahren/Steueranrechnungsverfahren - Anrechnung von Lohnsteuer - Zufluß von Arbeitslohn aufgrund einer vor dem Zivilgericht erhobenen Nettolohnklage - Verpflichtungsklage auf Erlaß eines Abrechnungsbescheids
Leitsatz (amtlich)
1. Widerspricht der im Tatbestand eines Urteils wiedergegebene Sachantrag der Formulierung im Sitzungsprotokoll, geht die Fassung des Antrags im Sitzungsprotokoll vor.
2. Entscheidungen über die Steuerfestsetzung sind im Steuerfestsetzungsverfahren und Entscheidungen über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen im Steueranrechnungsverfahren zu treffen.
3. Fließt einem Steuerpflichtigen nur der im Tenor eines Zivilgerichtsurteils zahlenmäßig bezifferte und in den Entscheidungsgründen als "netto" bezeichnete Arbeitslohn zu, so ist lediglich der zugeflossene Betrag steuerlich als Arbeitslohn zu erfassen.
4. Zur Anrechnung von Lohnsteuerabzugsbeträgen gemäß § 36 Abs.2 Nr.2 EStG bei der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers.
Orientierungssatz
1. Der Inhalt des Sitzungsprotokolls gehört zu den der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegenden tatsächlichen Feststellungen des FG. Die im Überschreiten des Klagebegehrens laut Sitzungsprotokoll liegende Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO ist vom Revisionsgericht als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens auch ohne Rüge zu beachten (vgl. Rechtsprechung).
2. Allein die Bezeichnung "Nettobetrag" im Zivilurteil rechtfertigt noch nicht die Annahme, daß dem Arbeitgeber über die Zahlung dieses Betrages hinaus auch Lohnsteuerzahlungen an das FA auferlegt worden sind. Ausführungen, wann der Ansatz eines höheren Bruttolohnes --und damit die Möglichkeit der Anrechnung von als einbehalten geltender Lohnsteuer-- bei der Einkommensteuerveranlagung in Betracht kommen könnte (vgl. Rechtsprechung). Eine Nettolohnvereinbarung lag im Streitfall nicht vor.
3. "Erhoben" i.S. des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist eine Abzugssteuer nur dann, wenn sie vom Abzugspflichtigen tatsächlich und vorschriftsmäßig einbehalten oder von ihm im Rahmen einer sog. Nettolohnvereinbarung übernommen worden ist. Erfüllt er --bewußt oder aus Unkenntnis-- seine Abzugspflicht nicht, entfällt die Anrechnung (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
4. Hat der Steuerpflichtige mit dem Begehren auf Anrechnung von Lohnsteuer zugleich auch sinngemäß die Erteilung eines Abrechnungsbescheids beantragt und hat das FA diesen Antrag mit dem Versagen der Anrechnung stillschweigend abgelehnt, so ist eine hiergegen --nach erfolgslosem Rechtsbehelfsverfahren-- gerichtete Klage eine Verpflichtungsklage. Da bei dieser nicht § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO, sondern § 101 FGO Anwendung findet, darf das FG nicht in der Sache selbst entscheiden. Es kann das FA nur zum Erlaß eines Abrechnungsbescheids verpflichten. Dabei steht der Zulässigkeit der Verpflichtungsklage gemäß § 44 Abs. 1 FGO nicht entgegen, daß statt des Einspruchsverfahrens ein Beschwerdeverfahren durchgeführt wurde (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 38 Abs. 2-3; FGO §§ 94, 96 Abs. 1 S. 2, §§ 120, 155; ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 2, §§ 165, 314 S. 2; FGO § 118 Abs. 2, § 44 Abs. 1, § 100 Abs. 2 S. 1, §§ 101, 40 Abs. 1; AO 1977 § 218 Abs. 2 S. 1, § 348 Abs. 1 Nr. 9, § 349 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 08.12.1989; Aktenzeichen 1 K 88/85) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Vorstandsmitglied der X-AG. Nach dem Anstellungsvertrag mit seiner Arbeitgeberin stand ihm ein in monatlichen Teilbeträgen zu zahlendes Jahresbruttogehalt von 112 000 DM zu. Wegen einer von ihr zum 31.Juli 1978 ausgesprochenen fristlosen Kündigung zahlte die Arbeitgeberin ab dem 1.August 1978 kein Gehalt mehr. Auf die Klage des Klägers verurteilte das Landgericht die Arbeitgeberin laut Urteilsformel des Teilurteils vom 23.April 1979 für die Monate August 1978 bis Februar 1979 zu einer Nachzahlung in Höhe von 49 860,16 DM nebst Zinsen sowie für die Zeit ab März 1979 bis Juli 1979 zur Zahlung von jeweils 7 122,88 DM pro Monat In den Entscheidungsgründen des Teilurteils ist u.a. ausgeführt, daß sich für den Kläger aufgrund seines Anstellungsvertrags unter Berücksichtigung von Nebenleistungen ein monatliches Nettogehalt von 7 122,88 DM ergebe. Darüber hinaus verurteilte das Landgericht die Arbeitgeberin des Klägers durch Schlußurteil vom 27.Juli 1979 gemäß der Urteilsformel u.a. zu Gehaltszahlungen von monatlich jeweils 10 074,26 DM brutto ab August des Streitjahres 1979 (bis Juli 1982). Gegen die Urteile legten die Arbeitgeberin Berufung und der Kläger Anschlußberufung ein.
