Leitsatz (amtlich)
Sind Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, so ist die Beiladung der Ehefrau zu einem vom Mann betriebenen Rechtsbehelfsverfahren jedenfalls dann nicht notwendig (§ 60 Abs. 3 FGO), wenn die Ehefrau keine eigenen Einkünfte hat und keine widerstreitenden Interessen der Eheleute erkennbar sind.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3
Tatbestand
Das FA veranlagte den Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer 1963, die ausschließlich auf Einkünften des Klägers beruhte. Es sandte den Eheleuten nicht zwei inhaltsgleiche getrennte Steuerbescheide, sondern - wie üblich - einen an beide gerichteten einheitlichen Steuerbescheid nach § 210 Abs. 2 AO zu. Dabei wich es von der Steuererklärung der Eheleute insofern ab, als es die beantragte Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG und den Härteausgleich nach § 70 EStDV versagte und statt einer Einkommensteuer von 1 579 DM eine solche von 1 740 DM festsetzte.
Der Einspruch der Eheleute hatte keinen Erfolg.
Mit der Berufung, die das FG als eine solche nur des Ehemannes auffaßte, war zunächst beantragt worden, die Steuerfestsetzung durch Gewährung der Tarifvergünstigung sowie durch Gewährung des Härteausgleichs zu ändern. In einer nach Inkrafttreten der FGO auf Veranlassung des FG von dem Steuerbevollmächtigten abgegebenen Erklärung wurde Aufhebung des Einkommensteuerbescheids beantragt.
Das FG entschied durch sein in EFG 1967, 14 veröffentlichtes Urteil:
"Der Einkommensteuerbescheid 1963 vom 19. August 1965 und die Einspruchsentscheidung vom 5. November 1965 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last."
In Übereinstimmung mit dem FA verneinte es die Voraussetzungen für eine Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG und stellte fest, daß der Kläger lediglich durch die Unterlassung des Härteausgleichs in seinen Rechten verletzt sei. Wegen dieser Rechtsverletzung aber, so führte das FG weiter aus, sei der Einkommensteuerbescheid als solcher, das heißt in seiner Gesamtheit, ein rechtswidriger Verwaltungsakt und daher nach § 100 Abs. 1 FGO ebenso wie die Einspruchsentscheidung, wie vom Kläger beantragt, aufzuheben. Sei aber der Steuerbescheid aufzuheben, so habe die Klage vollen Erfolg gehabt und das beklagte FA als der unterlegene Teil nach § 135 FGO die Kosten in voller Höhe zu tragen.
Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision, mit der das FA die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das FG beantragt, rügt, daß das FG den Steuerbescheid in vollem Umfange aufgehoben habe, statt ihn nur abzuändern, und daß die Kostenentscheidung insofern unrichtig sei, als die Kosten des Verfahrens zu 25/27 dem Kläger und nur im übrigen dem beklagten FA hätten auferlegt werden müssen. Außerdem wird gerügt, das FG habe die Ehefrau des Steuerpflichtigen zu Unrecht nicht ebenfalls als Klägerin behandelt. Wolle man dem nicht zustimmen, so hätte das FG die Ehefrau nach § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beiziehen müssen.
Der BdF ist dem Verfahren beigetreten. Zur Frage der Beiladung der Ehefrau vertritt er die Ansicht, eine solche sei zumindest dann nicht erforderlich, wenn der nichtklagende Ehegatte keine eigenen Einkünfte habe. In einem solchen Falle sei zwar eine Beiladung möglich und in der Regel auch zweckmäßig (§ 60 Abs. 1 FGO), nicht aber notwendig (§ 60 Abs. 3 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur abschließenden Entscheidung des Senats.
1. In dem die Zulässigkeit der Revision feststellenden Zwischenurteil des Senats ist am Schluß ausgeführt, das FG sei davon ausgegangen, daß lediglich der steuerpflichtige Ehemann Klage erhoben habe; die Vorentscheidung sei deshalb auch nur gegen ihn ergangen. Es stelle sich mithin die Frage nach der notwendigen Beiladung der Ehefrau, worüber der Senat im Endurteil entscheiden werde. Das FG hat den steuerpflichtigen Ehemann mit Recht im Urteil allein als Kläger behandelt. Es hätte allerdings im Tenor des Urteils zum Ausdruck bringen müssen, daß sich seine Entscheidung auf die Steuerfestsetzung gegen den Kläger beschränkt.
