Tenor
Der vom 2. Strafsenat beabsichtigten Entscheidung, in der Strafsache gegen E. (2 StR 337/14) die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld aufzuheben, soweit die Bemessung auf der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch des Angeklagten beruht, steht Rechtsprechung des 3. Strafsenats entgegen; an dieser Rechtsprechung hält der 3. Strafsenat fest.
Im Übrigen hält der 3. Strafsenat an Rechtsprechung, die den beabsichtigten Entscheidungen entgegenstehen kann, nicht fest.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der 2. Strafsenat hat in den vorgenannten Strafsachen über die Revisionen der Angeklagten gegen deren Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren (§ 403 StPO) zu entscheiden.
Rz. 2
Im Verfahren 2 StR 137/14 gegen … G. sieht sich der 2. Strafsenat nach der bisherigen Rechtsprechung der Zivil- und der Strafsenate des Bundesgerichtshofs gehalten, die angefochtene Entscheidung wegen unzureichender tatrichterlicher Erörterung der Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem der Höhe nach aufzuheben und es bei einer Feststellung der Zahlungspflicht dem Grunde nach zu belassen. Er beabsichtigt gleichwohl, die Revision zu verwerfen.
Rz. 3
Im Verfahren 2 StR 337/14 gegen … E. hat der Tatrichter demgegenüber bei der Bemessung des Schmerzensgelds die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Geschädigten berücksichtigt. Der 2. Strafsenat kann nicht ausschließen, dass das Schmerzensgeld ohne deren Berücksichtigung niedriger ausgefallen wäre. Er beabsichtigt deshalb, die Verurteilung der Höhe nach aufzuheben und es bei einer Feststellung der Zahlungspflicht dem Grunde nach zu belassen.
Rz. 4
Der 2. Strafsenat vertritt die Rechtsauffassung:
Rz. 5
„Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) sind weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten noch die des Schädigers zu berücksichtigen.”
Rz. 6
Er hat deshalb beim Großen Senat für Zivilsachen und bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
An Rechtsprechung, die der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats im Verfahren 2 StR 137/14 entgegenstehen könnte, hält der 3. Strafsenat nicht fest. Schon nach den aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuleitenden Maßstäben für die Bemessung von Schmerzensgeld sähe der 3. Strafsenat nunmehr keinen Anlass mehr, in der beschriebenen Fallgestaltung die Höhe der zugebilligten Entschädigung wegen Darlegungsmängeln zu beanstanden und deshalb die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld aufzuheben.
Rz. 8
1. Nach dem Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55 (BGHZ 18, 149) „können” bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld alle Umstände des Falles berücksichtigt werden, darunter auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile.
Rz. 9
a) Mit dieser Fassung seiner Antwort auf die Vorlagefrage wollte der Große Senat für Zivilsachen „zum Ausdruck zu bringen, daß nicht alle erwähnten Umstände in jedem Einzelfall berücksichtigt werden müssen, sondern nur nach dessen Lage berücksichtigt werden können.” In erster Linie sei für die Bemessung des Schmerzensgeldes die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hierauf liege das Schwergewicht. Daneben könnten aber auch alle Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein „besonderes Gepräge” geben. Was die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers betreffe, sei aber zu beachten, dass besonders verwerfliches Verhalten wie rücksichtsloser Leichtsinn oder gar Vorsatz den Gedanken, diesen vor wirtschaftlicher Not zu bewahren, „weitgehend zurückdrängen” könnten. Was demgegenüber die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verletzten anbelangt, betont die Entscheidung deren weitgehende Ambivalenz in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalles. So könnten deutliche Ungleichheiten der Vermögensverhältnisse beider Parteien einerseits je nach Lage des Falles dazu führen, von den bestehenden Ermessensmöglichkeiten zu Gunsten oder zu Lasten des Schädigers in höherem oder in geringerem Maße Gebrauch zu machen. Andererseits erscheine es nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall „der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten” auch einmal zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen könne.
Rz. 10
b) Daraus wird deutlich, dass der Große Senat für Zivilsachen den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem im Wesentlichen nur die Funktion eines Korrektivs für besonders gelagerte Fälle beigemessen hat. Soweit die zivilrechtliche Literatur an der Berücksichtigungsfähigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse festhält, vertritt sie dementsprechend ebenfalls die Auffassung, dass diese nur ausnahmsweise für den Anspruch von Belang sind (vgl. Staudinger/Schiemann (2005), BGB, § 253 Rn. 42). Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis kann bei der Beurteilung der tatrichterlichen Darlegungspflichten nicht außer Betracht bleiben.
Rz. 11
2. Nichts anderes ergibt sich aus der langjährigen ständigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs in der Folge der genannten Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen.
Rz. 12
So hat der 1. Strafsenat (Urteil vom 7. Februar 1995 – 1 StR 668/94, NJW 1995, 1438) den Tatrichter lediglich zur Erörterung „ganz ungewöhnlicher” wirtschaftlicher Verhältnisse von Schädiger oder Geschädigtem verpflichtet angesehen. Zwar könnten die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten die Zumessung des Schmerzensgelds beeinflussen. Dies bedeute jedoch nicht, dass diese Verhältnisse und ihr Einfluss auf die Bemessung in jedem Fall ausdrücklich erörtert werden müssten. Das Schwergewicht liege nach dem Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen einerseits auf dem Maß der Lebensbeeinträchtigung, andererseits auf dem Grad des Verschuldens. Rücksichtsloser Leichtsinn oder gar Vorsatz könnten den Gedanken weitgehend zurückdrängen, den Schädiger vor wirtschaftlicher Not zu bewahren. Ebenso hat der 3. Strafsenat (Beschluss vom 5. Januar 1999 – 3 StR 602/98, NJW 1999, 1123, 1124) einen Verstoß gegen tatrichterliche Erörterungspflichten bei der Bemessung des Schmerzensgelds mit der Begründung verneint, es seien keine Anhaltspunkte für „außergewöhnliche” wirtschaftliche Verhältnisse ersichtlich, die maßgeblichen Einfluss auf die Bestimmung des Schmerzensgeldes hätten gewinnen können.
