Normenkette
ZPO § 520 Abs. 2 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Januar 2021 unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. November 2019 - 11 O 52/19 - hinsichtlich der folgenden Anträge als unzulässig verworfen worden ist:
- unter Abänderung des am 29. November 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 11 O 52/19, die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz mit der Fahrgestellnummer W an die Klägerin 40.082,29 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 43.300,00 € vom 17.08.2016 bis zum 04.08.2018 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 40.082,29 € seit dem 05.08.2018 zu zahlen sowie
- die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.706,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.07.2018 freizustellen.
Die Sache wird insoweit zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 45.000 €
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr im August 2016 erworbenen und von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagens Mercedes Benz ML 350 CDI BlueTEC mit dem Motortyp OM 642 (Euro 6) in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO genüge. Sie benenne nicht einmal den Motortyp für das in Rede stehende Fahrzeug und enthalte schon im Ansatz keine einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung, sondern nur Textbausteine, die mit dieser nichts oder nur am Rande zu tun hätten. Die Berufung schreibe dem Landgericht Rechtsauffassungen zu, die dieses nicht einmal angedeutet habe. Auch das spreche für die rein formelhafte und nur aus Textbausteinen bestehende Berufungsbegründung. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Berufung zudem unbegründet sei.
Rz. 4
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen im Wesentlichen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Insoweit ist sie auch begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung der Klägerin nur hinsichtlich des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht mehr den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO.
Rz. 6
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554, juris Rn. 16 ff. m.w.N.). Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt (BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554, juris Rn. 19). Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19 Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2020, 503). Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 7/20 Rn. 7 m.w.N., WM 2020, 1945;Beschluss vom 7. Juni 2018 - I ZB 57/17 Rn. 10, NJW 2018, 2894).
Rz. 7
2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin vom 3. März 2020 hinsichtlich der im Tenor genannten Anträge noch gerecht.
Rz. 8
Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, selbst wenn es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, begründe dies keine deliktische Haftung der Beklagten. Die Berufungsbegründung tritt dem mit der Behauptung entgegen, dass das Thermofenster konkret auf die Prüfstandsbedingungen zugeschnitten sei und daher von einem planmäßigen Vorgehen, das die bewusste Täuschung des KBA und sodann des Endverbrauchers beinhalte, auszugehen sei. Hierin liegt ein ausreichender Berufungsangriff im Sinne der dargestellten Grundsätze. Ob der Angriff unter prozessualen und materiell-rechtlichen Gesichtspunkten in der Sache verfängt, ist im Rahmen des § 520 ZPO ohne Belang.
Rz. 9
3. Das Berufungsgericht hat die Berufung daher insoweit rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Auf die hilfsweise angestellten Überlegungen zur Begründetheit der Berufung im Hinweisbeschluss kommt es schon deswegen nicht an, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss, mit dem die Berufung ausschließlich als unzulässig verworfen wird, nicht - auch nicht hilfsweise - auf diese Ausführungen stützt. Im Übrigen sind hilfsweise Ausführungen des Berufungsgerichts zur Sache für die Revisionsinstanz grundsätzlich unbeachtlich, wenn die Berufung als unzulässig verworfen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - VI ZB 50/19 Rn. 12, NJW-RR 2021, 789;Beschluss vom 24. März 2021 - XII ZB 430/20 Rn. 10, juris; Urteil vom23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794, juris Rn. 13 m.w.N.).
Rz. 10
Zwar sind Fälle denkbar, in denen trotz Verwerfung als unzulässig auch auf die Begründetheit eingegangen wird und dies die Grundlage für eine Sachentscheidung bietet. Zu einer ersetzenden Entscheidung ist das Revisionsgericht in einem solchen Fall aber nur dann befugt, wenn das Berufungsurteil einen Sachverhalt ergibt, der für eine rechtliche Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und bei einer Zurückverweisung der Sache ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794, juris Rn. 14 m.w.N.; Urteil vom 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137, juris Rn. 12; Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95, NJW 1996, 2100, juris Rn. 9). Entscheidungsreife kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Berufungsgericht trotz des Prozessurteils auch hinreichende tatrichterliche Feststellungen zur Sache getroffen hat, den Sachverhalt erschöpfend aufgeklärt hat und die Möglichkeit beachtlichen neuen Sachvortrags des Revisionsklägers in dem Falle, dass die Sache an den Tatrichter zurückverwiesen würde, ausgeschlossen erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 - XII ZB 430/20 Rn. 10, NJW-RR 2021, 721; Urteil vom25. November 1966 - V ZR 30/64, BGHZ 46, 281, juris Rn. 18). Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor.
Rz. 11
4. Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs bleibt die Rechtsbeschwerde hingegen erfolglos. Bei mehreren prozessualen Ansprüchen ist eine Berufungsbegründung für jeden Anspruch nötig (BGH, Beschluss vom 29. November 2017 - XII ZB 414/17 Rn. 9 m.w.N., NJW-RR 2018, 386). Es fehlt insoweit an einem ordnungsgemäßen Berufungsangriff, soweit das Landgericht die Zurückweisung dieses Antrags tragend auf das fehlende tatsächliche Angebot gegenüber der Beklagten gestützt hat, wie auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt.
Rz. 12
5. Die Sache ist im tenorierten Umfang zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO.
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