Im Streitjahr 1979 flossen dem Kläger aufgrund der vorgenannten Urteile --teilweise im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben-- insgesamt 126 823,28 DM zu.
Durch Urteil vom 6.Februar 1980 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) die Arbeitgeberin des Klägers gemäß der Urteilsformel u.a. zu einer Nachzahlung in Höhe von 81 802,56 DM sowie zu einer Nachzahlung in Höhe von 80 594,08 DM brutto und zur Zahlung von monatlich 10 074,26 DM brutto ab April 1980 bis Juli 1981. In den Entscheidungsgründen ist u.a. ausgeführt, daß dem Kläger für die Zeit vom 1.August 1978 bis zum 31.Juli 1979 wie beantragt Nettobeträge zustünden.
Mit Schreiben vom 7.September 1979 wandte sich der Kläger an das für die Arbeitgeberin zuständige Betriebsstätten-Finanzamt. Er zeigte an, die Arbeitgeberin zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer für die Beträge aufgefordert zu haben, die ihm für August 1978 bis Juli 1979 durch das Teilurteil des Landgerichts vom 23.April 1979 netto zuerkannt worden seien. Da er nur Nettobeträge erhalten habe, müsse die Arbeitgeberin die nach dem Bruttolohn laut Anstellungsvertrag berechnete Lohnsteuer an das Betriebsstätten- Finanzamt abführen.
Das Betriebsstätten-Finanzamt teilte dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) mit, daß der dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Betrag (126 823,28 DM) in Höhe von 120 904 DM als steuerpflichtiger Arbeitslohn anzusetzen sei. Lohnsteuer habe die Arbeitgeberin nicht einbehalten.
In seiner das Streitjahr 1979 betreffenden Einkommensteuererklärung setzte der Kläger einen --mehrere Jahre betreffenden-- Arbeitslohn in Höhe von 112 260,68 DM an und begehrte die Berücksichtigung von Lohnsteuerabzugsbeträgen in Höhe von 36 291,60 DM. Das FA legte demgegenüber bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers den vom Betriebsstätten-Finanzamt mitgeteilten Lohn zugrunde und rechnete keine Lohnsteuer an.
Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers hatte nur insoweit Erfolg, als das FA den anzusetzenden Arbeitslohn um einen --nicht im Streitjahr 1979 zu berücksichtigenden-- Teilbetrag von 32 493 DM verminderte.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Versagung der Anrechnung wies die Oberfinanzdirektion (OFD) durch Beschwerdeentscheidung vom 7.Juli 1989 als unbegründet zurück.
Mit seinen hiergegen gerichteten Klagen begehrte der Kläger laut Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 8.Dezember 1989, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung sowie die Beschwerdeentscheidung dahingehend abzuändern, daß für ihn nach Anrechnung keine Steuern mehr zu zahlen seien. Die Klagen hatten Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte die Einkommensteuerschuld 1979 nach Anrechnung von Lohnsteuer auf 0 DM fest. Die Entscheidungsgründe sind in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 362 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 36 Abs.2 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen einer Anrechnung von Lohnsteuer für gegeben erachtet.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. In dem die Steuerfestsetzung betreffenden Verfahren ergibt sich die Notwendigkeit der Zurückverweisung schon daraus, daß das FG bei seiner Entscheidung über das Klagebegehren hinausgegangen ist.
