Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Zuständigkeit für die Regelung der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB, wenn den Eltern die elterliche Sorge zuvor durch das Vormundschaftsgericht gemäß § 1666 BGB entzogen war.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1671
Verfahrensgang
Tenor
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Das Verfahren ist dem Amtsgericht – Familiengericht – Wilhelmshaven zuzuleiten.
Tatbestand
I.
Aus der Ehe der Eltern sind die beiden Kinder M., geboren 5. März 1991, und T., geboren 7. September 1993, hervorgegangen. Die Mutter hat aus ihrer ersten, geschiedenen Ehe zwei weitere Kinder. Nachdem sich die Mutter von ihrem zweiten Ehemann erstmals getrennt hatte und mit den Kindern in das Frauenhaus Bremen gezogen war, wurde ihr auf ihren Antrag am 12. August 1992 vom Familiengericht Bremen das Sorgerecht über M. für die Dauer der Trennung gemäß § 1672 BGB übertragen. Nach der Geburt von T. lebten die Eltern wieder zusammen, zum Teil bei Verwandten, zum Teil in Wohnheimen für Nichtseßhafte in Bremen. Die Kinder waren wegen drohender Verwahrlosung in Heime bzw. Übergangspflegestellen in Bremen aufgenommen worden. Auf Antrag des Jugendamtes Bremen entzog das Vormundschaftsgericht Bremen mit Beschluß vom 16. Dezember 1993 den Eltern gemäß §§ 1666, 1666 a BGB die elterliche Sorge für die Kinder T. und M., weil deren ordnungsgemäße Betreuung und Versorgung gefährdet war, und übertrug das Sorgerecht auf das Jugendamt Bremen als Vormund. Die Kinder wurden in Dauerpflegestellen untergebracht. Mit Beschluß des Familiengerichts Bremen vom 6. Mai 1994 wurde im übrigen auch die elterliche Sorge für die erstehelichen Kinder der Mutter wegen drohender Verwahrlosung vorläufig dem Jugendamt Bremen übertragen.
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 1996 reichte die Mutter, die inzwischen wieder von ihrem Ehemann getrennt lebte und nach Delmenhorst verzogen war, Scheidungsantrag beim Amtsgericht – Familiengericht – Wilhelmshaven, dem Wohnort des Ehemannes, ein. Das Familiengericht leitete von Amts wegen ein Sorgerechtsverfahren ein und verfügte die Anhörung der Mutter zur Frage der Scheidung und der elterlichen Sorge im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Delmenhorst. Bei ihrer Anhörung äußerte diese den Wunsch, ihr im Falle der Scheidung die elterliche Sorge über beide Kinder zu übertragen und ein Umgangsrecht des Ehemannes auszuschließen. In der mündlichen Verhandlung erklärte ihr Prozeßbevollmächtigter, zur elterlichen Sorge derzeit keinen Antrag zu stellen. Das Familiengericht Wilhelmshaven schied daraufhin am 1. Juli 1997 die Ehe und regelte den Versorgungsausgleich, ohne über die Frage der elterlichen Sorge gemäß § 1671 BGB eine Entscheidung zu treffen. Das Scheidungsurteil wurde am 26. August 1997 rechtskräftig.