Die Ehefrau konnte mithin nur als Beigeladene am Verfahren beteiligt sein. Eine Beiladung ist nicht erfolgt. Es ist umstritten, ob bei einem Sachverhalt der vorliegenden Art ein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt. Der Senat ist der Ansicht, daß das nicht der Fall ist.
§ 60 Abs. 3 FGO (und entsprechend § 241 Abs. 3 AO n. F.) bestimmt, daß eine Beiladung dritter Personen erfolgen muß, wenn "die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann". Die Vorschrift ist damit weiter gefaßt als es unter der Geltung der AO bis zum 31. Dezember 1965 der Fall war. Denn in § 239 Abs. 3 AO a. F. war lediglich für Fälle der einheitlichen Gewinnfeststellung bestimmt, daß zur Einlegung von Rechtsmitteln befugte Mitberechtigte, die kein Rechtsmittel eingelegt hatten, zu dem Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zuzuziehen seien. Die dann im Rechtsmittelverfahren ergehende Entscheidung sollte ebenfalls - wie bei der einheitlichen Feststellung durch das FA - nur einheitlich getroffen werden können. Die Vorschrift wollte also Fälle erfassen, die im ursprünglichen Feststellungsbescheid einheitlich geregelt waren und die nun wegen der möglicherweise nur durch einzelne Beteiligte erfolgten Ausnutzung des Rechtsmittelzuges in Gefahr geraten konnten, die Einheitlichkeit einzubüßen. Ebenso war die Lage für Bescheide der in § 240 AO a. F. genannten Art, die gegen einen Rechtsnachfolger wirkten. Legte nur der Rechtsvorgänger oder nur der Rechtsnachfolger Rechtsmittel ein, so mußte der andere - falls möglich - beteiligt werden, und es konnte auch im Rechtsmittelverfahren nur eine einheitliche Entscheidung ergehen. Die Beteiligung erfolgte, weil die bisherige Feststellung einheitlich getroffen war. Nach § 60 Abs. 3 FGO (§ 241 Abs. 3 AO n. F.) dagegen soll eine Beteiligung erfolgen, wenn die Entscheidung den dritten Personen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese auf eine Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages zurückgehende (vgl. Bundestags-Drucksache IV 3523 S. 24 und Bundestags-Drucksache zu IV 3523 S. 7) Regelung stellt eine Anpassung an § 65 Abs. 3 VwGO dar. Noch in § 58 des Regierungsentwurfs zur FGO (Bundestags-Drucksache IV 1446) war in § 58 Abs. 3 kasuistisch geregelt, wann eine Beteiligung erfolgen mußte. Es waren das die genannten Fälle der §§ 239, 240 AO a. F. und die Fälle der Zerlegung und Zuteilung (bis dahin geregelt in §§ 384 ff. AO a. F.).
Es besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß mit dieser Anpassung an die VwGO eine wesentliche Abweichung von der bisherigen gesetzlichen Regelung beabsichtigt war. Vielmehr war nach wie vor an Fälle gedacht, in denen eine Entscheidung einheitlich erfolgt war und nur einheitlich erfolgen konnte und daher auch während des Rechtsmittelverfahrens einheitlich bleiben sollte. Darauf deutet auch die in § 65 VwGO nicht enthaltene Einfügung des § 60 Abs. 3 Satz 2 FGO hin, die sich auf das Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung bezieht und nach der schriftlichen Begründung des Rechtsausschusses die Regelung der VwGO den Bedürfnissen des Steuerrechts anpassen sollte. Wenn man auch die der VwGO nunmehr entsprechende und dabei im Wortlaut erweiterte Vorschrift nicht dahin wird einengen können, daß eine Beiladung nur dann notwendig ist, wenn früher im Gesetz ausdrücklich gesagt war, daß die Entscheidung nur einheitlich ergehen könne (vgl. §§ 239 Abs. 3 Satz 2 und 240 Abs. 2 Satz 3 AO a. F.), so muß ihre Anwendung doch nach der Entstehungsgeschichte und dem Sinn der Vorschrift auf ähnliche Fälle beschränkt werden, in denen die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere also in Fällen, in denen das, was einen Prozeßbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muß, wie es etwa bei einer anderen Gewinnverteilung im Wege der einheitlichen Gewinnfeststellung der Fall ist. In diesem Sinne hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und Literatur auch § 65 Abs. 2 VwGO aufgefaßt (vlg. z. B. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 65 Anm. 27).
