Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.11.2018; Aktenzeichen 7550 Js 252282/11 5/29 KLs 4/16) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Mai vom 23. November 2018 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass insgesamt jeweils drei Monate der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt gelten.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften nach § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 32 Abs. 1 Satz 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) verurteilt, den Angeklagten W. zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, den Angeklagten P. zu einer solchen von einem Jahr. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt, ferner Einziehungsentscheidungen getroffen und ausgesprochen, dass jeweils zwei Monate der Freiheitsstrafen wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gelten. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten führen lediglich zu einer Ergänzung der Kompensationsentscheidung für einen weiteren Konventionsverstoß gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der Zuschriften des Generalbundesanwalts weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften zwischen September 2010 und Ende Mai 2011 nach § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG (vgl. auch Senat, Urteil vom 18. Juli 2018 – 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467). Der Erörterung bedarf – im Hinblick auf die Revision des Angeklagten W. und den gegen ihn ergangenen Strafbescheid des Eidgenössischen Finanzdepartments vom 14. Juli 2014, mit dem ihm wegen „Werbung für die Entgegennahme von Publikumseinlagen ohne Bewilligung” per Internet und mittels Broschüren im Zeitraum vom 19. Dezember 2010 bis zum 25. September 2011 gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. c des Schweizerischen Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen (Schweizerisches Bankengesetz) eine Geldbuße auferlegt worden war – lediglich Folgendes:
Rz. 3
Ein aus Art. 54 SDÜ abzuleitendes Verfahrenshindernis („ne bis in idem”) besteht nicht. Es liegt keine Tatidentität im Sinne dieser Vorschrift vor. Auch unter Berücksichtigung der vom Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2020 nach dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht und seines Zusatzprotokolls vom 15. März 1978 erbetenen Auskunft der Schweizer Behörden vom 23. November 2020 zur dortigen Rechtslage steht der Verurteilung des Angeklagten W. das Verbot der Doppelbestrafung nicht entgegen.
Rz. 4
a) Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 SDÜ durch den Europäischen Gerichtshof gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff. Maßgebendes Kriterium für die Anwendung des Art. 54 SDÜ ist danach die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen (vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 2006 – C-436/04, NJW 2006, 1781, 1782 – Van Esbroeck; vom 18. Juli 2007 – C-288/05, NJW 2007, 3412, 3413 Rn. 34 – Kretzinger; vom 18. Juli 2007 – C-367/05, NStZ 2008, 164, 166 – Kraaijenbrink; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120, 125 f.; Beschluss vom 4. Juni 2019 – 5 StR 96/19 NStZ-RR 2019, 259, 260; Schomburg/Lagodny, 6. Aufl., Art. 54 SDÜ, Rn. 74; SSW-StPO/Satzger, 4. Aufl., Art. 54 SDÜ Rn. 32 jeweils mwN). Auf materiell-rechtliche Bewertungen in einem Vertragsstaat, etwa dahin, ob die verschiedenen begangenen Delikte nach deutschem Recht sachlich-rechtlich im Verhältnis von Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, kommt es nicht an (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 2006 – C-436/04, NJW 2006, 1781, 1782 – Van Esbroeck; BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013, aaO; Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 1 StR 393/19, StV 2020, 612). Ob im konkreten Fall nach diesen Kriterien eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung des zuständigen nationalen Gerichts (vgl. EuGH, Urteile vom 9. März 2006 – Van Esbroeck, aaO; vom 18. Juli 2007 – Kretzinger, aaO Rn. 37; vom 18. Juli 2007 Kraaijenbrink, aaO; BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013, aaO).
Rz. 5
b) Hiervon ausgehend betrifft der Strafbescheid des Eidgenössischen Finanzdepartments vom 4. Juli 2014 nicht „dieselbe Tat” im Sinne des Art. 54 SDÜ, wie sie dem hiesigen Strafverfahren zugrunde liegt.
