Leitsatz (amtlich)
Einnahmen sind auch dann in einem Kalenderjahr i. S. von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen, wenn noch in demselben Kalenderjahr wegen eines diese Einnahmen betreffenden Herausgabeanspruchs nach § 667 BGB entsprechende Beträge gepfändet wurden, eine Überweisung aber nicht stattfand und die Beträge erst später an den Gläubiger gezahlt wurden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3 S. 2, § 11 Abs. 1 S. 1; StAnpG § 5 Abs. 4-5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) führte für die Firma L, seine damalige Arbeitgeberin, Verhandlungen über die Vergabe von Aufträgen. Er bezog sog. Beratungshonorare von verschiedenen Firmen, die sich um Aufträge seiner Arbeitgeberin bemühten. Wegen eines Betrages von 125 000 DM, den der Kläger von der Firma H-KG für Beratungen vereinnahmt hatte, wies er in der Anlage zu seiner Einkommensteuererklärung 1966 darauf hin, es stehe noch nicht fest, ob dieser Betrag dem Kläger verbleibe oder an die Firma L weitergegeben werden müsse. Die Firma L sah den in Rede stehenden Betrag als. Schmiergeld an und forderte vom Kläger die Zahlung dieser und anderer von ihm vereinnahmter Beratungshonorare. Sie erwirkte über eine Teilforderung von 201 000 DM, in der die fraglichen 125 000 DM enthalten waren, am 23. Dezember 1966 vor dem Arbeitsgericht - ArbG - einen Arrest- und Pfändungsbeschluß. Eine Überweisung an die Firma L ist im Jahre 1966 nicht erfolgt. Im Wege des Vergleichs vom 27. April 1967 vor dem Landesarbeitsgericht - LAG - wurde die hierin ausgesprochene Pfändung der Postscheckguthaben des Klägers durch eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft und andere Sicherheiten abgewendet. Am 23. August 1968 schlossen der Kläger und die Firma L vor dem LAG in der Hauptsache einen Vergleich, in dem sich der Kläger u. a. verpflichtete, den Betrag von 125 000 DM, den er von der Firma H-KG empfangen hatte, an die Firma L abzuführen. Auf Antrag des Klägers hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Einkommensteuerbescheid 1966 für vorläufig erklärt. Das FA sah die Zahlung der 125 000 DM als steuerpflichtigen Zufluß des Klägers im Jahre 1966 an und erklärte die Veranlagung 1966 am 13. Februar 1970 für endgültig.
Die hiergegen erhobene Sprungklage wies das FG mit der Begründung ab, der genannte Betrag sei dem Kläger 1966 zugeflossen. Ein Abfließen von Ausgaben sei weder in der Pfändung des Postscheckkontos des Klägers noch in der Beschaffung und Hergabe der selbstschuldnerischen Bankbürgschaft zu sehen. Auch nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise habe nicht die Firma L, sondern der Kläger die 125 000 DM vereinnahmt. Wegen ihrer subsidiären Natur müßten die Vorschriften des § 5 Abs. 1 und 5 StAnpG hinter § 11 EStG zurücktreten. Bei dem der Zahlung der 125 000 DM zugrunde liegenden Rechtsgeschäft handele es sich weder um ein Scheingeschäft noch um einen anfechtbaren Vertrag. Selbst wenn man den Betrag als durch das Vermögen des Klägers durchgeflossen ansehe, könne sich dies nicht zu seinen Gunsten auswirken, da § 11 EStG in Verbindung mit der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG eine gesetzliche Typisierung darstelle. Unzutreffend sei die Ansicht des Klägers, im Streitfall werde der gleiche wirtschaftliche Tatbestand zweimal zur Einkommensteuer herangezogen. Der Kläger könne die Zahlung an die Firma L aus dem Vergleich vor dem LAG als negative Einnahme im Zeitpunkt des Abschlusses (1968) wieder von seinen steuerlichen Einkünften absetzen.
Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, da es nicht geprüft habe, auf welchen Überlegungen der auf Vorschlag des LAG zwischen dem Kläger und der Firma L am 23. August 1968 geschlossene Vergleich beruht habe. Nach Auffassung des LAG sei es zweifelhaft, ob sich der Kläger "Schmiergelder" zugeeignet habe. Ferner habe das FG klären müssen, daß der Kläger 1968 außerstande gewesen sei, Zahlungen an die Firma L abzusetzen. Im übrigen seien die Vorschriften der §§ 2, 4 EStG, § 1 StAnpG und des Art. 3 Abs. 1 und des Art. 14 Abs. 1 GG durch die Vorentscheidung verletzt. Der Betrag von 125 000 DM habe von Anfang an der Firma L zugestanden. Durch deren Pfändung sei dieser Betrag bereits 1966 seiner - des Klägers - Disposition entzogen worden. Daß die Firma L den Betrag erst 1968 in ihrer Bilanz ausgewiesen habe, dürfe sich nicht zu seinem Nachteil auswirken. Nach wirtschaftlicher Betrachtung habe er nicht die Verfügungsmacht erlangt, sondern der Betrag sei bei ihm "durchgeflossen". Wegen des 1966 ausgebrachten Arrestes habe der Kläger über die von der Firma H-KG gezahlten Gelder nicht verfügen können; schon im Jahre 1966 sei zweifelhaft gewesen, ob sie dem Kläger zugestanden hätten. Erst später habe sich herausgestellt, daß das nicht der Fall gewesen sei. Daher müsse bei wirtschaftlicher Betrachtung der Eingang der Gelder zumindest rückwirkend als beseitigt angesehen werden. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und der Billigkeit seien derartige Beträge als durchlaufende Posten (§ 4 Abs. 3 Satz 2 EStG) anzusehen. § 5 Abs. 4 und 5 StAnpG sei zumindest analog anzuwenden.
Der Kläger ist ferner der Ansicht, die Heranziehung seiner Einnahmen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 125 000 DM verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da eine Einzelfirma in seinem Fall den Posten wegen der Pfändung hätte passivieren oder eine Rückstellung hätte bilden können. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse die für ihn nachteilige Typisierung des § 11 EStG zurücktreten, zumal der Kläger durch eine Besteuerung des fraglichen Betrages in seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt würde.
Der Kläger beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Jahres 1966 von 77 954 DM um 125 000 DM zu vermindern;
hilfsweise beantragt er, die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der streitige Betrag von 125 000 DM dem Kläger im Veranlagungszeitraum 1966 zugeflossen ist. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, die nach den Feststellungen des FG im Streitfall vorliegt, kommt es auf die tatsächlich zugeflossenen Einnahmen an. Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (Urteile des BFH vom 2. November 1962 VI 284/61 S, BFHE 76, 270, BStBl III 1963, 96, vom 13. Mai 1964 VI 265/62, StRK, Einkommensteuergesetz § 11, Rechtsspruch 55, und vom 17. Mai 1964 I 372/60, StRK, Einkommensteuergesetz § 4, Rechtsspruch 691). Hier ist nach den Feststellungen des FG das Beratungshonorar von 125 000 DM dem Kläger im Jahre 1966 zugeflossen, denn er hat diesen Betrag - wie er selbst zuletzt in seiner Revisionsbegründungsschrift vom 20. Januar 1972 (Seite 7) ausführt - als sein Einkommen von der Firma H-KG in Empfang genommen. Da er die Zahlung also nicht für die Firma L, sondern für sich selbst in Anspruch genommen hat, ist sie in seine persönliche Verfügungsgewalt gelangt und nicht etwa seiner - nach Auffassung des ArbG gemäß § 667 BGB herausgabeberechtigten - Auftraggeberin mit steuerrechtlicher Wirkung zugeflossen. Daran ändert es auch nichts, wenn der streitige Betrag später, aber noch im Jahre 1966, von einem Arrest- und Pfändungsbeschluß erfaßt und dieser im Streitjahr vollzogen wurde, denn bei der Einnahmeüberschußrechnung kommt es nur auf die tatsächliche Einnahme in dem zu veranlagenden Kalenderjahr an. Der Zufluß des Geldes beim Kläger in 1966 war - wie das FG richtig ausführt - gerade die Voraussetzung, daß es gepfändet bzw. der dingliche Arrest wirksam ausgebracht werden konnte. Pfändung und Arrest sind im vorliegenden Fall nachträgliche Beeinträchtigungen der Verfügungsmacht des Klägers, die aber die Tatsache des Zuflusses nicht berühren und wiederum keinen Abfluß im Jahre 1966 bedeuten. Nach § 11 Abs. 2 EStG sind Ausgaben nur für das Kalenderjahr absetzbar, in dem sie "geleistet" worden sind; die Pfändung fällt nicht darunter und bewirkt für sich allein noch keinen Abfluß (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl. 1974, § 11 EStG, Anm. 75 unter "Verpfändung").
