Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Antrag, die Steuer nach § 131 AO aus Billigkeitsgründen zu erlassen, kann, wenn ein rechtskräftiger Steuerbescheid vorliegt, grundsätzlich nicht dazu führen, die Rechtslage und damit die Richtigkeit des Steuerbescheides erneut zu prüfen. Eine Ausnahme kann nur dann in Betracht kommen, wenn die Rechtslage eindeutig fehlerhaft ist.
Ein Treuhänder, der Anteile an einer GmbH für einen Treugeber besitzt, ist zur übertragung auf den Treugeber erst dann verpflichtet, wenn der Treugeber es "verlangt". Stellt der Treugeber dieses Verlangen, so wird die bedingte übertragungsverpflichtung des Treuhänders zu einer unbedingten. In diesem Zeitpunkt entsteht die Steuerschuld (ß 3 Abs. 5 Ziff. 5 Buchst. a StAnpG i. d. F. des § 19 GrEStG vom 29. März 1940). Dem Urteil des Reichsfinanzhofs II 140/42 vom 18. Februar 1943 (RStBl 1943 S. 473, Slg. Vd. 53 S. 1) sowie dem Urteil des Senats II 99/57 U vom 2. September 1959 (BStBl 1959 III S. 433, Slg. Bd. 69 S. 462) wird beigetreten.
GrEStG § 1 Abs. 1 Ziff. 1; AO § 131; StAnpG § 3 Abs. 5 Ziff. 5 Buchst. a i. d. F. des § 19 GrEStG vom
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Ziff. 1; AO § 131; StAnpG § 3/5/5/a
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 3. Oktober 1950 wurde die X.-GmbH ("GmbH") gegründet. Das Stammkapital betrug 30.000 DM. Gründer waren:
die Bfin., eine AG, mit 25.000 DM. Ihre Einlage leistete sie in Höhe von 5.000 DM in bar. In Höhe von 20.000 DM brachte sie vier unbebaute Grundstücke in die GmbH ein; dieser Wert entsprach dem Einheitswert der Grundstücke;
der Rechtsanwalt Y. in Höhe von 5.000 DM. Dieser verpflichtete sich in einem ebenfalls am 3. Oktober 1950 abgeschlossenen privatschriftlichen Treuhandvertrag, seinen Stammanteil, den er aus einem von der AG zur Verfügung gestellten Betrag in Höhe von 5.000 DM geleistet hatte, jederzeit auf Verlangen der AG, frühestens nach Ablauf eines Jahres, an diese abzutreten.
Durch notariell beurkundete Vereinbarung vom 13. August 1952 übertrug Y. seinen Anteil auf die AG, so daß diese nunmehr sämtliche Anteile an der GmbH in ihrem Besitz hatte. In der Zwischenzeit hatte aber die GmbH auf den von der AG eingebrachten Grundstücken Wohngebäude für die Gefolgschaft der AG errichtet. Der Einheitswert für die bebauten Grundstücke, deren Einheitswert im Zeitpunkt der Errichtung der GmbH (vor der Bebauung) 20.000 DM betrug, war zum 1. Januar 1952 auf 346.100 DM fortgeschrieben worden.
Das Finanzamt erblickte in dem Vertrag vom 13. August 1952 einen Rechtsvorgang, durch den alle Anteile an der GmbH gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 GrEStG in einer Hand vereinigt wurden, und setzte die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung der fortgeschriebenen Einheitswerte auf 24.227 DM fest.
Der Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 4. September 1954 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung wurde vor der Vorlage der Akten an das Finanzgericht zurückgenommen (Scheiben der Bfin. vom 14. Februar 1955). Die Bfin. hatte mittlerweile einen Antrag auf Erlaß der Grunderwerbsteuer gestellt, war jedoch von der zuständigen Oberfinanzdirektion dahingehend beschieden worden, daß über den Erlaßantrag erst nach Rechtskraft des Steuerbescheides entschieden werden könne.