Im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung seiner Sorgerechtsentscheidung vom 16. Dezember 1993 gemäß § 1696 Abs. 3 BGB erhielt das Vormundschaftsgericht Bremen Kenntnis vom Scheidungsverfahren. Mit den Kindeseltern und dem Jugendamt Bremen mitgeteiltem Beschluß vom 21. November 1997 gab es sein Verfahren zuständigkeitshalber an das Amtsgericht – Familiengericht – Wilhelmshaven mit dem Bemerken ab, daß über das eingeleitete Sorgerechtsverfahren gemäß § 1671 BGB noch eine Entscheidung zu treffen sei.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Wilhelmshaven lehnte am 2. Dezember 1997 die Übernahme unter Hinweis auf das mittlerweile rechtskräftig abgeschlossene Scheidungsverfahren ab. Eine Mitteilung hiervon an die Beteiligten unterblieb. Das Vormundschaftsgericht Bremen legte daraufhin die Rechtssache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor und gab den Beteiligten hiervon Kenntnis.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung im Sinne des § 36 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor. Zwar wäre der Bundesgerichtshof zur Entscheidung berufen. Da nunmehr eine endgültige Regelung der elterlichen Sorge gemäß § 1671 BGB zu treffen ist, handelt es sich um eine Familiensache im Sinne von § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, für die sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 621 a Abs. 1 ZPO nicht nach § 5 FGG, sondern nach § 36 Nr. 6 ZPO richtet (Senatsbeschluß vom 29. Januar 1992 – XII ARZ 1/92 – BGHR ZPO § 36 Nr. 6 Unzuständigerklärung, rechtskräftige 4 = FamRZ 1992, 664). Da jedoch das Amtsgericht – Familiengericht – Wilhelmshaven die Ablehnung der Übernahme den Beteiligten nicht zur Kenntnis gebracht hat, ist seine Verfügung ein akteninterner Vorgang geblieben, so daß es bereits an einer Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Nr. 6 ZPO fehlt (Senatsbeschlüsse vom 13. Mai 1992 – XII ARZ 9/92 – a.a.O. Nr. 5 und vom 22. Februar 1995 – XII ARZ 2/95 – a.a.O. Nr. 8).
2. Die Sache gibt dem Senat Anlaß zu dem Hinweis, daß das Familiengericht Wilhelmshaven noch eine Entscheidung zur elterlichen Sorge gemäß § 1671 BGB zu treffen hat. Allerdings ist das vormundschaftsgerichtliche Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB keine Familiensache im Sinne des § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, für die eine Abgabe nach § 621 Abs. 2 oder Abs. 3 ZPO in Betracht kommt. Denn die Absätze 2 und 3 der genannten Regelung betreffen nur Sorgerechtsangelegenheiten, für die nach den Vorschriften des BGB das Familiengericht zuständig ist (vgl. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Verrichtungen nach § 1666 BGB sind aber ausdrücklich Sache des Vormundschaftsgerichts. Ein entsprechendes Verfahren könnte daher – auch bei noch bestehender Anhängigkeit der Ehesache – nicht förmlich an das Familiengericht übergeleitet werden (vgl. Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 64 FGG Rdn. 12). Die Zuständigkeit des Familiengerichts ergibt sich jedoch aus folgendem Grund:
Vor ihm ist noch das Verfahren zur endgültigen Regelung der elterlichen Sorge im Falle der Scheidung der Eltern anhängig geblieben (§ 1671 BGB). Die Anhängigkeit eines solchen, von Amts wegen einzuleitenden Verfahrens tritt mit jeder nach außen erkennbar werdenden Initiative des Gerichts ein, die auf die Aufnahme des Verfahrens gerichtet ist (§ 623 Abs. 3 Satz 1 ZPO; KG FamRZ 1987, 727; Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber Eherecht 2. Aufl. § 623 Rdn. 10 m.w.N.). Das ist hier geschehen. Das Familiengericht Wilhelmshaven hat eine Unterakte für das Sorgerechtsverfahren angelegt, das Jugendamt Delmenhorst um einen Bericht gebeten und die Anhörung der Ehefrau zur Frage der Scheidung und elterlichen Sorge verfügt. Es hat jedoch in der Folge das Sorgerechtsverfahren im Verbund nicht weiter betrieben, sondern sich darauf beschränkt, die Ehe zu scheiden und den Versorgungsausgleich zu