Leitsatz (amtlich)
Die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO, wenn der Beklagte bei Antritt einer Urlaubsreise von 3 bis 4 Wochen aufgrund eines Terminsberichts seines Prozeßbevollmächtigten damit rechnen muß, daß Urteil gegen ihn bereits ergangen ist, er aber keinerlei Vorsorge dafür trifft, daß die Rechtsmittelfrist gewahrt werden kann.
Normenkette
ZPO § 233 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 28.09.1978) |
LG Essen |
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. September 1978 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500, – DM festgesetzt.
Gründe
Die Beklagte ist durch Teilurteil des Landgerichts vom 7. Juni 1978 verurteilt worden, dem Kläger, der für sie als Handelsvertreter tätig war, Bucheinsicht zu gewähren. Das Urteil ist den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 14. Juli 1978 zugestellt worden. Mit einem beim Oberlandesgericht am 29. August 1978 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat die Beklagte vorgetragen: Das Urteil vom 7. Juni 1978 sei nach Schluß der mündlichen Verhandlung vom gleichen Tage in Abwesenheit der Prozeßbevollmächtigten verkündet worden. Ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten sei das Terminsprotokoll vom 7. Juni 1978 mit dem vollständigen Urteil erst am 14. Juli 1978 zugegangen. In einer Mitteilung der Prozeßbevollmächtigten vom 7. Juni 1978 über den Termin vom 7. Juni 1978 habe darum auch nur gestanden, es sei mündlich verhandelt worden, das Gericht werde ein Teilurteil verkünden, das die Beklagte zur Auskunft für die Vertragszeit verpflichte. Ein Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 14. Juli 1978, mit dem diese eine Abschrift des Urteils vom 7. Juni 1978 übersandt und darauf hingewiesen hätten, daß die Berufungsfrist am 14. August 1978 ablaufe, habe die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten vor Antritt ihres Urlaubs am 16. Juli 1978 nicht mehr erreicht. Die Gesellschafterin habe das Schreiben vom 14. Juli 1978 und ein weiteres Schreiben der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 8. August 1978 mit einem Hinweis auf den Ablauf der Berufungsfrist erst bei ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 15. August 1978 vorgefunden.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten als nicht begründet angesehen und die Berufung durch Beschluß vom 28. September 1978 als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Unkenntnis der Beklagten von der Zustellung des Urteils am 14. Juli 1978 bis zur Rückkehr ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin aus dem Urlaub am 15. August 1978 beruhe auf einer fahrlässigen Verletzung prozessualer Sorgfaltspflichten. Die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten habe sich aufgrund des Terminsberichts der Prozeßbevollmächtigten vom 7. Juni 1978 über den teilweise negativen Ausgang des Rechtsstreits nicht mehr im Zweifel sein können. Sie habe auch spätestens seit Ende Juni 1978 damit rechnen müssen, daß das Urteil den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zugestellt worden sei. Deshalb habe sie sich vor Antritt des Urlaubs von 3 bis 4 Wochen mit den Prozeßbevollmächtigten in Verbindung setzen, sich nach der Zustellung des Urteils erkundigen, den Prozeßbevollmächtigten ihre Urlaubsanschrift mitteilen oder vorsorglich eine Entschließung über die Einlegung der Berufung vor Antritt des Urlaubs treffen müssen.
Diese Ausführungen halten – jedenfalls im Ergebnis – der rechtlichen Nachprüfung stand.
Im Streitfall ist § 233 ZPO in der Fassung der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl 3281) anzuwenden. Danach ist der Beklagten Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Ein Verschulden, das die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten trifft, steht hierbei einem eigenen Verschulden der Beklagten gleich (§ 51 Abs. 2 ZPO n.F.).
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß es zu den Sorgfaltspflichten einer Prozeßpartei gehört, bei längerer Ortsabwesenheit in angemessener Weise Vorsorge dafür zu treffen, daß prozessuale Fristen, mit deren Ablauf zu rechnen ist, eingehalten werden können. Der erkennende Senat hat diesen Standpunkt bereits in seiner Entscheidung vom 11. Juli 1975 (VersR 1975, 1103) eingenommen. Diese Entscheidung ist zwar noch zu § 233 Abs. 1 ZPO a.F. ergangen, der die Wiedereinsetzung nur bei einer Verhinderung durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle zuließ. An den prozessualen Sorgfaltspflichten hat sich jedoch nichts geändert. Die Fristversäumung beruht in Fällen der genannten Art regelmäßig weder auf einem unabwendbaren Zufall im Sinne von § 233 Abs. 1 ZPO a.F., noch ist sie unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO n.F.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß ein von einem Strafbefehls- und Bußgeldverfahren Betroffener im Falle des „ersten Zugangs” zum Gericht bei vorübergehender Abwesenheit von seiner Wohnung keine besonderen Vorkehrungen für mögliche Zustellungen zu treffen braucht (BVerfGE 25, 158, 165, 166; 34, 154, 156; 40, 42, 44; 41, 332, 335), führt zu keiner anderen Beurteilung. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Bundesverfassungsgericht für das summarische Strafverfahren entwickelten Grundsätze auf den Zivilprozeß anwendbar sind (bejahend Baumbach/Lauterbach ZPO 36. Aufl. § 233 Anm. 3; BAG NJV 1972, 887, 888). Ist im Zivilprozeß bereits streitig verhandelt worden und muß der durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretene Beklagte auch damit rechnen, daß Urteil bereits gegen ihn ergangen ist, dann muß er, wenn er das Urteil anfechten will, bei längerer Ortsabwesenheit auch in geeigneter Weise dafür sorgen, daß die Rechtsmittelfrist gewahrt werden kann. Das folgt aus seiner prozessualen Sorgfaltspflicht und gilt auch dann, wenn er über Beginn und Dauer der Rechtsmittelfrist nicht im einzelnen unterrichtet ist. In der Verletzung derartiger prozessualer Sorgfaltspflichten ein Verschulden im Sinne von § 233 ZPO n.F. zu sehen, ist sowohl mit dem in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Recht, gegen einen belastenden Akt der öffentlichen Gewalt das Gericht anzurufen, wie auch mit dem in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör vereinbar (vgl. BGH VersR 1977, 1098 zu § 233 Abs. 2 ZPO a.F.).