Eine solche unmittelbare Einwirkung der zu fällenden Entscheidung liegt bei der Zusammenveranlagung von Eheleuten in der Regel nicht vor. Ein zusammenveranlagender Bescheid ist kein einheitlicher Bescheid, wie er etwa im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung ergeht. In Wirklichkeit handelt es sich um zwei zu einem gemeinsamen Bescheid zusammengefaßte Bescheide (vgl. das Urteil des BFH IV 27/58 U vom 11. März 1958, BFH 66, 556, BStBl III 1958, 212; Woerner, BB 1967, 241, mit weiteren Nachweisen in den Fußnoten 9 bis 12). Jeder Ehegatte kann den ihn betreffenden Bescheid mit Rechtsmitteln angreifen oder gegen sich gelten lassen. Es sind grundsätzlich in der Folgezeit verschiedene Entscheidungen möglich. Im übrigen hat ein Ehegatte noch im Vollstreckungsverfahren die Möglichkeit, nach § 7 Abs. 3 Satz 4 StAnpG eine Inanspruchnahme ganz oder zum Teil zu verhindern.
Der III. Senat des BFH hat in drei Fällen, in denen Ehegatten zusammen veranlagt worden waren, die Notwendigkeit einer Beiladung angenommen. Im Fall des Urteils III 96/62 vom 28. Januar 1966 (BFH 85, 327, BStBl III 1966, 327) lagen bei Streit über einen Aufteilungsbescheid nach § 66 LAG widerstreitende Interessen der Eheleute vor. Im Fall des Urteils III 342/63 vom 16. Dezember 1966 (BFH 87, 361, BStBl III 1967, 104) herrschte bei einem Antrag auf Herabsetzung der Vermögensabgabe (§ 55c LAG) Streit darüber, wem Vermögensstücke zuzurechnen waren. In einem anderen Falle (Urteil III 240/64 vom 2. August 1968, BFH 93, 492) ging es ebenfalls um die Zurechnung von Vermögensstücken. Derartige Fälle liegen hier, wo nur der steuerpflichtige Ehemann Einkünfte hatte und seine Interessen an einer niedrigeren Besteuerung mit denjenigen seiner Ehefrau gleichlaufen, nicht vor. Der Senat schließt sich jedenfalls in einem solchen Falle der vom FG Hamburg (EFG 1967, 518), vom FG Düsseldorf (EFG 1968, 467) und auch vom BdF vertretenen Ansicht an, daß ein Fall der notwendigen Beiladung nicht vorliegt. Auch der III. Senat des BFH hat in der nichtveröffentlichten Entscheidung III 260/63 vom 9. Februar 1968 klargestellt, daß er nur dann eine notwendige Beiladung annehme, wenn bei beiden Ehegatten entgegengesetzte Interessen vorlägen.
Ob eine Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO hätte erfolgen können und ob sie zweckmäßig gewesen wäre, braucht der Senat nicht zu prüfen, da eine dahin gehende Verfahrensrüge nicht erhoben worden ist.
2. Der Große Senat hat entschieden, daß das FG einen Verwaltungsakt entgegen der Ansicht des FG nicht nach freiem Ermessen in vollem Umfange aufheben darf, sondern in der Regel die Steuer selbst festsetzen und dabei die Kosten nach dem Ausmaß des Obsiegens bzw. Unterliegens verteilen muß. Auf die Begründung dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
Das FG hätte hier - und das ist auch die Ansicht des Großen Senats - die Steuer ohne weiteres festsetzen können und daher nach pflichtgemäßem Ermessen festsetzen müssen. Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat in diesem Sinne selbst abschließend entscheiden.
Das Urteil des FG ist hinsichtlich der Versagung der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG einerseits und der Gewährung des Härteausgleichs nach § 70 EStDV andererseits von keinem der Beteiligten angegriffen.
Fundstellen
Haufe-Index 412932 |
BStBl II 1969, 343 |
BFHE 1969, 148 |