Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Kosten der Rechtsverteidigung im Berufungsverfahren. Unzuständiges Rechtsmittelgericht. Verwerfung des Rechtsmittels
Leitsatz (amtlich)
Weist das Gericht nach der Einlegung der Berufung, aber vor der Begründung auf seine vermutliche Unzuständigkeit hin und beantragt der Berufungsbeklagte die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig, gehört die hierdurch entstehende 1,6-fache Verfahrensgebühr nach § 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV auch dann zu den notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung, wenn der Berufungskläger später das Rechtsmittel zurücknimmt, ohne es begründet zu haben.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1; RVG VV Nr. 3200; RVG § 13
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Beschluss vom 03.03.2009; Aktenzeichen 11 T 82/09) |
AG Mannheim (Entscheidung vom 11.12.2008; Aktenzeichen 4 C 1028/08) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Karlsruhe vom 3.3.2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 360,57 EUR.
Gründe
I.
[1] Der Kläger hat am 22.9.2008 (Montag) bei dem LG Mannheim gegen das ihm am 21.8.2008 zugestellte Urteil des AG Mannheim Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 23.9.2008 hat das LG den Parteien folgenden Hinweis erteilt:
"Soweit ohne vollständige Kenntnis des Urteils erster Instanz und ohne Kenntnis der erstinstanzlichen Akten ersichtlich handelt es sich um eine Berufung in einer Wohnungseigentumssache i.S.d. § 43 Nr. 1-4 WEG. Gemäß § 72 Abs. 2 S. 1 GVG ist das LG Karlsruhe alleiniges Berufungsgericht für derartige Verfahren"
und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.10.2008 gegeben. Mit am 2.10.2008 bei dem LG eingegangenen Schriftsatz vom 1.10.2008 hat sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten für diese gemeldet, die Verwerfung der Berufung als unzulässig beantragt und hierfür eine Begründung abgegeben. Der Kläger hat mit am 6.10.2008 eingegangenem Schriftsatz die Abgabe, hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Karlsruhe beantragt. Das LG Mannheim hat mit Verfügung vom 21.10.2008 die Parteien darüber unterrichtet, dass es die Verweisung des Berufungsverfahrens an das LG Karlsruhe beabsichtige. Dem hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.10.2008 widersprochen und hierfür eine Begründung abgegeben.
[2] Das LG Mannheim hat die Sache mit Beschluss vom 29.10.2008 nach § 281 ZPO an das LG Karlsruhe verwiesen. Am 20.11.2008 hat der Kläger die Berufung zurückgenommen, ohne das Rechtsmittel begründet zu haben. Mit Beschluss vom 21.11.2008 sind dem Kläger die durch die Berufung entstandenen Kosten nach einem Streitwert von 18.978,35 EUR auferlegt worden.
[3] Auf Antrag der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat das AG u.a. eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach § 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV i.H.v. 969,60 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer festgesetzt. Die sofortige Beschwerde, mit welcher der Kläger die Herabsetzung auf eine 1,1-fache Verfahrensgebühr erstrebt hat, ist erfolglos geblieben.
[4] Mit der von dem LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Ziel weiter.
II.
[5] Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hat das AG zu Recht eine 1,6-fache Verfahrensgebühr festgesetzt; denn die Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe den Antrag auf Verwerfung der Berufung als unzulässig gestellt und ihn auch begründet, was zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gewesen sei. Ferner folge die Erstattungsfähigkeit der 1,6-fachen Verfahrensgebühr daraus, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Verweisung der Sache an das LG Karlsruhe widersprochen und hierfür ebenfalls eine Begründung abgegeben habe. Auch dies sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Dem stehe die Entscheidung des BGH vom 3.7.2007 (VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723) nicht entgegen, weil sie nicht eine Fallkonstellation wie die vorliegende im Auge habe, in welcher es um die Zulässigkeit der Berufung bzw. der Verweisung der Sache an ein anderes (Berufungs-)Gericht gehe.
[6] Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
II.
[7] Die Rechtsbeschwerde ist zwar infolge der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Aber sie ist nicht begründet, weil die Vorinstanzen zu Recht für die Vertretung der Beklagten in dem Berufungsverfahren die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach § 13 RVG i.V.m. Nr. 3200 RVG-VV als erstattungsfähig angesehen haben.
[8] 1. Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV entsteht im Berufungsverfahren für das Betreiben des Geschäfts; hierzu gehört u.a. das Einreichen von Schriftsätzen bei Gericht. Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich jedoch nach Nr. 3201 RVG-VV auf das 1,1-fache bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags; diese liegt u.a. dann vor, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt einen Sachanträge oder Sachvortrag enthaltenden Schriftsatz eingereicht hat (Nr. 3201 Satz 1 Nr. 1 RVG-VV). Danach ist hier die 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.
