Leitsatz (amtlich)
Erhalten Arbeitnehmer gesetzliche oder tarifvertragliche Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und (oder) Nachtarbeit, so können bei ihnen Zuschläge, die sie aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage (Betriebsvereinbarung, Einzelarbeitsvertrag) für die gleiche Arbeit noch zusätzlich erhalten, nicht nach § 34 a Abs. 2 EStG 1971 steuerfrei bleiben.
Normenkette
EStG 1971 § 34a Abs. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Steuerfreiheit von übertariflich gezahlten Nachtarbeitszuschlägen.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) gewährte ihren Gießereiarbeitern neben den durch Tarifvertrag vereinbarten 20 %igen Nachtarbeitszuschlägen weitere Schichtzuschläge von höchstens 10 DM pro Nachtschicht. Vom 1. Oktober 1970 bis 30. September 1971 wurden so nicht tarifvertraglich vereinbarte Zuschläge in Höhe von insgesamt 300 000 DM gezahlt. Diese wurden im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 15. Januar 1969 1 BvR 723/65 (BVerfGE 25, 101, BStBl II 1969, 253) steuerfrei belassen. Durch Haftungsbescheid vom 6. November 1971 hat der Beklagte und Revisionskläger (FA) u. a. die hierauf entfallende Lohnsteuer in Höhe von 70 500 DM und Kirchenlohnsteuer in Höhe von 4 935 DM von der Klägerin nacherhoben.
Die hiergegen gerichtete Sprungklage hatte Erfolg. Das FG war der Ansicht, die übertariflichen Zuschläge fielen nicht unter § 34 a Abs. 1 EStG 1971, weil diese Vorschrift nur die in einem Gesetz oder Tarifvertrag festgelegten Zuschläge erfasse. Sie fielen vielmehr unter § 34 a Abs. 2 EStG 1971, da sie zusätzlich zu den im maßgeblichen Tarifvertrag festgelegten Zuschlägen gewährt würden. Aus dem Wortlaut "Zuschläge, die in anderen Fällen ... gezahlt werden", ergebe sich ohne weiteres, daß Abs. 2 a. a. O. in den Fallgestaltungen anzuwenden sei, die nicht unter Abs. 1 a. a. O. fielen. Für die im Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 24. Mai 1971 (F IV B 6 - S 2370 - 13/71 II, BStBl I 1971, 313) vertretene gegenteilige Auffassung lasse sich aus dem Wortlaut nichts herleiten. Maßgeblich für die Auslegung sei der objektive Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und Sinnzusammenhang ergebe. Diese Auslegung führe im Streitfall auch zu einem sachgerechten und wegen des Gleichheitssatzes gebotenen Ergebnis. Denn tarifvertraglich gebundene Arbeitnehmer dürften nicht schlechtergestellt werden als tarifvertraglich nicht gebundene. Dies könne nur erreicht werden, indem man die tarifvertraglich gebundenen Arbeitnehmer in Fällen der vorliegenden Art in die Regelung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 miteinbeziehe. Die gezahlten Zuschläge hielten sich unstreitig insgesamt im Rahmen der in dieser Vorschrift gesetzten Grenzen. § 34 a EStG 1971 sei gem. § 52 Abs. 23 EStG 1971 auch auf die vor dem 1. Januar 1971 bezahlten Zuschläge anzuwenden, da der Haftungsbescheid insoweit noch nicht unanfechtbar geworden sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 34 a Abs. 1 EStG 1971. Es meint, nach dieser Vorschrift könnten im Streitfall nur die im Tarifvertrag dem Grunde und der Höhe nach festgesetzten Zuschläge steuerfrei bleiben, nicht aber die darüber hinausgehenden. § 34 a Abs. 2 EStG komme nur für Zuschläge in Betracht, die gezahlt würden, wenn kein Tarifvertrag vorliege. Diese Auslegung entspreche dem Willen des Gesetzgebers, der in dem Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages über vordringliche Änderungen auf dem Gebiet des Steuerrechts - Steueränderungsgesetz 1971, Bundestags(BT)-Drucksache VI/1477 - zum Ausdruck gekommen sei.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Die Anwendung des § 34 a EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung setzt voraus, daß die hierin enthaltenen Vorschriften mit dem GG vereinbar sind. Diese Vorfrage ist auch dann zu entscheiden, wenn der Senat die Voraussetzungen des Abs. 2 a. a. O. nicht für gegeben erachten sollte; denn auch diese Entscheidung beinhaltet eine Anwendung des § 34 a EStG 1971, und eine solche setzt die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Vorschrift voraus.
Der Senat hat im Urteil vom 28. Juli 1975 VI R 162/66 (BStBl II 1975, 820) entschieden, daß § 34 a EStG 1971 und die in § 52 Abs. 23 EStG 1971 angeordnete rückwirkende Anwendung des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Auf die dort gemachten Ausführungen wird Bezug genommen.