a) Das FG hat eine Steuerschuld von 0 DM festgesetzt, obwohl der Kläger --nach seinem im Sitzungsprotokoll vom 8.Dezember 1980 wiedergegebenen Klageantrag-- nur sinngemäß begehrt hatte, nach Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen solle keine Steuer mehr verbleiben. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß der im angefochtenen Urteil wiedergegebene Antrag des Klägers auf eine Steuerfestsetzung von 0 DM gerichtet war. Zu den der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegenden tatsächlichen Feststellungen (§ 118 Abs.2 FGO) des FG gehört auch der Inhalt der Sitzungsniederschrift (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5.Mai 1976 I R 121/74, BFHE 119, 59, BStBl II 1976, 541; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 118 Anm.28). Widersprechen die die Förmlichkeiten des Verfahrens (z.B. Sachanträge i.S. von § 160 Abs.3 Nr.2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) betreffenden Feststellungen des Sitzungsprotokolls den Beurkundungen im Tatbestand, gehen die Feststellungen des Sitzungsprotokolls vor (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs.3 Nr.2 ZPO, § 165 ZPO; § 155 FGO i.V.m. § 314 Satz 2 ZPO; vgl. ferner Urteile des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 6.Oktober 1982 7 C 17.80, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, § 86 Abs.2 VwGO Nr.26, und vom 3.Juli 1987 4 C 12/84, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1988, 1228; Ziemer/Haarmann/Lohse/ Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.7954, 7960/1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 51.Aufl., § 160 Rdnr.9, § 165 Rdnr.5). Die im Überschreiten des Klagebegehrens liegende Verletzung des § 96 Abs.1 Satz 2 FGO ist vom Revisionsgericht als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens auch ohne Rüge zu beachten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.Juni 1988 X R 27/87, BFH/NV 1989, 233).
b) Die Vorinstanz wird bei der erneuten Entscheidung die Trennung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steueranrechnungsverfahren zu beachten haben. Verfügungen des FA über die Anrechnung von Abzugssteuern auf die im Wege der Veranlagung festgesetzte Jahressteuerschuld (Anrechnungsverfügungen) sind dem Steuererhebungsverfahren zuzuordnende Verwaltungsakte, die nur aus Zweckmäßigkeitsgründen häufig mit der Steuerfestsetzung in einem Bescheid verbunden werden (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 26.Februar 1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403, und vom 16.Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; Brenner in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr.A 231 f., m.w.N.). Streitigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und dem FA über die Frage der Anrechnung von Steuern sind durch einen Abrechnungsbescheid i.S. von § 218 Abs.2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 28.April 1993 I R 123/91, BFHE 170, 573).
c) Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung ferner zu berücksichtigen haben, daß bei der Einkommensteuerveranlagung 1979 als Arbeitslohn der dem Kläger von den Zivilgerichten zugesprochene und ihm tatsächlich zugeflossene Betrag erfaßt werden muß.
aa) In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob bei einem --wie im Streitfall-- vereinbarten Bruttolohn eine auf die Auszahlung des Nettolohns beschränkte Klage zivilrechtlich zulässig ist (vgl. dazu Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 29.August 1984 7 AZR 34/83, NJW 1985, 646; insoweit kritisch z.B. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 38 Rdnr.A 46; Stolterfoht, Jahrbuch der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. --DStJG-- Bd.9 --1986--, S.200; Berkowsky/Drews, Der Betrieb --DB-- 1985, 2099). Denn weder das Landgericht noch das OLG haben dem Kläger einen Nettolohn in dem Sinne zugesprochen, daß seine Arbeitgeberin verpflichtet war, die auszuzahlenden --in der Revision streitigen-- Beträge auf den nach dem Anstellungsvertrag ursprünglich vereinbarten Bruttolohn hochzurechnen und die Differenz als einbehaltene Lohnsteuer an das FA abzuführen. Die andere Würdigung des FG wird nicht durch seine tatsächlichen Feststellungen getragen. Aus dem Tenor des Teilurteils des Landgerichts vom 23.April 1973 und dem Tenor des Urteils des OLG vom 6.Februar 1980 ergibt sich zur hier streitigen Frage nur, daß die Arbeitgeberin dem Kläger die jeweils zahlenmäßig bezifferten Beträge schuldete. Dies gilt selbst dann, wenn man zur Auslegung der an sich eindeutigen Urteilsformeln die Entscheidungsgründe heranzieht. Allein der Umstand, daß nach den Gründen der Entscheidungen die hier streitigen Beträge als Nettobeträge bezeichnet worden sind, rechtfertigt noch nicht die Annahme, daß der Arbeitgeberin über die Verpflichtung zur Zahlung der bezifferten Beträge an den Kläger hinaus auch Zahlungen an das FA auferlegt werden sollten. Eine solche Verpflichtung hätte im Tenor der Entscheidungen angesprochen werden müssen, was aber nicht geschehen ist (vgl. zur Auslegung von Urteilen, z.B. BFH-Urteil vom 17.November 1992 VIII R 35/91, BFH/NV 1993, 316, m.w.N.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 105 Anm.10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 322 Rdnr.6). Dies gilt um so mehr, als in den Urteilsformeln der genannten Entscheidungen die der Arbeitgeberin auferlegten Verpflichtungen zur Zahlung an Dritte (Versicherungsunternehmen) zugunsten des Klägers ausdrücklich aufgeführt sind.