Rz. 13
Dementsprechend haben die Strafsenate auch aufhebende Entscheidungen in erster Linie darauf gestützt, dass sich die Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach Sachlage (Beschluss vom 30. April 1993 – 3 StR 169/93), nach den Feststellungen (Beschluss vom 9. Juni 1993 – 2 StR 232/93, BGHR StPO § 403 Anspruch 4) oder nach den Umständen (Beschluss vom 26. August 1998 – 2 StR 151/98, BGHR StPO § 403 Anspruch 6) aufdrängte.
Rz. 14
3. Soweit ersichtlich erstmals der anfragende Senat hat in der Folge – ohne dass dem die Qualität einer Entscheidung im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG zukäme – die Auffassung vertreten, es sei „regelmäßig erforderlich”, auch die wirtschaftlichen Verhältnisse „der Tatbeteiligten” zu berücksichtigen (Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344). Dem ist auch der 3. Strafsenat in mehreren Entscheidungen gefolgt (vgl. Beschlüsse vom 8. Januar 2014 – 3 StR 372/13, StraFo 2014, 217; vom 21. Januar 2014 – 3 StR 388/13; vom 20. März 2014 – 3 StR 20/14; vom 2. September 2014 – 3 StR 325/14, NStZ-RR 2014, 350). Eine solche Spruchpraxis, die sich insbesondere im strafrechtlichen Revisionsverfahren nur zum Nachteil des Geschädigten auswirken kann, erscheint indes weder mit den vom Großen Senat für Zivilsachen entwickelten Maßstäben für die Bemessung von Schmerzensgeld noch mit der daran anknüpfenden vorgängigen ständigen Rechtsprechung der Strafsenate vereinbar. Der 3. Strafsenat gibt diese Rechtsprechung auf.
III.
Rz. 15
1. Was die beabsichtigte Entscheidung im Verfahren 2 StR 337/14 betrifft, ist der 3. Strafsenat weiterhin der Auffassung, dass – nach Maßgabe des Beschlusses des Großen Senats für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 (oben I.) – die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Bemessung des Schmerzensgelds berücksichtigt werden können.
Rz. 16
a) Nach dem vorgenannten Beschluss ist der Schmerzensgeldanspruch gemäß (seinerzeit) § 847 BGB kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit doppelter Funktion. Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion); zugleich soll er dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, war er ihm angetan hat (Genugtuungsfunktion). Daran, dass dem Schmerzensgeld neben der Ausgleichs- auch eine Genugtuungsfunktion zukommt, hält der 3. Strafsenat fest. Welche Auffassung der 2. Strafsenat hierzu vertritt, lässt sich der Anfrage nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Soweit dieser ausführt, die Genugtuungsfunktion könne nicht zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers führen, weil „Art und Ausmaß des vom Schädiger wiedergutzumachenden Unrechts” nicht von dessen Vermögensverhältnissen abhängen, vermengt er beide Funktionen und stellt die Genugtuungsfunktion letztlich insgesamt in Frage.
Rz. 17
b) Hält man richtigerweise an der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds fest, so verbietet sich die plakative Aussage des 2. Strafsenats, die Entschädigung für ein- und dasselbe körperliche oder seelische Leiden könne nicht davon abhängen, ob der Schädiger „Hilfsarbeiter oder Millionär” sei. Dies gilt insbesondere für die – im Verfahren 2 StR 337/14 allein zur Beurteilung anstehende – Fallgestaltung einer anspruchserhöhenden Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers. Mit der von Gesetzes wegen geforderten Billigkeit der Entschädigung stünde es jedenfalls nicht in Einklang, den minderbemittelten Straftäter wie vom anfragenden Senat vorgeschlagen auf die Pfändungsgrenze zu verweisen, den „Millionär” im Einzelfall aber mit einem Betrag davonkommen zu lassen, der nach dessen Verhältnissen allenfalls symbolisch erscheint.
Rz. 18
2. Dagegen teilt der 3. Strafsenat die Auffassung des anfragenden Senats, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgelds unberücksichtigt bleiben müssen; insoweit hält er an entgegenstehender Rechtsprechung nicht fest.
Rz. 19
Gemessen an den Maßstäben des Beschlusses des Großen Senats für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 bleibt die Bedeutung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten für die Höhe des Schmerzensgeldanspruchs zwar wie dargelegt letztlich ambivalent. Gute wie auch schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Geschädigten können danach in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls gleichermaßen anspruchserhöhend wie anspruchsmindernd wirken. In allen der vom Großen Senat für Zivilsachen aufgezeigten Fallgestaltungen läge in der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bei der Bemessung seines Anspruchs nach heutigem Verfassungsverständnis jedoch eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß jedenfalls gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds kann bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Geschädigten eine Besserstellung ebenso wenig rechtfertigen wie gar eine Anspruchsminderung. Umgekehrt erscheint es aber auch nicht zulässig, den Schmerzensgeldanspruch eines Geschädigten, der sich in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet, deswegen zu erhöhen oder zu mindern.
Unterschriften
Becker, Hubert, Mayer, Gericke, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 7701187 |
NStZ-RR 2015, 383 |
NZV 2016, 289 |
ZfS 2016, 263 |