Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Beschwerdewerts bei Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten
Leitsatz (amtlich)
Soweit das Erstgericht die Klage wegen eines Anspruchs auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten abgewiesen hat, bleibt der Wert dieser Forderung bei der Berechnung des für die Berufung des Beklagten maßgeblichen Beschwerdewerts (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) unberücksichtigt.
Normenkette
ZPO §§ 4, 511
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 15.10.2010; Aktenzeichen 1 S 281/10) |
AG Kassel (Urteil vom 24.06.2010; Aktenzeichen 434 C 2371/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kassel vom 15.10.2010 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 587,20 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger begehrt Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall, der sich am 18.11.2008 in Kassel ereignete, als sein Pkw beim Abbiegen nach links aus streitiger Ursache mit einer von der Beklagten zu 1) geführten Straßenbahn der Beklagten zu 2) kollidierte. Die Kaskoversicherung erstattete den Fahrzeugschaden von 5.328 EUR unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 150 EUR. Mit der Klage hat der Kläger den Restbetrag von 150 EUR, Nutzungsausfall i.H.v. 650 EUR, pauschale Unkosten von 25 EUR, die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten, die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten wegen der Geltendmachung des Ersatzanspruchs gegenüber der Kaskoversicherung sowie ein Schmerzensgeld von 200 EUR begehrt. Das AG hat der Klage unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Der zuerkannte Betrag von 671,04 EUR setzt sich aus folgenden Positionen zusammen: 150 EUR Selbstbeteiligung, 325 EUR Nutzungsausfall, 12,50 EUR anteilige Unkostenpauschale, 100 EUR Schmerzensgeld sowie 83,54 EUR anteilige vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Wert des Beschwerdegegenstands übersteige 600 EUR nicht, denn die noch im Streit befindlichen vorgerichtlichen Anwaltskosten seien als Nebenforderungen bei der Wertberechnung nicht zu berücksichtigen. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 2
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des BGH geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat (vgl. § 574 Abs. 2 ZPO).
Rz. 3
2. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Recht als unzulässig verworfen, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 600 EUR nicht (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die mit der Klage verlangten vorgerichtlichen Kosten der Geltendmachung der Ersatzansprüche gegenüber der Kaskoversicherung des Klägers bei der Ermittlung des Beschwerdewerts nicht zu berücksichtigen.
Rz. 4
a) Allerdings sind vorprozessuale Anwaltskosten als streitwerterhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, wenn sie sich auf einen Anspruch beziehen, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist (BGH v. 17.2.2009 - VI ZB 60/07, VersR 2009, 806 Rz. 4). Das ist vorliegend hinsichtlich der durch die Inanspruchnahme der Kaskoversicherung entstandenen Anwaltskosten ursprünglich der Fall gewesen. Der für die Zulässigkeit der Berufung maßgebliche Umfang der Beschwer beurteilt sich indessen nicht nach dem Streitwert in erster Instanz, sondern nach dem Betrag, um den der Berufungskläger durch das Urteil der ersten Instanz in seinem Recht verkürzt zu sein behauptet und in dessen Höhe er mit seinem Berufungsantrag Abänderung des Urteils beantragt (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 511 Rz. 13). Demgemäß ist bei einer unbeschränkt eingelegten Berufung des Beklagten der Wert seiner Beschwer nach dem Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung zu bemessen (BGH, Beschl. v. 8.10.1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063).
Rz. 5
b) Soweit die Beklagten durch das Urteil des AG zum Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten verurteilt worden sind, handelt es sich um eine nicht werterhöhende Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO, denn diese Kosten betreffen ausschließlich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die Gegenstand des Rechtsstreits sind (vgl. BGH v. 11.3.2008 - VI ZB 9/06, NJW-RR 2008, 898 Rz. 5 m.w.N.). Einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten wegen der Geltendmachung des Ersatzanspruchs gegenüber der Kaskoversicherung des Klägers hat das AG verneint. Da es die Klage wegen dieses Anspruchs abgewiesen hat, sind die Beklagten insoweit nicht beschwert. Mithin bleibt der Wert dieser Forderung bei der Berechnung des für die Berufung maßgeblichen Beschwerdewerts (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) unberücksichtigt.
Rz. 6
3. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht eine Entscheidung darüber hätte nachholen müssen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind.
Rz. 7
a) Das AG hat über die Zulassung der Berufung nicht ausdrücklich entschieden. Das Fehlen einer ausdrücklichen Entscheidung bedeutet grundsätzlich Nichtzulassung der Berufung (vgl. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 511 Rz. 86; Zöller/Heßler, a.a.O., Rz. 39). Enthält ein Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Berufung, kann dieser im Wege eines Berichtigungsbeschlusses allerdings dann nachgeholt werden, wenn das Gericht die Berufung im Urteil zulassen wollte und dies nur versehentlich unterblieben ist. Dieses Versehen muss nach außen hervorgetreten und selbst für Dritte ohne Weiteres deutlich sein (BGH v. 11.5.2004 - VI ZB 19/04, VersR 2004, 1625). Dass dies hier der Fall sei, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend.
Rz. 8
b) Nur wenn das erstinstanzliche Gericht deshalb keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es aufgrund seiner Streitwertfestsetzung eine Beschwer von mehr als 600 EUR angenommen hat, muss das Berufungsgericht, sofern es diesen Wert für nicht erreicht hält, die Entscheidung darüber nachholen, ob die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen ist (BGH v. 26.10.2010 - VI ZB 74/08, NJW 2011, 615 Rz. 12). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat den Wert des Beschwerdegegenstands für die Berufung der Beklagten nicht abweichend von der Wertbemessung des AG festgesetzt. Dass der Wert des Beschwerdegegenstands unterhalb des erstinstanzlichen Gegenstandswerts liegt und 600 EUR nicht übersteigt, beruht vielmehr allein darauf, dass das AG die Klage teilweise abgewiesen hat. Den für die Berechnung des Beschwerdegegenstands zu berücksichtigenden Wert der zuerkannten Ansprüche hat das AG ebenso wie das Berufungsgericht mit weniger als 600 EUR bemessen.
Rz. 9
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2688858 |
NJW 2011, 8 |
EBE/BGH 2011 |
NJW-RR 2011, 1430 |
JurBüro 2011, 420 |
ZAP 2011, 1082 |
MDR 2011, 811 |
NJ 2011, 4 |
VersR 2011, 1155 |
AGS 2011, 302 |
PA 2011, 147 |
VRR 2011, 202 |
RVG prof. 2011, 147 |