[9] 2. Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob die Beklagten diese Kosten von dem Kläger erstattet verlangen können, obwohl er die Berufung vor der Ankündigung eines Berufungsantrags und vor der Begründung des Rechtsmittels zurückgenommen hat. Denn die Erstattungsfähigkeit setzt nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO voraus, dass die den Antrag auf Verwerfung der Berufung und den Widerspruch gegen die beabsichtigte Verweisung der Sache an das LG Karlsruhe enthaltenden Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Erstattung der aufgewendeten Kosten kann eine Partei nämlich nur insoweit beanspruchen, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BGH, Beschl. v. 3.7.2007 - VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723).
[10] a) Nach der Rechtsprechung des BGH (s. nur Beschl. v. 1.4.2009 - XII ZB 12/07, Rz. 9 m.w.N. - zur Veröffentlichung bestimmt) darf der Rechtsmittelgegner bereits vor Begründung des Rechtsmittels einen Rechtsanwalt beauftragen und die entstandenen Kosten im Fall seines Obsiegens nach § 91 Abs. 1 ZPO von dem Rechtsmittelführer erstattet verlangen. Allerdings ist ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels im erstattungsrechtlichen Sinn grundsätzlich nicht notwendig, sofern der Rechtsmittelführer noch keinen Antrag und keine Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Im Normalfall besteht nämlich kein Anlass für den Rechtsmittelgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels anzukündigen. Der Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf die Entscheidung der Vorinstanz sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ausgehen könnte, solange mangels einer Rechtsmittelbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist. Das gilt unabhängig davon, ob das Rechtsmittel ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht.
[11] b) Hier ist indes eine andere Beurteilung geboten, weil es ausschließlich um die Zulässigkeit der Berufung ging und die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Hinweis auf die versäumte Berufungsfrist den Sachantrag gestellt hat, die Berufung zu verwerfen (vgl. OLG Stuttgart JurBüro 2005, 366 f.; OLG Brandenburg NJW-RR 2006, 1004 [1005]). Dies erfolgte nicht, wie der Kläger meint, ausschließlich aus dem Grund, einen Kostentatbestand zu schaffen. Vielmehr haben die Beklagten mit dieser Vorgehensweise ihrer Prozessbevollmächtigten ihre berechtigten Interessen an einem schnellen Abschluss des Berufungsverfahrens wahrgenommen, nachdem das Rechtsmittel am letzten Tag der Berufungsfrist bei dem unzuständigen Gericht eingegangen war. Bei dieser Sachlage kommt es - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht darauf an, dass bis dahin nicht feststand, ob das Rechtsmittel durchgeführt wird. Denn die Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat sich in dem Schriftsatz vom 1.10.2008 mit der in diesem Zeitpunkt allein maßgeblichen Frage der Zulässigkeit der Berufung auseinandergesetzt. Diese Frage war - anders als in dem Fall, welcher der von dem Kläger für seine Ansicht herangezogenen Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 20.9.2000 (OLGReport Karlsruhe 2001, 76) zugrunde lag - streitig, was sich daraus ergibt, dass das LG Mannheim das Rechtsmittel nicht sogleich als unzulässig verworfen, sondern die Parteien auf seine wahrscheinliche Unzuständigkeit hingewiesen hat. Die Einreichung des Schriftsatzes vom 1.10.2008 war somit eine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderliche Maßnahme, auf den Verwerfungsbeschluss hinzuwirken (KG Rpfleger 2005, 632 [633]), mit der Folge, dass der Kläger die dadurch ausgelöste 1,6-fache Verfahrensgebühr zu erstatten hat.
[12] c) Die Einreichung des Schriftsatzes vom 27.10.2008 war ebenfalls zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Denn darin hat sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit der Absicht des LG Mannheim auseinandergesetzt, die Sache an das LG Karlsruhe zu verweisen. Sie hat auf den Ablauf der Berufungsfrist, die daraus folgende Unzulässigkeit des Rechtsmittels und - unter Heranziehung der Entscheidung des BGH vom 10.7.1996 (XII ZB 90/95, NJW-RR 1997, 55) - die Unzulässigkeit einer Verweisung in entsprechender Anwendung von § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO hingewiesen. Dies geschah wiederum im Interesse der Beklagten, den Verwerfungsbeschluss nach § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO durch eigene zusätzliche Argumente herbeizuführen. Hieran hatten die Beklagten wegen der damit verbundenen Beschleunigung ein besonderes Interesse. Auch diese Vorgehensweise rechtfertigt es, die 1,6-fache Verfahrensgebühr als erstattungsfähig anzusehen (vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2003 - VII ZB 17/03, NJW 2004, 73). Für seine gegenteilige Ansicht kann sich der Kläger nicht auf die von ihm herangezogene Entscheidung des OLG München vom 30.5.2006 (FamRZ 2006, 1695) berufen. Denn darin ist - zu Recht - lediglich ausgeführt, dass Sachanträge, die das Verfahren nicht fördern können, nicht zur Erstattung einer vollen Verfahrensgebühr führen. Hier zielten die Schriftsätze der Beklagten jedoch - wie ausgeführt - auf die Herbeiführung eines Verwerfungsbeschlusses nach § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO; sie waren wegen der von dem LG Mannheim nicht beseitigten Unsicherheit über die Zulässigkeit der Berufung auch notwendig.
IV.
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen