Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten. Erledigung der Hauptsache. Erhöhung des Streitwerts. Werterhöhung. Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten sind als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, soweit der geltend gemachte Hauptanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
Normenkette
ZPO § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 06.09.2006; Aktenzeichen 6 S 258/06) |
AG Chemnitz (Entscheidung vom 13.06.2006; Aktenzeichen 21 C 4224/05) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 6.9.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 900 EUR
Gründe
I.
[1] Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, an dem der Beklagte zu 1) als Fahrer eines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw beteiligt war. Sie hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 3.176,65 EUR nebst Zinsen sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 186,82 EUR zu zahlen. Die Klageschrift wurde beiden Beklagten am 22.12.2005 zugestellt. Bereits am 2.12.2005 hatte die Beklagte zu 2) der Klägerin einen Betrag von 2.700,16 EUR gezahlt. Die Parteien haben deshalb den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
[2] Das AG hat festgestellt, dass der Rechtsstreit i.H.v. 2.700,16 EUR erledigt ist und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin die Zahlung weiterer 476,49 EUR nebst Zinsen sowie der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 186,82 EUR begehrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die erforderliche Berufungssumme von 600 EUR nicht erreicht sei. Die außergerichtlichen Anwaltskosten seien Nebenforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1 2. Halbs. ZPO und daher nicht zu berücksichtigen. Dies gelte selbst dann, wenn sich die außergerichtlichen Kosten auf die Durchsetzung eines Forderungsteils bezögen, der nicht mehr streitgegenständlich sei.
II.
[3] 1. Die gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Frage, ob vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs werterhöhend sind, soweit die Parteien den Hauptanspruch im ersten Rechtszug teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt haben, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.
[4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, da im vorliegenden Fall die vorprozessualen Kosten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts streitwerterhöhend sind.
[5] a) Inzwischen ist höchstrichterlich geklärt, dass vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs nicht werterhöhend wirken, wenn dieser Hauptanspruch noch Gegenstand des laufenden Verfahrens ist. Wird der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig und stellt deshalb eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO dar. Dieses - eine Werterhöhung ausschließende - Abhängigkeitsverhältnis besteht, solange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.1.2007 - X ZB 7/06, VersR 2007, 1102; Senatsurteil v. 12.6.2007 - VI ZR 200/06 - juris Rz. 5 ff. sowie BGH v. 15.5.2007 - VI ZB 18/06 - BGHReport 2007, 845, 846; v. 25.9.2007 - VI ZB 22/07, juris Rz. 5 f.).
[6] b) Damit ist zwar nicht ausdrücklich entschieden, ob ein solches Abhängigkeitsverhältnis auch besteht, soweit ein Teil der Hauptforderung im Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Indessen lässt sich aus den bisher ergangenen Entscheidungen entnehmen, dass das die Werterhöhung ausschließende Abhängigkeitsverhältnis nur besteht, so lange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist. Daraus folgt, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten ihren Charakter als Nebenforderung verlieren und als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen sind, wenn und soweit der geltend gemachte Hauptanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
[7] Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Zinsen aus einem nicht oder nicht mehr im Streit stehenden Hauptanspruch Hauptforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob ein anderer Teil des Hauptanspruchs noch anhängig ist (vgl. BGHZ 26, 174, 176; BGH, Urt. v. 24.3.1994 - VII ZR 146/93, NJW 1994, 1869, 1870 m.w.N.). Dies beruht auf der Überlegung, dass nach § 4 ZPO Zinsen, die neben der Hauptforderung geltend gemacht werden, zwar grundsätzlich Nebenforderungen sind und bei der Bemessung des Streitwerts nicht berücksichtigt werden. Sie werden jedoch zur Hauptforderung, wenn der Hauptanspruch nicht oder nicht mehr im Streit steht, so dass also nur noch die Zinsen Gegenstand des Rechtsstreits sind. Wenn oder soweit der Hauptanspruch nicht mehr im Streit ist, fehlt es an einer anhängigen Hauptforderung, die die insoweit geltend gemachten Zinsen zu einer Nebenforderung machen könnten. Die von dem erledigten Teil verlangten Zinsen stehen zur noch geltend gemachten Hauptforderung nicht im Abhängigkeitsverhältnis (vgl. BGHZ 26, 174, 176; BGH, Urt. v. 24.3.1994 - a.a.O.).
[8] Es besteht kein Anlass, vorprozessuale Rechtsanwaltskosten anders zu behandeln, weil diese wie Zinsen nur so lange in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung stehen, wie diese ganz oder teilweise Gegenstand des Rechtsstreits ist. Sobald und soweit die Hauptforderung nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil - wie hier - eine auf die Hauptforderung oder einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung "emanzipiert" hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (vgl. MünchKomm/Schwerdtfeger, ZPO, 2. Aufl., § 4 Rz. 30; Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Aufl., § 3 Rz. 26 "Erledigung der Hauptsache"; Ruess MDR 2005, 313, 314; Steenbuck MDR 2006, 423, 424; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rz. 38). Insoweit besteht hier eine andere Sachlage als bei anteiligen Kosten des laufenden Prozesses, die nach ständiger Rechtsprechung nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung den Streitwert und den Wert der Beschwer nicht erhöhen, so lange noch ein Teil der Hauptsache im Streit ist. Dann folgt aus dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung, dass im Rahmen der Entscheidung über den noch streitigen Teil des Rechtsstreits von Amts wegen auch über die für den erledigten Teil anfallenden Kosten mit entschieden wird (vgl. BGHZ 128, 85, 92; BGH, Beschl. v. 15.3.1995 - XII ZB 29/95, NJW-RR 1995, 1089, 1090; OLG Bremen OLGR 2001, 461). Dies ist bei dem Anspruch auf vorprozessuale Rechtsanwaltskosten nicht der Fall.
[9] 3. Für das laufende Verfahren ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt und mithin die Berufung zulässig ist (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Dies gilt unabhängig davon, ob man die Höhe der auf den erledigten Teil entfallenden Kosten wie die Beschwerdeführerin so berechnet, dass die Anrechnung den Betrag der Gebühr vermindert, die anzurechnen ist (vgl. Lutje, RVG von A-Z Stichwort "Anrechnung"), oder annimmt, dass sich nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr vermindert, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr (vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2007 - VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049, 2050). Nach beiden Berechnungsmethoden wird die Berufungssumme überschritten.
Fundstellen