Am 21. Februar 1955 beantragte die Bfin., die Steuer aus Billigkeitsgründen nur aus dem Einheitswert der unbebauten Grundstücke (7 v. H. aus 20.000 = 1.400 DM) zu erheben und die Restschuld (= 22.827 DM) zu erlassen. Der Antrag wurde von der Oberfinanzdirektion durch Verfügung vom 3. Juni 1955 abgelehnt. Die Oberfinanzdirektion wiederholte in ihrem Ablehnungsschreiben im wesentlichen den Inhalt einer Entschließung des zuständigen Ministeriums der Finanzen vom 25. Mai 1955, dem sie den Erlaßantrag zugeleitet hatte. Das Ministerium hatte sich auf den Standpunkt gestellt, daß weder der Umstand, daß die GmbH die Errichtung sozialer Wohnungsbauten bezwecke, noch die Tatsache, daß eine Steuer in der festgesetzten Höhe nur durch eine ungünstige rechtliche Gestaltung entstanden war, einen Erlaß rechtfertigen könnten; gegen eine Billigkeitsmaßnahme sprächen auch die günstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bfin.
Im Berufungsverfahren führte die Bfin. im wesentlichen aus: Sie habe die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung vom 4. September 1954 nur zurückgenommen, weil ihr der zuständige Sachbearbeiter bei einer Besprechung erklärt habe, daß die Durchführung des Rechtsmittels im Hinblick auf die Normenstrenge des GrEStG ohne Erfolg sein werde und die unbillige Härte nur durch einen Billigkeitserlaß beseitigt werden könne. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben habe sich die Bfin. auf diese amtliche Empfehlung verlassen können; wenn dieser Auskunft auch keine Rechtsverbindlichkeit zukomme, so sei dies doch ein Grund für eine Billigkeitsmaßnahme. Die Einwendungen richteten sich nicht gegen die Steuerfestsetzung als solche, sondern gegen die Auffassung des Ministeriums der Finanzen, wonach für eine Billigkeitsmaßnahme im vorliegenden Falle kein Anlaß bestehe. Der Ermessensfehler liege darin, daß die Verwaltung innerhalb der ihr gezogenen Grenzen der Ermessensausübung die Grundsätze der Billigkeit und Zweckmäßigkeit nicht beachtet habe.
Die Berufung war erfolglos. Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurde durch einstimmigen Gerichtsbeschluß zurückgewiesen (ß 272 Satz 2 der AO), weil das Finanzgericht den Sachverhalt als genügend geklärt ansah.
Entscheidungsgründe
Auch die Rb. ist unbegründet.
I. - Nach dem Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) können gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes u. a. gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen, die einen Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO zum Gegenstand haben, die Steuergerichte (Finanzgerichte und Bundesfinanzhof) angerufen werden, wenn geltend gemacht wird, daß derartige Beschwerdeentscheidungen gegen Recht und Billigkeit verstoßen. Entsprechend dem Gutachten des Großen Senats ist seitens aller Senate des Bundesfinanzhofs in ständiger Rechtsprechung verfahren worden.
Die Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen sind Ermessensentscheidungen. Dies gilt auch, soweit es sich um den Begriff "unbillig" im § 131 Abs. 1 Satz 1 AO handelt. Auf die Grundsatzentscheidung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs VII 51/61 S vom 8. Mai 1962 (BStBl 1962 III S. 290) wird Bezug genommen.
Die Steuergerichte haben hiernach bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen die Grenzen zu beachten, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber bei der Ermächtigung zu Ermessensentscheidungen - also auch im Fall des § 131 AO - den Finanzverwaltungsbehörden einen gewollten Spielraum (Ermessensgrenzen) läßt, innerhalb dessen sie die Entscheidung nach ihrem eigenen pflichtgemäßen Ermessen treffen können. Soweit die Entscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden innerhalb der Ermessensgrenzen liegen, sind sie rechtmäßig, auch wenn im einzelnen Fall eine andere Entscheidung vertretbar wäre. Eine überschreitung der Ermessensgrenzen ist nur dann gegeben, wenn der Ermessensakt unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Hand und der Steuerpflichtigen mit den Grundsätzen der Billigkeit unvereinbar ist. Es kommt also nur darauf an, ob die angefochtene Entscheidung getroffen werden konnte, nicht aber darauf, ob sie so, wie sie ergangen ist, ergehen mußte.
II. - Ein Antrag, die Steuer nach § 131 AO aus Billigkeitsgründen zu erlassen, kann, wenn ein rechtskräftiger Steuerbescheid vorliegt, grundsätzlich nicht dazu führen - darauf laufen die Ausführungen der Bfin. im Ergebnis hinaus -, die Rechtslage und damit die Richtigkeit des Steuerbescheids erneut zu prüfen. Eine Ausnahme könnte nur dann in Betracht kommen, wenn die Festsetzung der Steuer eindeutig fehlerhaft wäre.
Diese Voraussetzung ist jedoch im Streitfall nicht gegeben; vielmehr ist die Steuer zu Recht festgesetzt worden. Die der Bfin. durch den zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamts erteilte Auskunft war also richtig. Damit erübrigt sich eine Stellungnahme zu den Ausführungen der Bfin., die davon ausgehen, daß die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 4. September 1954 und die vom Sachbearbeiter des Finanzamts erteilte Auskunft unrichtig waren.
Vorsorglich sei bemerkt: Das von der Bfin. wiederholt angeführte Urteil II 35/56 U vom 19. Dezember 1956 (BStBl 1957 III S. 108, Slg. Bd. 64 S. 284) betrifft einen vom Streitfall abweichend gelagerten, in den veröffentlichten Entscheidungsgründen nicht unmißverständlich wiedergegebenen Sachverhalt. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem der Treugeber das Verlangen auf Eigentumsübertragung stellt. Auf das Urteil des Reichsfinanzhofs II 140/42 vom 18. Februar 1943 (RStBl 1943 S. 473, Slg. Bd. 53 S. 1) wird hingewiesen. In diesem Urteil wird ausgeführt, daß der Treuhänder nach § 667 BGB verpflichtet sei, dem Auftraggeber (d. h. dem Treugeber) alles, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat, herauszugeben. Der Treuhänder sei somit auch verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück (hier den Anteil an der GmbH) dem Treugeber zu übertragen. Im Wesen des Treuhandverhältnisses sei es jedoch begründet, daß der Treuhänder zur übertragung erst dann verpflichtet sei, wenn der Treugeber es verlangt. Stelle der Treugeber dieses Verlangen, so werde die bedingte übertragungsverpflichtung des Treuhänders zu einer unbedingten; in diesem Zeitpunkt entstehe die aus § 1 Abs. 1 Ziff. 1 GrEStG herzuleitende Steuerpflicht bezüglich der Auflösung des Treuhandverhältnisses (ß 3 Abs. 5 Ziff. 5 Buchst. a des Steueranpassungsgesetzes in der Fassung des § 19 GrEStG vom 29. März 1940). Siehe auch das Urteil des Senats II 99/57 U vom 2. September 1959 (BStBl 1959 III S. 433, Slg. Bd. 69 S. 462). Das "Verlangen" ist im Streitfall erst am 13. August 1952 - also nach Errichtung der in Betracht kommenden Gebäude - gestellt worden. Stichtag für die Besteuerung ist somit der 13. August 1952.
Daß der Anteil von 5.000 DM der Bfin. vor dem 13. August 1952 schon wirtschaftlich gehörte, beeinflußt die Entscheidung nicht. Es genügt, daß zivilrechtlich eine Vereinigung aller Anteile stattfand.
