Leitsatz (amtlich)
Zur Pflicht eines Rechtsanwalts, für eine Vertretung bei Erkrankung zu sorgen.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 14.11.2012; Aktenzeichen 1 U 73/12) |
LG Bonn (Urteil vom 04.07.2012; Aktenzeichen 1 O 330/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Köln vom 14.11.2012 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.
Wert: 89.685 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist, die sie wegen einer Erkrankung ihres Prozessbevollmächtigten versäumt habe.
Rz. 2
Das überwiegend klageabweisende Urteil des LG ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12.7.2012 zugestellt worden. Hiergegen hat die Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt. Einen ersten Antrag zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat ihr Prozessbevollmächtigter am 12.9.2012 mit der Begründung der Arbeitsüberlastung gestellt. Das OLG hat die Frist antragsgemäß bis zum 12.10.2012 verlängert. Am 12.10.2012 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.10.2012 beantragt, weil er akut erkrankt sei. Auch diesem Antrag hat das OLG stattgegeben. Einen Tag vor Ablauf der verlängerten Frist, am 16.10.2012, hat der gegnerische Prozessbevollmächtigte dem Gericht sein Einverständnis mit einer weiteren Fristverlängerung für den Klägervertreter bis zum 22.10.2012 erklärt, da dessen Büro mitgeteilt habe, dass dieser noch erkrankt sei. Einen Fristverlängerungsantrag hat der Klägervertreter bis zum Ablauf des 17.10.2012 nicht gestellt. Das OLG hat am 19.10.2012 darauf hingewiesen, dass zwar der Gegner einer Fristverlängerung zugestimmt habe, jedoch kein rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag vorliege, so dass die Frist verstrichen und die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei. Die Berufungsbegründung ist schließlich am 22.10.2012 beim OLG eingegangen. Dort hat der Klägervertreter "formell ergänzend gebeten, den Fristverlängerungsantrag bis heute anzunehmen", zumal die Gegenseite der Verlängerung zugestimmt habe. Weiter hat der Klägervertreter "äußerst vorsorglich" Wiedereinsetzung "aus Gründen akuter unvorhergesehener Krankheit" beantragt.
Rz. 3
Mit Schriftsatz vom 31.10.2012 hat der Klägervertreter nochmals Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und vorgetragen, seine Krankheit habe sich gerade im Lauf des letzten Tages der Frist, dem 17.10.2012, massiv verschlimmert. Eine Vertretung durch einen anderen Anwalt sei nicht möglich gewesen. Er sei als Einzelanwalt tätig. Rechtsanwalt D., von dem er Büroräume am Ort seiner Zweigstelle angemietet habe, sei in der ganzen Woche ortsabwesend gewesen, auch bestehe keine allgemeine Vertretungsregelung mit ihm.
Rz. 4
Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 6
Sie ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft, aber nicht zulässig, weil die Klägerin nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich wäre, § 574 Abs. 2 ZPO. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (ständige Rechtsprechung, BGH v. 11.6.2008 - XII ZB 184/07, FamRZ 2008, 1605 Rz. 6 m.w.N.).
Rz. 7
1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Versäumung der Frist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, welches ihr gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Ein Rechtsanwalt müsse durch geeignete organisatorische Maßnahmen vorausschauend Vorsorge für den Fall seiner vorhersehbaren oder unvorhersehbaren Abwesenheit treffen, insb. durch Bestellung eines Vertreters. Ein Verschulden sei nur dann zu verneinen, wenn der krankheitsbedingte Ausfall für den Prozessbevollmächtigten nicht vorhersehbar gewesen sei und infolge der Erkrankung weder ein Verlängerungsantrag gestellt noch ein Vertreter habe bestellt werden können. Es sei nicht ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine krankheitsbedingte Verhinderung nicht habe vorhersehen können. Schon seinen Fristverlängerungsantrag vom 12.10.2012 habe er mit Erkrankung begründet. Ferner habe er am 16.10.2012 über sein Büro die Zustimmung der Gegenseite zu einer weiteren Fristverlängerung wegen Erkrankung eingeholt. Wenn aber der schon seit einigen Tagen erkrankte Anwalt bereits am 16.10.2012 habe absehen können, dass er krankheitsbedingt nicht in der Lage sein werde, bis zum Fristablauf am nächsten Tag die Berufungsbegründung einzureichen, hätte er Vorkehrungen treffen müssen, dass jedenfalls ein Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei Gericht gestellt werde. Dass er keine Vertretungsregelung mit Rechtsanwalt D. getroffen habe, vermöge ihn nicht zu entlasten, da er grundsätzlich verpflichtet sei, eine Vertretung für Fälle seiner Abwesenheit zu organisieren. Es sei nicht ersichtlich, dass es nicht möglich gewesen wäre, einen anderen Rechtsanwalt kurzfristig mit der Vertretung in dieser Einzelsache zu betrauen.
Rz. 8
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung und den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
Rz. 9
a) Zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass ein Rechtsanwalt im Rahmen seiner Organisationspflichten grundsätzlich auch dafür Vorkehrungen zu treffen hat, dass im Falle einer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen wahrnimmt (BGH Beschl. v. 5.4.2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rz. 18). Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war (BGH Beschlüsse v. 5.4.2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rz. 18; v. 6.7.2009 - II ZB 1/09, NJW 2009, 3037 Rz. 10; v. 18.9.2008 - V ZB 32/08, FamRZ 2008, 2271 Rz. 9).
