Leitsatz (amtlich)
Die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten sind im Berufungsverfahren als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, soweit dem Kläger die zugrunde liegende Hauptforderung in erster Instanz aberkannt worden ist und er sein Begehren mit der Berufung insoweit nicht weiterverfolgt.
Normenkette
ZPO § 4
Verfahrensgang
LG Kiel (Beschluss vom 06.08.2012; Aktenzeichen 1 S 80/12) |
AG Rendsburg (Urteil vom 05.04.2012; Aktenzeichen 3 C 65/12) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kiel vom 6.8.2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 786,60 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Pkw Kastenwagens Citroen, der am 4.12.2010 bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde. An dem Unfall beteiligt war der Beklagte zu 1) als Fahrer eines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw. Die anwaltlich vertretene Klägerin nahm ihren Kaskoversicherer in Anspruch, der Ersatz i.H.v. 6.740,28 EUR leistete. Die Reparaturkosten belaufen sich ausweislich der Werkstattrechnung, die über einen Betrag von 6.492,47 EUR lautet, in dem Kosten für ein Ersatzfahrzeug i.H.v. 321,30 EUR brutto (270 EUR netto) enthalten sind, auf 6.222,47 EUR netto. Der merkantile Minderwert beträgt 750 EUR, die Gutachterkosten belaufen sich auf 747,81 EUR. In der Fahrzeugversicherung ist der Klägerin im Jahr 2011 durch Rückstufung ein Rabattverlust i.H.v. 103,56 EUR entstanden. Mit der Klage hat sie Ersatz weiteren Schadens i.H.v. 2.555,46 EUR begehrt. Darin enthalten ist eine Kostenpauschale von 25 EUR. Daneben hat sie Ersatz weiterer 693,50 EUR für die vorgerichtliche Schadensregulierung verlangt, wovon 555,60 EUR auf Anwaltskosten entfallen, die durch die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers entstanden sind. Das AG hat eine Haftung der Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % angenommen. Es hat die Beklagten zur Zahlung von 1.314,28 EUR nebst Zinsen verurteilt und dem Feststellungsantrag bezüglich des Anspruchs auf Ersatz des künftigen Rückstufungsschadens zur Hälfte entsprochen. Daneben hat es der Klägerin 156,50 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten für die Geltendmachung der Ansprüche gegen die Beklagten nach einem Gegenstandswert von (1.314,28 EUR + 250 EUR =) 1.564,28 EUR zuerkannt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt, Ansprüche auf Ersatz der (gesondert in Rechnung gestellten) Mietwagenkosten und der Kosten für die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers seien nicht begründet. Für die vorgerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten sei eine 1,3-fache Geschäftsgebühr anzusetzen. Als Kostenpauschale seien nur 20 EUR zu ersetzen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie - über die ihr vom AG zugesprochenen Beträge hinaus - die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Anwaltskosten für die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers (555,60 EUR) sowie - unter Zugrundelegung eines höheren Gegenstandswerts und unter Ansatz einer 1,5-fachen Geschäftsgebühr - Ersatz restlicher vorgerichtlicher Anwaltskosten für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagten in Höhe weiterer 231 EUR begehrt.
Rz. 2
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die Berufung als unzulässig verworfen. Es hält das Rechtsmittel für unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR nicht übersteige (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Beschwer der Klägerin betrage nur 555,60 EUR. Die daneben für die außergerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten verlangten 231 EUR würden als Nebenforderung geltend gemacht und wirkten sich deshalb nicht auf den Streitwert aus. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
Rz. 4
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die von der Klägerin verlangten vorprozessualen Kosten von 231 EUR für die außergerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
Rz. 5
a) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs nicht werterhöhend wirken, wenn dieser Hauptanspruch Gegenstand des laufenden Verfahrens ist. Wird der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig und stellt deshalb eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO dar. Dieses - eine Werterhöhung ausschließende - Abhängigkeitsverhältnis besteht, solange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist (vgl. Senat, Urt. v. 12.6.2007 - VI ZR 200/06, Schaden-Praxis 2007, 370; BGH v. 15.5.2007 - VI ZB 18/06, VersR 2007, 1713 Rz. 6; v. 25.9.2007 - VI ZB 22/07, NJW-RR 2008, 374 Rz. 5 f.; v. 4.12.2007 - VI ZB 73/06, VersR 2008, 557 Rz. 5 ff.; BGH, Beschl. v. 30.1.2007 - X ZB 7/06, VersR 2007, 1102 Rz. 7).
Rz. 6
b) Etwas anderes gilt jedoch, wenn und soweit der geltend gemachte Hauptanspruch nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits ist. In diesem Fall sind geltend gemachte vorprozessuale Anwaltskosten als streitwerterhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen (BGH v. 17.2.2009 - VI ZB 60/07, VersR 2009, 806, Rz. 4 ff.). Soweit die Hauptforderung nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil eine auf die Hauptforderung oder einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung erklärt worden ist oder weil der Kläger die Hauptforderung aus anderen Gründen nicht weiterverfolgt, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung "emanzipiert" hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (vgl. BGH v. 4.12.2007 - VI ZB 73/06, a.a.O., m.w.N.). Das gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem das AG der Klägerin einen Teil der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung aberkannt hat und die Klägerin ihr Begehren mit der Berufung insoweit nicht weiterverfolgt.
Rz. 7
c) Für den Streitfall ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands nicht nur die im Berufungsverfahren geltend gemachte restliche Hauptforderung von 555,60 EUR umfasst, sondern durch die daneben für die außergerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten verlangten 231 EUR auf über 600 EUR erhöht wird. Mithin ist die Berufung zulässig (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Rz. 8
3. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war (Senat, Urt. v. 17.12.2012 - VI ZR 195/12, juris Rz. 7; v. 5.2.2013 - VI ZR 195/12, Rz. 7, zVb; BGH, Urt. v. 11.7.2012 - VIII ZR 323/11, NJW 2012, 2813 Rz. 8 ff. m.w.N.). Ferner wird darauf hingewiesen, dass das AG der Klägerin bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung und der Annahme einer Haftungsquote von 50 % rechnerisch 270 EUR zu viel zuerkannt hat (zur Schadensberechnung unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts des Versicherten in der Kaskoversicherung vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1981 - VI ZR 153/80, BGHZ 82, 338, 341 ff.; v. 12.1.1982 - VI ZR 265/80, VersR 1982, 383, 384; BGH v. 29.1.1985 - VI ZR 59/84, VersR 1985, 441, 442).
Fundstellen