regeln, möglicherweise, weil es der Auffassung war, daß angesichts der vormundschaftsgerichtlichen Maßnahme vom 16. Dezember 1993 für die elterliche Sorge kein Regelungsbedürfnis bestehe. Indessen wird durch den Umstand, daß das Vormundschaftsgericht bereits vor der Scheidung den Eltern umfassend die elterliche Sorge für die Kinder entzogen und damit eine inhaltlich dem § 1671 Abs. 5 BGB entsprechende Entscheidung getroffen hat, eine für den Fall der Scheidung zu treffende, auf Dauer angelegte Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB nicht entbehrlich. Denn bei der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nach § 1666 BGB handelt es sich nur um eine Maßnahme, um akute Gefahren für das Kindeswohl abzuwehren, nicht aber um eine dauerhafte Entscheidung. Sie ist daher auch gemäß § 1696 Abs. 2 und Abs. 3 BGB regelmäßig zu überprüfen (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 551; KG FamRZ 1990, 1021, 1024; Johannsen/Henrich/Jaeger a.a.O. § 1671 Rdn. 11; Palandt/Diederichsen BGB 57. Aufl. § 1666 Rdn. 2; Soergel/Strätz BGB 12. Aufl. § 1671 Rdn. 7; insoweit auch MünchKomm/Hinz BGB 3. Aufl. § 1671 Rdn. 9; Zöller/Philippi ZPO 20. Aufl. § 621 Rdn. 29). Das Familiengericht trifft demgegenüber aufgrund der Spezialvorschrift des § 1671 BGB eine umfassende und in der Regel dauerhafte Regelung für den Fall der Scheidung, die die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts verdrängt. Es kann dabei die frühere Entscheidung des Vormundschaftsgerichts inhaltlich bestätigen; seine Regelungskompetenz umfaßt aber auch die Änderung der vom Vormundschaftsgericht getroffenen Sorgerechtsentscheidung (überwiegende Meinung vgl. BayObLG, KG, Johannsen/Henrich/Jaeger, Soergel/Strätz jeweils aaO; zweifelnd insoweit MünchKomm/Hinz aaO). Daß das Vormundschaftsgericht für Einzelmaßnahmen im Rahmen des § 1666 BGB zuständig bleiben kann (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 17. September 1980 – IVb ARZ 543/80 – FamRZ 1980, 1107, 1108; Keidel/Kuntze a.a.O. vor § 64 Rdn. 10 c; Zöller/Philippi a.a.O. § 621 Rdn. 31 a, 32), steht dem nicht entgegen, ebensowenig der Umstand, daß es im Falle der Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft durch das Familiengericht für die Auswahl und Bestellung des Vormunds oder Pflegers zuständig bleibt (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 4. August 1981 – IVb ARZ 541/81 FamRZ 1981, 1048).
Das Familiengericht hat daher noch abschließend über die in seiner Zuständigkeit verbliebene elterliche Sorge gemäß § 1671 BGB zu entscheiden; im Rahmen dieses Verfahrens ist die frühere vormundschaftsgerichtliche Maßnahme zu überprüfen und den geänderten Verhältnissen gegebenenfalls anzupassen. Die Tatsache, daß die Scheidung inzwischen rechtskräftig geworden und die Ehesache nicht mehr beim Familiengericht anhängig ist (§ 621 Abs. 2 ZPO), vermag daran nichts zu ändern. Wird nämlich der Scheidungsausspruch rechtskräftig, bevor über eine Folgesache entschieden wird, und ist diese Folgesache vor Eintritt der Rechtskraft rechtshängig oder – wie hier im Falle von Sachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit – anhängig geworden, so bleibt der Gerichtsstand des § 621 Abs. 2 ZPO bestehen. Das folgt aus dem Grundsatz der perpetuatio fori (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 1986 – IVb ARZ 56/85 – FamRZ 1986, 454 und vom 8. Juni 1988 – IVb ARZ 28/88 – FamRZ 1988, 1257; Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber a.a.O. § 621 Rdn. 5; Zöller/Philippi a.a.O. § 621 Rdn. 86 und 86 c). Der Fall ist nicht anders zu behandeln, als wenn das Familiengericht über die Scheidung vorab entschieden und sich die Regelung der elterlichen Sorge ausdrücklich vorbehalten hätte (§ 628 Abs. 2 ZPO).
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Gerber
Fundstellen
Haufe-Index 1127390 |
NJW 1998, 1312 |
FamRZ 1998, 609 |
FuR 1998, 177 |
FuR 1998, 261 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1998, 471 |