2. Entgegen der Auffassung des FG ist § 34 a Abs. 2 EStG 1971 im Streitfall nicht anwendbar.
Nach. der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Urteil vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 [312]; Beschluß vom 15. Dezember 1959 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234 [244]; Beschluß vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126 [131]) ist für die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder als ein Zweifel besteht, der auf dem angegegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden kann.
Die fragliche Vorschrift des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 betrifft "Zuschläge, die in" anderen Fällen "für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit ... gezahlt werden". Zur Klärung um welche anderen Fälle es sich handelt, ist § 34 a Abs. 1 EStG 1971 heranzuziehen. Dort wird die Behandlung der "gesetzlichen oder tarifvertraglichen Zuschläge" geregelt. Danach kann es sich bei den "anderen Fällen" des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 einerseits um Zuschläge handeln, die nicht durch Tarifvertrag oder durch Unterstellung unter einen Tarifvertrag oder durch Gesetz geregelt sind. Daraus würde folgen, daß übertarifliche Zuschläge zu den "anderen Fällen" gehören, weil sie nicht "tarifvertragliche" sind. Andererseits könnten mit den "anderen Fällen" auch die Lebenssachverhalte im ganzen gemeint sein, nämlich Fälle, in denen eine bestimmte Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit geleistet wird, ohne daß für diese Arbeit Zuschläge im Sinn des Abs. 1 a. a. O. gezahlt werden.
Der Senat ist der Auffassung, daß letztere Auslegung zutreffend ist. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte. Sie ist bei dieser Vorschrift mit völliger Eindeutigkeit zu verfolgen: § 34 a Abs. 2 EStG 1971 geht auf den Beschluß des BVerfG 1 BvR 723/65 zurück. Die alte Fassung des § 34 a EStG verstieß nach Auffassung des BVerfG gegen den Gleichheitssatz, weil sie die nichttarifvertraglich gebundenen Arbeitnehmer benachteiligte. Das BVerfG hat ausgesprochen, der Gesetzgeber sei gehalten, diese Ungleichheit zu beseitigen. Der Gesetzgeber hat dann durch die neue Vorschrift des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 die Steuerfreiheit der Zuschläge auf tarifvertraglich nicht gebundene Arbeitnehmer ausgedehnt. Aus der Entstehungsgeschichte ist sonach zu entnehmen, daß Abs. 1 a. a. O. für die tariflich gebundenen, Abs. 2 a. a. O. für die tariflich nicht gebundenen Arbeitnehmer gelten sollte. Abs. 2 a. a. O. sollte die Arbeitnehmer, die keine tarifvertraglichen Zuschläge erhalten, im Gegensatz zur bisherigen Regelung in die Vergünstigung einbeziehen, nicht aber bei Arbeitnehmern, die schon tarifvertragliche Zuschläge steuerfrei beziehen, d a n e b e n für die gleiche Arbeit aufgrund anderer Rechtsgrundlage (Betriebsvereinbarung, Einzelarbeitsvertrag) gezahlte Zuschläge steuerfrei stellen und hiernach eine neue Ungleichmäßigkeit herbeiführen.
Diese Auffassung wird auch dadurch bestätigt, daß auf Antrag des Finanzausschusses des Bundestages (BT-Drucksache 7/591 S. 5) § 34 a Abs. 1 EStG durch das Steueränderungsgesetz 1973 vom 26. Juni 1973 (BGBl I 1973 S. 676, BStBl I 1973, 545) durch Anfügung eines Satzes erweitert wurde, durch den nach der Begründung klargestellt wird (BT-Drucksache 7/592 S. 7), daß in den Fällen, in denen ein Arbeitgeber andere - insbesondere höhere - Zuschläge zahlt, als im Gesetz oder Tarifvertrag festgelegt sind, die Zuschläge bis zur gesetzlich oder tarifvertraglich vorgesehenen Höhe im Rahmen des Abs. 1 a. a. O. steuerfrei bleiben und nicht nach § 34 a Abs. 2 EStG zu beurteilen sind. Der Senat ist mit dem Finanzausschuß des Bundestages der Auffassung, daß die Neufassung lediglich eine Klarstellung der schon bislang geltenden Rechtslage darstellt.
Danach hat das FG im Streitfall, in dem tarifvertragliche Zuschläge gezahlt wurden, zu Unrecht die für die gleiche Nachtarbeit über die tarifvertraglichen hinaus gezahlten Zuschläge nach § 34 a Abs. 2 EStG 1971 als steuerfrei betrachtet. Darauf, ob die Summe der bezeichneten Zuschläge innerhalb der Höchstgrenzen des § 34 a Abs. 2 EStG 1971 bleibt, kommt es nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 71536 |
BStBl II 1975, 824 |
BFHE 116, 376 |
BFHE 1976, 376 |