Das Berufungsgericht hat auch zu Recht ausgeführt, die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten habe aufgrund des Anwaltsschreibens vom 7. Juni 1978 annehmen müssen, daß ein Teilurteil des in dem Schreiben genannten Inhalts gegen die Beklagte ergangen sei. Das Teilurteil vom 7. Juni 1978 hatte auch tatsächlich den von den Anwälten angekündigten Inhalt. Ob die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten, wie das Berufungsgericht weiter annimmt, seit Ende Juni 1978 auch mit der förmlichen Zustellung des Urteils an die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten rechnen mußte, mag zweifelhaft sein. Die Beantwortung dieser Frage hängt weitgehend davon ab, welche prozessualen Kenntnisse die Gesellschafterin hatte. Das ist offen und kann ohne weitere Feststellungen nicht beurteilt werden. Es lag aber jedenfalls im eigenen Interesse der Beklagten und entsprach auch deren prozessualer Verpflichtung, daß sich die Gesellschafterin als für die Gesellschaft allein Verantwortliche vor Antritt ihrer Reise am 16. Juli 1978 bei den Prozeßbevollmächtigten danach erkundigte, was in der Sache inzwischen geschehen sei. Das gilt auch dann, wenn sie, wie die sofortige Beschwerde geltend macht, zunächst nur bis zum 10. August 1978 wegbleiben wollte und sie die Heimreise deshalb um einige Tage verschieben mußte, weil sie am Urlaubsort erkrankte. Zwar hätte die Gesellschafterin im Falle einer Rückkehr am 10. August 1978 noch für eine Einhaltung der Berufungsfrist sorgen können. Doch konnte sie auch bei einer ursprünglich vorgesehenen Abwesenheit von etwa 31/2 Wochen nicht darauf vertrauen, keine Rechtsmittelfrist zu versäumen, zumal sie nicht wußte, daß das Urteil vom 7. Juni 1978 tatsächlich erst am 14. Juli 1978 (Freitag) zugestellt worden war. Hätte sie unmittelbar vor Antritt der Reise bei den Prozeßbevollmächtigten angerufen, würde sie von der Zustellung des Urteils erfahren und über den Ablauf der Berufungsfrist damals schon belehrt worden sein. Sie hätte dann ihr weiteres Verhalten entsprechend einrichten und den Auftrag zur Berufungseinlegung erforderlichenfalls auch von ihrem Urlaubsort aus erteilen können. Eine Antrage bei den Prozeßbevollmächtigten noch vor der Urteilszustellung hätte ebenfalls zur Klärung der Sachlage geführt. Die Gesellschafterin hätte dann jedenfalls erfahren, wann die Berufungsfrist frühestens ablaufen könne. Sah sie von einer Antrage bei den Prozeßbevollmächtigten überhaupt ab, obwohl sie mit einer bereits ergangenen Verurteilung der Beklagten rechnen mußte, so mußte sie unter den hier gegebenen Umständen jedenfalls dafür sorgen, daß sie für die Prozeßbevollmächtigten erreichbar blieb und deren pflichtgemäße Mitteilungen über die Zustellung des Urteils und den Ablauf der Berufungsfrist zu ihrer Kenntnis gelangen konnten. In dem Unterlassen dieser prozessual gebotenen und von einer Prozeßpartei verständlicherweise zu erwartenden Vorsorgemaßnahme, liegt allein schon ein die Gewährung der Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden im Sinne von § 233 ZPO.
Die Berufung der Beklagten ist daher zu Recht wegen Versäumung der Berufungsfrist durch Beschluß als unzulässig verworfen worden (§ 519 b ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
v. Gamm, Alff, Schönberg, Schwerdtfeger, Zülch
Fundstellen
Haufe-Index 1237549 |
Nachschlagewerk BGH |