bb) Die dem Kläger aufgrund der Urteile der Zivilgerichte zugesprochenen Beträge sind damit der der Besteuerung unterliegende Bruttoarbeitslohn, von dem im Zeitpunkt des Zuflusses beim Kläger die darauf entfallende Lohnsteuer entstand (§ 38 Abs.2 Satz 2 EStG).
cc) Der Ansatz eines höheren als des von den Zivilgerichten ausgeurteilten Bruttolohnes --und damit die Möglichkeit der Anrechnung von als einbehalten geltender Lohnsteuer (vgl. dazu unten II.2.)-- kommt im Streitfall auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, daß die Arbeitgeberin im Rahmen einer sog. Nettolohnvereinbarung zusätzlich zum Nettolohn das Abführen der nach dem Bruttolohn bemessenen Lohnsteuer übernommen hat (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 8.November 1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 186; vom 13.November 1987 VI R 4/84, BFH/NV 1988, 566, und vom 28.Februar 1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, m.w.N.). Denn dem Kläger stand nach seinem Anstellungsvertrag ein Bruttolohn zu; die Annahme einer von den Zivilgerichten angeordneten Nettolohnvereinbarung scheidet nach dem oben Gesagten (vgl. II.1.c aa) mangels entsprechender Konkretisierung in den Urteilsformeln von vornherein aus.
dd) Der Ansatz eines höheren Bruttolohnes --und damit die Möglichkeit der Anrechnung von als einbehalten geltender Lohnsteuer (vgl. dazu unten II.2.)-- bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers kann allerdings in Betracht kommen, wenn die Arbeitgeberin freiwillig bereit gewesen ist, dem Kläger anstatt der in den Entscheidungsgründen der Zivilgerichtsurteile als "netto" bezeichneten Beträge den ursprünglich vereinbarten Bruttolohn laut Anstellungsvertrag zu zahlen. Voraussetzung dafür ist zum einen, daß die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der --freiwilligen oder zwangsweisen-- Zahlung der von den Zivilgerichten ausgeurteilten "Nettobeträge" die nach dem entsprechenden Bruttolohn laut Anstellungsvertrag berechnete Lohnsteuer im Lohnkonto vermerkt hat; darüber hinaus ist erforderlich, daß die Arbeitgeberin hinreichend die Bereitschaft dokumentiert hat, diese Lohnsteuer dem Kläger noch zusätzlich zu dem zugeflossenen "Nettobetrag" zuzuwenden. Das Urteil des FG enthält hierzu keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG prüfen müssen, ob die Arbeitgeberin im Zeitpunkt der --freiwilligen oder zwangsweisen-- Auszahlung der in den Entscheidungen der Zivilgerichte als "netto" bezeichneten Beträge bereit und in der Lage gewesen ist, den ursprünglich vereinbarten Bruttolohn laut Anstellungsvertrag zu zahlen.
d) Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung über die Steuerfestsetzung ferner den vom Kläger gestellten Antrag auf Verteilung des im Streitjahr zugeflossenen Arbeitslohns gemäß § 34 Abs.3 EStG (in der im Streitjahr gültigen Fassung) zu beachten haben.
2. In dem Verfahren wegen Anrechnung von Lohnsteuer war die Vorentscheidung ebenfalls aufzuheben; die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz erlauben keine abschließende Beurteilung, ob und inwieweit das FG bei den in den Entscheidungsgründen der Urteile der Zivilgerichte als "netto" bezeichneten Beträgen die Anrechnung von Lohnsteuer zu Recht für gegeben erachtet hat.