Ein Zufluß von Einnahmen ist auch in den Fällen anzunehmen, in denen - wie im vorliegenden Fall - noch nicht zweifelsfrei feststeht, ob die Einnahmen dem Empfänger endgültig verbleiben oder ob sie (bzw. ein Teil von ihnen) an eine andere Person weitergegeben werden müssen. Die weitergegebenen Beträge sind erst im Jahr ihres Abfließens abzugsfähig. Wie sich aus den insoweit auch für den Streitfall geltenden Grundsätzen des BFH-Urteils vom 22. November 1962 IV 179/59 U (BFHE 76, 358, BStBl III 1963, 132) ergibt, wird die Tatsache des Zuflusses nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Kläger die von ihm vereinnahmten Gelder als ihm möglicherweise nicht zustehend ansah. Auch Einnahmen, die später ganz oder teilweise zurückgewährt oder weitergegeben werden müssen, unterliegen der Besteuerung im Jahr der Vereinnahmung. Eine andere Beurteilung ist z. B. gerechtfertigt, wenn die Beträge als Fremdgelder empfangen werden; ihr Eingang ist kein Zufluß einer Einnahme, die Weitergabe kein Abfluß einer Ausgabe. Der Kläger vertritt jedoch zu Unrecht die Auffassung, es handele sich bei den 125 000 DM um durchlaufende Posten i. S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG, denn er hat sie nicht - worauf bereits hingewiesen wurde - im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt. Daß die Einnahmen des Jahres 1966 in einem späteren Jahr (1968) zurückgezahlt werden mußten und auch zurückgezahlt wurden, kann nicht schon für das Jahr 1966, in dem sie zugeflossen sind, berücksichtigt werden. Die vom FA vorgenommene Art der Einkunftsermittlung, wie sie im Streitfall anzuwenden ist, entspricht daher dem geltenden Recht (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1963 VI 287/62, StRK, Einkommensteuergesetz § 9 Satz 1 und 2, Rechtsspruch 254, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964 S. 119); daher liegt auch weder eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG noch ein Eingriff in das gemäß Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsmäßig geschützte Eigentumsrecht vor. Eine "Enteignung" nach dem Vortrag des Klägers wird nicht dadurch herbeigeführt, daß die Anerkennung der Rückzahlungsbeträge im Jahre 1968 sich steuerlich mangels entsprechender Einnahmen nicht so günstig auswirkt wie 1966 (vgl. BFH-Urteil I 372/60). Deshalb ist auch die Rüge des Klägers, das FG habe die spätere steuerliche Auswirkung bei der Rückzahlung des in Rede stehenden Betrages nicht genügend aufgeklärt, unbegründet. Auf das steuerliche Ergebnis bei der Zurechnung zu einem Veranlagungszeitraum kommt es nicht an.
Stellt sich später heraus, daß der Kläger den ihm zunächst zugeflossenen Betrag nicht endgültig behalten darf, sondern herauszahlen muß, so ist es der spätere Rückzahlungsvorgang in dem späteren Veranlagungszeitraum nach der den Vorschriften des § 5 StAnpG vorangehenden Systematik des § 11 EStG zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184). In dieser Entscheidung ist dargetan, daß auch die Vorschriften des § 5 Abs. 4 und 5 StAnpG nicht, auch nicht analog - wie der Kläger meint - anzuwenden sind, da die Rückzahlung in einem späteren Jahr den Zufluß in einem früheren nicht aufhebt. Die Voraussetzungen der vom Kläger genannten Bestimmungen liegen daher nicht vor, wie das FG zutreffend ausgeführt hat. Unabhängig davon, ob die 125 000 DM als Schmiergelder oder Beratungshonorare anzusehen sind, liegt weder ein anfechtbares Rechtsgeschäft (§ 5 Abs. 4 StAnpG) noch der Fall vor, daß ein Rückgängigmachen von Geschäftsvorfällen steuerrechtlich beachtlich wäre (§ 5 Abs. 5 StAnpG). Auf den im Jahre 1968 vor dem LAG geschlossenen Vergleich kommt es für die Frage des Zuflusses im Streitjahr ebensowenig an wie auf die Überlegungen des LAG, das - wie der Kläger in seiner Revisionsbegründung ausführt - bestimmte Vorstellungen über die Veranlassung der Zahlungen durch die Firma H-KG erkennen ließ und diese nicht unbedingt als "Schmiergelder" ansah. Daher ist insoweit die Rüge mangelnder Sachaufklärung des FG in diesem Punkt unbegründet. Soweit der Kläger zum Sachverhalt neue Tatsachen vorbringt, können diese im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO). Im übrigen entspricht seine Darstellung im wesentlichen dem vom FG dargestellten Sachverhalt, der keine andere als die in der Vorentscheidung getroffene rechtliche Beurteilung rechtfertigt.
Fundstellen
Haufe-Index 71515 |
BStBl II 1975, 776 |
BFHE 1975, 559 |