Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Finanzbehörden haben den in § 17 Abs. 2 VwZG vorgesehenen Nachweis des Zugangs eines Schriftstücks an den Steuerpflichtigen und des Zeitpunktes des Zugangs nur zu führen, wenn den Umständen nach ernstliche Zweifel an dem Zugang binnen drei Tagen nach Postaufgabe möglich sind. Der Senat tritt dem Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs I 257/61 U vom 19. Juni 1962 (BStBl 1962 III S. 377) insoweit bei.
Welche Umstände können ernstliche Zweifel an dem Zugang auslösen?
Normenkette
VwZG § 17 Abs. 2
Tatbestand
Der Steuerausschuß beim Finanzamt verwarf den Einspruch des Bf. als unzulässig, weil der Einspruch beim Finanzamt, das den Steuerbescheid am 13. Mai 1959 zur Post gegeben hatte, erst am 19. Juni 1959, also um drei Tage verspätet, eingegangen war.
Auf die Berufung kam das Finanzgericht nach Einholung einer Auskunft des zuständigen Postamts ebenfalls zu der überzeugung, daß der Einspruch zu spät eingelegt und Nachsichtsgründe für die Fristversäumnis nicht gegeben seien. Es wies die Berufung deshalb als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Steuerpflichtigen führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Einspruchsentscheidung.
Nach § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl 1952 I S. 379, BStBl 1952 I S. 615) gilt bei Zusendung durch einfachen Brief die Bekanntgabe mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Das Finanzgericht stellte in tatsächlicher Hinsicht auf Grund der von ihm eingeholten Auskunft des Postamtes fest, daß der Steuerbescheid dem Bf. innerhalb der Dreitagesfrist des § 17 Abs. 2 VwZG zugegangen sei.
Diese tatsächliche Feststellung ist aber mit dem klaren Inhalt der Akten nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Die Umstände, die das Finanzgericht anführt, können zwar dafür sprechen, daß der Steuerbescheid dem Bf. innerhalb der Dreitagesfrist zugegangen ist. Ein einwandfreier Nachweis kann jedoch daraus nicht abgeleitet werden. Zwei Tatsachen, die das Finanzgericht nicht ausreichend gewürdigt hat, lassen vielmehr Zweifel an der Zustellung des Steuerbescheides innerhalb der Dreitagesfrist aufkommen. Der Steuerbescheid trug nämlich noch die alte, inzwischen überholte Anschrift des Bf. "A, Bahnhofstraße 81", so daß die Nachsendung an die neue Anschrift "B, O-Straße 156" erforderlich wurde. Eine Nachsendung bringt nach der Auskunft des Postamtes aber oft Verzögerungen mit sich. Zum anderen waren am 17. Mai und 18. Mai 1959 die Pfingstfeiertage, an denen die Postbeförderung ruhte. Unter diesen Umständen liegt es nicht fern, daß der Steuerbescheid tatsächlich erst am 19. Mai 1959 den Bf. in B erreicht hat.
Nach § 17 Abs. 2 letzter Halbsatz VwZG trifft im Zweifel die Behörde die Beweislast für den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs. Nach dem Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs I 257/61 U vom 19. Juni 1962 (BStBl 1962 III S. 377), dem der Senat beitritt, hat die Behörde den Beweis des Zugangs und des Zeitpunktes des Zugangs aber nur zu erbringen, wenn Tatsachen vorliegen, die den Schluß darauf zulassen, daß ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen drei Tagen nach Postaufgabe ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Die beiden erwähnten besonderen Umstände des Streitfalls lassen indessen ernstliche Zweifel auftauchen und müssen darum zugunsten des Bf. gewertet werden. Mit Recht ist übrigens das Finanzamt selbst im Laufe des Berufungsverfahrens zu der Auffassung gekommen, daß die Einspruchsfrist gewahrt gewesen sei.
Die angefochtene Entscheidung und die Einspruchsentscheidung waren deshalb wegen unrichtiger Anwendung von § 17 Abs. 2 letzter Halbsatz VwZG aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das davon auszugehen hat, daß der Einspruch zulässig war, und das nunmehr sachlich über den Einspruch zu befinden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410582 |
BStBl III 1962, 454 |
BFHE 1963, 516 |
BFHE 75, 516 |