a) Gemäß § 36 Abs.2 Nr.2 EStG wird die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer auf die Jahreseinkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfällt. "Erhoben" i.S. des § 36 Abs.2 Nr.2 EStG ist eine Abzugssteuer nur dann, wenn sie vom Abzugspflichtigen einbehalten worden ist. Erfüllt er --bewußt oder aus Unkenntnis-- seine Abzugspflicht nicht, entfällt die Anrechnung (vgl. Brenner in Kirchhof/Söhn, a.a.O., Rdnr.D 80). Lohnsteuer ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats immer dann anzurechnen, wenn sie als vom Arbeitnehmer entrichtet gelten muß, weil sie aus seiner Sicht vorschriftsmäßig einbehalten worden ist. Voraussetzung hierfür ist, daß entweder der Arbeitgeber die Lohnsteuer bei Auszahlung des dem Arbeitnehmer zustehenden Lohnes tatsächlich und vorschriftsmäßig einbehalten oder sie im Rahmen einer sog. Nettolohnvereinbarung übernommen hat (vgl. dazu Urteile in BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 186, vom 6.Dezember 1991 VI R 122/89, BFHE 166, 540, BStBl II 1992, 441, und in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, m.w.N.; Brenner in Kirchhof/Söhn, a.a.O., Rdnr.D 81 f.).
aa) Die Arbeitgeberin des Klägers hat von dem diesem aufgrund der Zivilgerichtsurteile zustehenden und ausgezahlten Lohn keine Lohnsteuer tatsächlich einbehalten. Dies ergibt sich aus dem Vergleich der dem Kläger durch die Urteile der Zivilgerichte zugesprochenen mit den ihm zugeflossenen Beträgen. Danach verbleibt kein Rest, der als einbehaltene Lohnsteuer angesehen werden kann. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht offenbar auf der unrichtigen Annahme, daß dem Kläger nach dem Anstellungsvertrag ein höherer als der von den Zivilgerichten letztlich zugesprochene Arbeitslohn zustehe. Dem widerspricht aber, daß die aus dem Anstellungsvertrag herrührende Verpflichtung zur Arbeitslohnzahlung für den hier interessierenden Zeitraum zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin streitig war und erst durch die Entscheidungen der Zivilgerichte verbindlich festgelegt worden ist.
bb) Da die Zivilgerichte die Arbeitgeberin --wie dargelegt (vgl. II.1.c aa)-- nicht zu Zahlungen an die Finanzbehörde verpflichtet haben, scheidet auch die Annahme einer von den Zivilgerichten angeordneten Nettolohnvereinbarung aus.
b) Die Möglichkeit der Anrechnung von als einbehalten geltender Lohnsteuer kommt jedoch in Betracht, soweit die Arbeitgeberin des Klägers im Zeitpunkt der Zahlung der in den Entscheidungsgründen der Urteile der Zivilgerichte als "netto" bezeichneten Beträge freiwillig bereit und in der Lage gewesen ist, den ursprünglich laut Anstellungsvertrag vereinbarten Bruttolohn zu zahlen und durch entsprechende Eintragungen im Lohnkonto den Willen dokumentiert hat, die auf den Bruttolohn entfallende Lohnsteuer tatsächlich einzubehalten. Das FG hat hierzu keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen.
c) Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, daß es --entgegen seiner bisherigen Handhabung-- nicht selbst in der Sache entscheiden, sondern das FA nur zum Erlaß eines Abrechnungsbescheides i.S. von § 218 Abs.2 Satz 1 AO 1977 verpflichten darf. Der Kläger hat wegen der Besonderheiten des Streitfalles für das FA erkennbar im Zusammenhang mit seinem Begehren auf Anrechnung von Lohnsteuer zugleich auch sinngemäß die Erteilung eines solchen Bescheides beantragt. Diesen Antrag hat das FA mit dem Versagen der Anrechnung stillschweigend abgelehnt. Die hiergegen --nach erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren-- gerichtete Klage des Klägers ist eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs.1 2.Alternative FGO); bei dieser findet nicht § 100 Abs.2 Satz 1 FGO, sondern § 101 FGO Anwendung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23.Januar 1992 V R 66/85, BFHE 167, 221, m.w.N.). Der Zulässigkeit der Klage gemäß § 44 Abs.1 FGO stand nicht entgegen, daß statt des Einspruchsverfahrens (vgl. dazu § 348 Abs.1 Nr.9 AO 1977) ein Beschwerdeverfahren durchgeführt wurde. Die rechtlichen Interessen der Verfahrensbeteiligten sind hierdurch nicht beeinträchtigt worden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17.Januar 1990 II R 97/85, BFHE 159, 354, BStBl II 1990, 448, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 64636 |
BFH/NV 1994, 4 |
BStBl II 1994, 182 |
BFHE 171, 515 |
BFHE 1994, 515 |
BB 1993, 2370 (L) |
DB 1994, 663 (L) |
DStR 1993, 1857 (K) |
DStZ 1994, 126 (KT) |
HFR 1994, 86 (LT) |
StE 1993, 627 (K) |