Rz. 6
aa) Zwar beziehen sich beide Verfahren jeweils auf ein Handeln des Angeklagten W. im annähernd gleichen Zeitraum; involviert war jeweils die formell in der Schweiz geschäftsansässige D., deren Verwaltungsratspräsident der Angeklagte W. im Tatzeitraum war. Auch waren die – in der Schweiz geahndete – Werbung und der hier gegenständliche Ankauf von Versicherungen mit einem unbedingten Rückzahlungsversprechen in Deutschland in ein unternehmerisches Gesamtgeschehen eingebettet, die Werbung mithin auf den Vertrieb des beworbenen Kapitalanlegeprodukts ausgerichtet; interessierte Kunden konnten Informationen hierüber auch auf der Internetseite der D. beziehen.
Rz. 7
bb) Auf der Grundlage der dem inländischen Urteil und der Schweizer Sanktion zugrundeliegenden Verfahrensgegenstände handelt es sich aber nicht um denselben Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Allein aus dem Umstand, dass die Taten auf subjektiver Ebene verbunden sind (hier: durch den auf Einnahmenerzielung gerichteten einheitlichen Vorsatz), lässt sich die erforderliche Identität der materiellen Taten im Sinne von Art. 54 SDÜ nicht ableiten (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 – C-367/05, NStZ 2008, 164, 165 Rn. 29 f. – Kraaijenbrink; BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120 Rn. 16; Beschluss vom 4. Juni 2019 – 5 StR 96/19, NStZ-RR 2019, 259, 260). Eine unlösbare objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen hat das Landgericht zutreffend verneint. Während die mit Strafbescheid vom 4. Juli 2014 sanktionierte Handlung maßgeblich an den (wenngleich nur formellen) Sitz der D. in der Schweiz anknüpft, gründet sich das vorliegende Strafverfahren auf ein in Deutschland tatsächlich durchgeführtes Geschäft, das nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts entsprechend dem gemeinsamen Tatplan „durchgängig und entscheidend” für die D. von der in Deutschland ansässigen v. GmbH erbracht wurde. Diese war für die Kundengewinnung, den Vertrieb des Finanzprodukts, den Ankauf der Lebensversicherungen und die administrative Abwicklung des Geschäfts die „zentrale Schaltstelle”. Die Information der Kunden erfolgte über Makler, die jedenfalls überwiegend nicht mit der D., sondern mit der v. GmbH vertraglich verbunden waren und die zur Kundenakquise umfangreiche und im Laufe der Zeit modifizierte Prospekte verwendeten. Der Ankauf von Versicherungen in Deutschland setzte demnach auch keine hierauf gerichtete Werbung der D. per Internet oder Broschüren voraus, sondern war maßgeblich – und insoweit auch das hier zur Aburteilung gelangte Geschehen prägend – auf die in Deutschland von den Angeklagten mit der v. GmbH aufgebauten Organisationsstrukturen und Vertriebswege zurückzuführen. Der Angeklagte W. konnte sich deshalb ungeachtet unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den einzelnen Staaten hier nicht darauf verlassen, nach der Sanktionierung wegen der Werbung nicht – unter einem anderen rechtlichen Aspekt – ein weiteres Mal wegen der Durchführung des beworbenen Bankgeschäfts strafrechtlich verfolgt zu werden.
Rz. 8
2. Das Urteil ist allerdings um eine weitere Kompensation für einen Konventionsverstoß im Revisionsverfahren zu ergänzen. Zwar ist ein Teil der Dauer des Revisionsverfahrens wegen der bereits genannten Anfrage bei den Schweizer Behörden aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Der Senat stellt aber mit Blick auf das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) und um jegliche Beschwer für die Angeklagten auszuschließen in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 302/11, NJW 2012, 1463, 1464; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – 5 StR 578/19 Rn. 9 jeweils mwN) fest, dass von den verhängten Freiheitsstrafen jeweils ein weiterer Monat, insgesamt also drei Monate, als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Eine noch weitergehende Kompensation wäre nicht angemessen.
Unterschriften
Franke, Krehl, Meyberg, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14362887 |
NStZ 2021, 7 |
wistra 2021, 208 |
StV 2021, 629 |
Jura 2021, 861 |