III. - Bei Anwendung der im Abschnitt I dargelegten Rechtsgrundsätze kann in der ablehnenden Entscheidung der Oberfinanzdirektion kein Fehlgebrauch des Ermessens gesehen werden. Es ist bei dem Charakter der Grunderwerbsteuer als einer Rechtsverkehrsteuer grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Finanzverwaltungsbehörden die Möglichkeit eines Erlasses aus Billigkeitsgründen - abgesehen von dem hier nicht zutreffenden Fall einer sonstigen vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte - grundsätzlich nur dann als gegeben ansehen, wenn die Grundstückserwerber als Steuerschuldner durch die Entrichtung der Steuer wirtschaftlich gefährdet werden würden. Die Billigkeitsvorschrift des § 131 AO kann nicht dazu dienen, eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift zu ersetzen. Siehe dazu auch das Urteil des Senats II 144/55 vom 13. Februar 1957 ("Die Aktiengesellschaft" 1957 Nr. 8 S. 184; "Gemeinnütziges Wohnungswesen" 1958 Heft 8 S. 255; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung n. F. § 131 Rechtsspruch 14). Eine die Existenz der Bfin. gefährdende Notlage war im Streitfall - unbestritten - nicht gegeben.
Nach alledem hat das Finanzgericht in der Entscheidung der Oberfinanzdirektion einen Ermessensmißbrauch nicht erblickt; Rechtsverstöße oder Verstöße wider den klaren Inhalt der Akten sind nicht festzustellen (ß 288, § 296 AO). Es kommt, um es zu wiederholen, bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen nicht darauf an, ob die Steuergerichte, wenn sie selbst zu entscheiden hätten, zu der gleichen Entscheidung wie die Oberfinanzdirektion gekommen wären, sondern nur darauf, ob die Oberfinanzdirektion unter Berücksichtigung aller Umstände zu ihrer Entscheidung kommen konnte. Dieser Fall ist gegeben.
IV. - Auch Gründe besonderer Art rechtfertigen einen Billigkeitserlaß nicht.
Die Grunderwerbsteuer ist eine Rechtsverkehrsteuer; eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ist somit grundsätzlich nicht möglich. Das gilt auch für die Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG. Daß der Anteil der Bfin. von vornherein wirtschaftlich gehörte und die Mittel zum Erwerb des Anteils von ihr herrührten, ist grunderwerbsteuerlich nicht von Bedeutung.
Ebenso kann es nicht darauf ankommen, daß die Bfin., wenn sie mit der Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG gerechnet hätte, vielleicht Wege gefunden haben würde, die Besteuerung zu verhindern oder die Steuer der Höhe nach zu verringern. Es ist nicht entscheidend, welche Wege die Bfin. auch wählen konnte, sondern nur, welchen Weg sie tatsächlich gewählt hat.
Daß der Sachbearbeiter des Finanzamts der Bfin. versprochen hatte, den Antrag auf Billigkeitserlaß zu befürworten, was aber später infolge seines Urlaubs nicht geschah, kann die Rb. gleichfalls nicht rechtfertigen, da die bezeichnete Erklärung nicht die verbindliche Zusicherung eines Billigkeitserlasses enthält. Siehe dazu das Urteil des VI. Senats des Bundesfinanzhofs VI 269/60 S vom 4. August 1961 (BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813). Es steht nicht fest, daß die unterbliebene Befürwortung auf den Berichtsvorschlag des Finanzamts und die hier angefochtene Entscheidung der Oberfinanzdirektion überhaupt Einfluß hatten. Selbst wenn der Sachbearbeiter den Antrag auf Billigkeitserlaß befürwortet hätte, kann nicht bereits gefolgert werden, daß sich der Sachgebietsleiter und der Vorsteher des Finanzamts der Befürwortung angeschlossen hätten. Ebenso waren sowohl die Oberfinanzdirektion als auch das Ministerium der Finanzen durch eine Befürwortung nicht gehindert, davon abweichend zu entscheiden.
Die Rb. war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1963, 150 |
BFHE 1963, 409 |
BFHE 76, 409 |
StRK, GrEStG:1 R 109 |