Rz. 10
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war bereits seit mehreren Tagen erkrankt, wie sein Fristverlängerungsantrag vom 12.10.2012 und die Mitteilung des gegnerischen Prozessbevollmächtigten vom 16.10.2012 belegen. Er wusste also mindestens seit dem 16.10.2012, dass er durch seine Erkrankung gehindert sein würde, die am nächsten Tag ablaufende Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten. Warum es ihm in dieser Zeit nicht möglich gewesen sein soll, zumindest eine Fristverlängerung zu beantragen, mit der der Gegner bereits einverstanden war, oder einen Kollegen damit zu beauftragen, trägt die Klägerin nicht vor. Insofern hilft dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Vortrag, die Erkrankung habe sich im Lauf des 17.10.2012 massiv verschlimmert, nicht weiter, da er nicht erklärt, wieso er sich nicht um eine Vertretung für einen solchen Verlängerungsantrag bemüht hat. Die Rechtsbeschwerde führt erfolglos an, die Frist wäre auch dann versäumt worden, wenn mit Rechtsanwalt D. eine allgemeine Vertretungsregelung bestanden hätte, da dieser in der Woche vom 12. bis 18.10.2012 ortsabwesend gewesen sei. Die Klägerin trägt nämlich nicht vor, dass diese Ortsabwesenheit unvorhersehbar gewesen sei oder dass es ihrem Prozessbevollmächtigten nicht möglich und zumutbar gewesen sei, einen anderen Vertreter zu beauftragen; dies insb. angesichts der Tatsache, dass die Erkrankung nicht plötzlich und unvorhergesehen eintrat, sondern bereits seit einigen Tagen bestand.
Rz. 11
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde musste das Berufungsgericht den Schriftsatz des gegnerischen Rechtsanwalts vom 16.10.2012, mit dem dieser sein Einverständnis mit einer nochmaligen Fristverlängerung erklärte, nicht dahin auslegen, dass er für den Klägervertreter, seinen Gegner, Fristverlängerung beantragt. Die Frage, ob der Prozessgegner antragsberechtigt für eine Fristverlängerung zugunsten der Gegenpartei ist (vgl. Zöller/Stöber ZPO, 30. Aufl., § 224 Rz. 6; Hk-ZPO/Wöstmann 4. Aufl., § 224 Rz. 5; a.A. Gehrlein in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 225 Rz. 1), kann dahinstehen. Denn jedenfalls hat der Gegner keinen Antrag auf Fristverlängerung für die Klägerin gestellt. Die Erklärung, mit der Verlängerung der Frist für den Gegner einverstanden zu sein, kann nicht als Antrag auf Fristverlängerung ausgelegt werden. Auch wenn Prozesshandlungen grundsätzlich auslegungsfähig sind, müssen Anträge eindeutig als solche formuliert sein. Die Einverständniserklärung mit einer Fristverlängerung für den Gegner gleichzeitig als Fristverlängerungsantrag auszulegen, wäre eine unzulässige Auslegung über den eindeutigen Wortlaut der Erklärung hinaus.
Rz. 12
c) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, dass das OLG seinen Rechtsausführungen keinen Sachverhalt vorangestellt hat. Denn das Fehlen einer gesonderten Darstellung des Sachverhalts im Beschluss des OLG kann hier hingenommen werden, weil sich die prozessualen Vorgänge, auf die es ankommt, nämlich der für die Wiedereinsetzung und die Verwerfung der Berufung maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel, mit ausreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (vgl. BGH Beschlüsse v. 16.4.2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rz. 5 m.w.N.; v. 12.7.2004 - II ZB 3/03, NJW-RR 2005, 78).
Rz. 13
d) Die Rechtsbeschwerde irrt ebenfalls, wenn sie meint, das OLG hätte gem. § 139 ZPO vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin weiteren Vortrag verlangen müssen, welcher Art dessen Krankheit war, da eine Bettlägerigkeit die Fristversäumung entschuldigen würde. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, sind innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO) vorzutragen. Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. BGH v. 4.5.1994 - XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097, 2098). Hat das Wiedereinsetzungsgesuch - wie im vorliegenden Fall - bereits eine in sich geschlossene, an sich nicht ergänzungsbedürftig erscheinende Sachdarstellung enthalten, besteht kein Anlass für eine weitere Aufklärung durch das Gericht nach § 139 ZPO. Es liegt vielmehr in der Verantwortung des Rechtsanwalts, alle für die Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht sprechenden Tatsachen vorzutragen. Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht nachgekommen. Dessen Verschulden hat das OLG der Klägerin zutreffend nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet.
Fundstellen
Haufe-Index 6661158 |
NWB 2014, 2046 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 829 |
FuR 2014, 425 |
NJW-RR 2014, 701 |
JurBüro 2014, 391 |
WM 2014, 865 |
ZAP 2014, 617 |
AnwBl 2014, 562 |
JZ 2014, 339 |
MDR 2014, 558 |
VersR 2015, 1047 |
FF 2014, 218 |
FamRB 2014, 299 |
NJW-Spezial 2014, 286 |
NWB direkt 2014, 711 |
RÜ 2014, 357 |
BRAK-Mitt. 2014, 137 |
PAK 2014, 97 |